Träume sind nicht Schäume - aber Traumbücher manchmal

Der von Linde Salber und Armin Schulte edierte Band "Traum Träume, Träumen" ist sehr heterogen ausgefallen

Von Stefan NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Neuhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Zeitschriftentitel gibt die Richtung vor, es geht weniger um Träume als um einen bestimmten psychoanalytischen Zugang zu ihnen. Was "Morphologische Psychologie" ist, wird in einem letzten kurzen Kapitel erklärt, als Ideen-Spender werden, in aller Bescheidenheit, Goethe, Nietzsche und Freud genannt. Als signifikanter Unterschied zur herkömmlichen Psychoanalyse gilt, dass an der "Verwunderung" über die beobachteten Phänomene festgehalten werde, ohne "die Allmachtsgebärde des vermeintlich alles steuernden Bescheidwissers". Starke Worte, denen starke Taten, sprich: Aufsätze, vorangegangen sind?

Um es vorwegzunehmen: Ja und Nein. Der Band hat seine Stärken in den praxisorientierten Beiträgen, während die eher vorgeblich theoretisch, auf jene "morphologische Psychologie" ausgerichteten Beiträge analytisch so unscharf sind, dass sie deutlich hinter ihr Vorbild Freud zurückfallen. Bei Unkenntnis einerseits und versuchter Beschränkung auf das Wesentliche andererseits sei daher empfohlen, statt dieses Bandes die in mehreren Beiträgen umständlich paraphrasierte "Traumdeutung" Sigmund Freuds zur Hand zu nehmen.

Wohin die Reise geht, macht schon das Vorwort deutlich: "Der Traum läßt uns, purer als andere Gebilde, eine Art seelischen 'Urstoff' und die Aufgaben unseres Gestaltens spüren." Noch raunender kann man das wohl nicht sagen. Dazu addieren sich zweifelhafte Abgrenzungsversuche gegenüber anderen Wissenschaften. Kunst werde hier, so verkünden die Herausgeber stolz, "nicht als ästhetisches Extra angesehen". Womit jeder Versuch, ästhetische Kategorien zu bilden, diskreditiert sein dürfte. Was sollte auch sonst noch interessant sein im Vergleich zum nebelgleichen, durch die Seiten wabernden "seelischen Urstoff"?

Nun gibt es, wie gesagt, auch Beiträge, die vom Grundthema abweichen. Etwas ratlos hinterlässt einen die Lektüre von Horst Rumpfs "Traumwelt Oper". Der Verfasser kennt zweifellos viele Opern, aber viel mehr als die folgenden Erkenntnisse lässt sich daraus offenbar nicht gewinnen: "Ein Ausstieg aus Alltagsumwelten passiert mit dem Schritt in diese Region [der Oper]." Und: "Nach allem Gesagten ist freilich festzuhalten, daß Träume keine Opern und Opern keine Träume sind." Wer hätte das gedacht.

Hochspannend dagegen ist die Lektüre eines Beispiels aus der analytischen Praxis, von Gisela Rascher ebenso präzise wie unterhaltsam erzählt. Süffisant nimmt Rascher "Traumbücher" aufs Korn, die sogenannte "Direktdeutungen" enthalten, also von geträumten Orten, Personen und Gegenständen auf bestimmte Bedeutungen (kurz-)schließen. Hätte sie, so Raschers trockenes Fazit, bei ihrem Patienten solche Direktdeutungen angewandt, dann wären seine Probleme nicht beiseitigt, sondern verstärkt worden.

Ebenfalls sehr interessant sind zwei Beiträge, die sich mit Analogien von Traum und Film beschäftigen. Dirk Blothner unterscheidet Filme, die vertraute Wirklichkeitsbilder bestätigen oder uns produktiv mit anderen Möglichkeiten konfrontieren. Wolfram Domke erläutert die alptraumhafte Struktur der Hollywood-Produktion "Groundhog Day" (dt. "Und täglich grüßt das Murmeltier") und die bedenkenswerte analytische Erkenntnis, die sich daraus gewinnen lässt. Nicht auf alle der - trotz knappen Umfangs des Bandes - zahlreichen Beiträge kann hier eingangen werden.

Nur noch ein Wort zu den dezidiert "morphologischen" Beiträgen. Für einen Fachfremden wie den Rezensenten, der als Literaturwissenschaftler durch diverse analytische Schulen gegangen ist, wirkt das postulierte Verfahren doch eher wie Kaffeesatzleserei. Um Linde Salber zu zitieren: "Traum und Kunst sind Wörter, die aus fünf Buchstaben bestehen; das haben sie, wie jeder weiß, mit der Liebe gemein." Nun ja.

Stets wird Wilhelm Salber zitiert, für dessen Bücher auch mehrfach in Anzeigen Werbung gemacht wird, offenbar ist er der König des morphologischen Reichs. Salber hat zwei Beiträge beigesteuert, die eigentlich nicht mehr leisten als eine Paraphrase und ein Lob von Freuds "Traumdeutung", ohne allerdings Freuds analytische Schärfe zu erreichen. Mit Salber lernen wir: "Man kann den Traum als Psychologe hinzuziehen, um sich seelische Probleme zu verdeutlichen, und auch, um Lösungen zu finden!" Das hätten wir uns wirklich nicht träumen lassen.

Titelbild

Linde Salber / Armin Schulte (Hg.): Traum Träume, Träumen.
Psychosozial-Verlag, Giessen 2001.
168 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-10: 3898061205

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