Wenn nichts mehr geht, weil alles geht, dann wird es die Bombe sein

Das Hörstück "Bombsong" von Thea Dorn und Ulrike Haage

Von Peter ReichenbachRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Reichenbach

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Leben wie in einer Hüpfburg, einem Streichelzoo, alles ist weich, gepolstert, keine Kanten. Eigentlich ist alles so, wie es sein sollte, behütete Kindheit, Karriere und schließlich ganz weit oben: Einemillionendreihundertsiebzigtausend jährlich auf dem Konto. Irgendwie ist dies genau das gewollte Leben, das erträumte Leben aber leider nur irgendwie. Irgendwie ist da nämlich das Gefühl, dass dieses Leben einfach nur gelebt wird, dass Entscheidungen keinen Unterschied machen: Greenpeace, gegen Pelze, gegen Hungersnot, Ärztin in der dritten Welt, irgendwie ist der Grund egal, Hauptsache kämpfen, Hauptsache einen Unterschied machen. Die Gründe zum Revoltieren, zum Kämpfen und Engagieren jedoch scheinen zu abstrakt und würden keinen persönlichen Sinn bringen. Die Revolte scheitert, bevor sie überhaupt beginnen könnte, weil alle Ziele schon erreicht sind. Im Schlusssatz heißt es: "Bitte, bitte lieber Gott ... schick uns was richtiges, schick uns eine Katastrophe ... eine Naturkatastrophe, Hungersnot, Dürre, Pest, Sintflut. Wer nimmt uns alles, damit wir endlich wieder von dem Leben träumen können, das wir jetzt einfach nur leben."

In diesem Spannungsfeld zwischen Wohlstandsekel, einem sinnentleerten Leben und Sehnsucht nach Krieg und Krise gepaart mit Menschenhass hat Thea Dorn ihre Figur in dem Hörstück "Bombsong" angesiedelt. Diese findet schließlich keinen anderen Ausweg, als eine Bombe samt sich selbst in einer U-Bahn zu sprengen: "Etwas besseres als den Tod findest Du nirgendwo".

Versteht man diese Liveaufnahme von der Uraufführung im TAT in Frankfurt als Psychogramm einer Einzelperson, dann überzeugt die Figur, die über ihre Kindheit reflektierend sagt: "Ich war eine glückliche Kindheit" und jetzt feststellen muss, dass die vermeintlich besten Vorraussetzungen und die fehlenden Widerstände zum Unglücklichsein geführt haben. In dem gesamten Verlauf ist das Ende, das Zünden der Bombe, vorauszusehen, ohne jedoch die Spannung des Stückes zu beschneiden. Dies gelingt durch die herausragende Komposition Ulrike Haages: Dieses eindringliche und immer bedrohlich wirkende Piano und die Verwendung elektronischer Musik (beides gespielt von Ulrike Haage) hält die Spannung, die nur kurze Erlösungen durch den beruhigenden Gesang des Chores erfährt.

Trotz des tödlichen Endes ist das Stück "Bombsong" kein Aufruf zum Morden von U-Bahn- Fahrgästen. Dafür sind die genannten Gründe für diese Tat zu sehr in der der Person eigenen Psychologie begründet. Trotzdem erhält das Stück eine neue Dimension, wenn man sich bewusst macht, dass das Stück als Auftragsarbeit unter dem Aspekt "Positionsbestimmung" geschrieben und auch in diesem Rahmen aufgeführt wurde. In dieser Dimension ist "Bombsong" in seiner Aussage meines Erachtens fragwürdig: Am Beginn des Stückes heißt es, wer glaube Einemilliondreihundertsiebzigtausend jährlich auf dem Konto sei eine hohe Summe, solle den Saal verlassen. Handelt es sich also nur um eine Positionsbestimmung für die oberen Zehntausend, für verwöhnte Kinder reicher Eltern? Wem soll diese Sehnsucht nach Krieg, Krise und Elend dienen? Zu dieser ohnehin fragwürdigen Position kommt eine blinde und übertriebene Verwendung des Bombenanschlag-Motives, das hier ohne jeden Zusammenhang zu aktuellen Beispielen verwendet wird (und da macht es nichts, dass der Text vor dem 11. September entstand). In diesem Rahmen stellt sich zwangsläufig die Frage, ob es sich um eine Satire handelt: die bereits genannte übertrieben hohe Summe auf dem Konto zu Beginn des Stückes mit dem Zusatz "diejenigen unter ihnen, die denken das ist viel Geld, können den Saal verlassen", kann durchaus als Stilmittel einer Satire verstanden werden. Eine weitere Brechung lässt sich aber weder im Text noch auf der Ton- und Klang-Ebene finden: die Form des Oratoriums wird eher modernisierend verwendet, die elektronische Musik wirkt zwar kalt aber nicht zerstörend. Sollte das Stück als Satire intendiert worden sein, so wird dieser Ansatz jedenfalls nicht durchgehalten. Der Hörer wird zwangsläufig mit den Fragen nach der Aussage des Stückes alleine gelassen. Eine Positionsbestimmung wird unmöglich.

Bleibt zu hoffen, dass Thea Dorn den Titel ihrer Auftragsarbeit "Positionsbestimmung" nicht all zu ernst genommen hat und ein Psychogramm einer Einzelperson entwerfen wollte. Wer sich eine eigene Meinung bilden möchte, kann das Hörstück auf der "lit.Cologne" diesen März hören, da das Stück für den deutschen Hörbuchpreis unter der Rubrik "Beste Innovation" nominiert worden ist.

Kein Bild

Thea Dorn / Ulrike Haage: Bombsong. CD.
Sans Soleil Edition, Bonn 2002.
17,50 EUR.
ISBN-10: 3880300402

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