Zwischen Krise und Aufbruch

Heinz Walter legt ein umfangreiches Vademekum der Väterforschung vor

Von Thomas KrummRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Krumm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Heinz Walter legt für die noch junge Disziplin sozialwissenschaftlicher Väterforschung ein beeindruckendes, umfangreiches Handbuch vor und zeichnet darin ein differenziertes Bild von den ersten impressionistischen Beschreibungen bis hin zu empirisch und methodologisch breit gesättigten Theoriebildungen in der Gegenwart. Es geht ihm um Ausfüllungen und Wandlungen der Rolle des Mannes als Vater, die vornehmlich in drei Kontexte eingebettet sind: die Vater-Kind-, die Vater-Mutter-Dyade sowie die Vater-Mutter-Kind-Triade. Die 23 Beiträge demonstrieren das weite Spektrum möglicher theoretischer Auflösungen dieser Kontexte ebenso wie die breite Palette an Untersuchungsmethoden, mit denen man Antworten auf die veränderte Rolle des Mannes als Vater erzielen will. Methodologisch bewegen sich die Beiträge zwischen Tiefenpsychologie, Soziologie, objektiver Hermeneutik, Ethnologie, Erziehungswissenschaft, Säuglings- und Bindungsforschung und Jurisprudenz

Im Prolog des Herausgebers werden die Beiträge in die noch junge Geschichte sozialwissenschaftlicher Väterforschung eingeordnet und aktuelle Schwerpunkte der Forschung akzentuiert. Lange Zeit ist der Vater sozialwissenschaftlich vernachlässigt worden, teils weil sich das Interesse auf die Mutter-Kind-Beziehung als primäre Bindungsform gerichtet hat, teils weil seine Rolle eher unscheinbar und "hintergründig" zu sein schien. Gegenwärtig findet sich durch die Fokussierung auf das "Kindeswohl" sowohl als politische, juristische wie auch als forschungspraktische Leitperspektive neue Tendenzen der Verengung eines umfassenden Vaterbildes. Dem multidisziplinär angelegten Band gelingt es dagegen vorzüglich, solche Verengungen zu vermeiden und auch kritisch zu hinterfragen, so z. B. bei dem von bundesverfassungsrichterlichen Rechtsprechung ausdrücklich gebilligte Fall, in dem die mit einer Partnerin zusammenlebende Mutter den Vater ihres Kindes geheim hält. Die Rechte des Kindes müssen in solchen Fällen immer wieder mit den Persönlichkeitsrechten der Mutter oder des "anonymen Vaters im System der Fortpflanzungsmedizin" (Bernat) abgewogen werden.

Um die Bedeutung des Vaters für das Kind empirisch zu untersuchen, wird z. B. immer wieder auf Situationen im "Experimentierfeld Gesellschaft" zurückgegriffen, in denen Kinder ohne Vater (Beitrag Hildenbrand) oder ohne Mutter (alleinerziehende Väter: Beitrag Matzner, geschiedene Väter: Beitrag Moch) aufgewachsen sind. Die gesellschaftlichen Verhältnisse bieten ein reichhaltiges Experimentierfeld für Variablenkonstruktionen nach Alter-, Geschlechts-, Herkunfts- oder Abwesendheitskriterien.

Unterbelichtet bleibt dagegen die Frage, ob und wie sich Vater- und Mutterrolle wechselseitig bedingen und ergänzen und ob Veränderungen in der Vaterrolle nicht ohne Veränderungen in der Mutterrolle zu haben sind und vice versa. Vielleicht ist der "neue Vater", der zwar verbal immer wieder gefordert wird, eine viel größere Herausforderung an die Mutterrolle als bisher geahnt, weil er nicht ohne analogen Strukturwandel zu haben ist.

Das dieser Band kein Schnellschuss ist, wie Walter im Vorwort betont, erkennt man nicht zuletzt daran, dass die einseitige Betonung der Bedeutung des Vaters für das Kind aufgelöst wird zugunsten der Hervorhebung der vielfältigen Kontexte, in denen Väter leben und zwischen denen sie zu wechseln und zu balancieren haben. Die Vater-Mutter- und die Vater-Kind-Dyade stellen hier nur Ausschnitte dar. Die Komplementarität von Vater- und Kindrolle findet ihr Pendant auch auf Ebene der Gesellschaftsbeschreibung: auf der einen Seite wird die "vaterlose Gesellschaft" beklagt, auf der anderen die "sibling society". Der "Untergang des Väterlichen" (Winker) korrespondiert mit dem Vorherrschen infantilen Amüsements in der Gesellschaft. Von den möglichen Funktionen des Vaters, die immer wieder diskutiert werden, scheint die alimentatorische die Stabilste, Unumstrittenste zu sein. Dennoch zeichnen Walter und die meisten der Beiträge dieses gelungenen Sammelbandes kein Verfallsszenario des Vaters in der Gesellschaft, sondern eher ein Aufbruchsszenario.

Titelbild

Heinz Walter (Hg.): Männer als Väter. Sozialwissenschaftliche Theorie und Empirie.
Psychosozial-Verlag, Giessen 2002.
860 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-10: 389806140X

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