"Katz und Maus" hören zum Fressen gerne zu

Günther Grass' erste Novelle als Live-Mitschnitt einer Lesung von 1981

Von Antje PolanzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Antje Polanz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Eine warme Stimme, die fürs Reden und Erzählen vor einem Publikum gemacht ist", schrieb die F. A. Z. im vergangenen Herbst über eine viel beklatschte Grass-Rede zum zehnten Todestag von Willy Brandt.

Vor gut 20 Jahren lud der Nobelpreisträger eine Schulklasse zum Zuhören in sein Berliner Atelier ein. Jetzt kann sich jeder für die Dauer von 5 CDs dazusetzen. Und wer dies tut, muss auch mitspielen. Denn schon Grass' mächtige Cover-Katze fasst den Hörer mit unerbittlich scharfem Blick ins Auge und ernennt ihn sogleich zur Maus. Nicht minder vereinnahmend nimmt der Vollbluterzähler als Vorleser das potentielle Opfer gleich mit, tief ins Geschehen hinein und führt vollmundig in die Spielregeln ein. Die Maus darf auch mal die Katze sein, die Katze muss auch Maus mal sein. Dann und wann fährt ein Auto vorbei, Vogelstimmen durch eine mutmaßlich offen stehende Terrassentüre, ein Schüler, der auf die Toilette muss. Solche Zwischentöne tun dem Hör-Erlebnis keinen Abbruch, im Gegenteil: Man weiß sich teilnehmend an der Aufzeichnung, an drei Tagen im Sommer, im Juni. Es sind Große Ferien und Joachim Mahlke, Held in "Katz und Maus", schwimmt sich frei zum "Großen Mahlke". Schon vor dem Mit-Fiebern hat man mitgezittert, als gleich zu Anfang die Schulkameraden Mahlkes Maus - er ist mit dem Makel eines übergroßen, überaus aktiven Adamsapfels behaftet - eine vorüberstreunende Katze an den Hals setzen. Seine sprichwörtliche Vorliebe für das "Untertauchen" zeichnet ihn einmal mehr zu Jäger wie Gejagtem aus. Am Wrack eines untergegangenen Minensuchboots triumphiert Mahlke immer wieder mit reicher Beute, ein Hohlraum unter Wasser wird dem Bestaunten, Unerreichten zum Mauseloch, wenn Neid und Andersartigkeit ihn in die Enge treiben. Mahlke ist kein Genie wie Oskar Matzerath und doch auch irgendwie ein Künstler. Ein Überlebenskünstler in schwarzweißroten Zeiten, die über das Hakenkreuz und den Krieg, zu dessen Zeiten die Novelle spielt, hinaus- und weit zurückweisen. Die Katze Mahlke, die zum Sprung auf das Ritterkreuz wie den ins Wasser ansetzt, ist eine Gratwanderin, die den Sprung, den "Katz und Maus" voneinander trennen, selber in sich trägt. Am Ende scheitern beide, zumindest deutet alles darauf hin, denn Mahlke kehrt eines Tages vom Tauchgang am Wrack nicht wieder zurück.

Fast hätte auch das "schmale Buch" selbst den Spagat zwischen "Katz und Maus" nicht überlebt und wäre mit einer Aufführung auf der "Liste jugendgefährdender Schriften" der deutschen Öffentlichkeit verloren gegangen. Zwar ist der Novelle als zweitem Teil der später zusammen mit der "Blechtrommel" und den "Hundejahren" von Grass benannten "Danziger Trilogie" bei ihrem Erscheinen 1961 sofort ein zweiter großer internationaler Erfolg beschieden, doch werden in Deutschland vor allem die Szenen des Wett-Onanierens zumindest in Betreff der filmischen Darstellung bei Benjamin Leberts "Crazy" erst vor einiger Zeit kontrovers diskutiert und zum großen Stein des Anstoßes. Auch 1966 hatte es Debatten gegeben als die Novelle unter Mitwirkung der Söhne des späteren Bundeskanzlers Willy Brandt von Hansjürgen Pohland verfilmt wurde. Mit dem Prädikat "wertvoll" ausgezeichnet, wurde das Unternehmen an den Kinokassen ein Flop. Was bleibt ist "eine der ergreifendsten und glaubhaftesten Jungen-Gestalten in der modernen Dichtung" (Walter Jens), eine Geschichte, die sich bekanntlich, wie Grass mehrfach zu Protokoll gegeben hat, aus der Arbeit an den "Hundejahren" heraus, verselbstständigte.

Im vergangenen Jahr ist Grass', von der Kritik mit stürmischem Beifall bedachte zweite Novelle "Im Krebsgang" erschienen, in der wiederum die Auseinandersetzung Jugendlicher mit Ereignissen des Zweiten Weltkriegs die zentrale Rolle spielt und einen "roten Faden" gegen das Vergessen zu "Katz und Maus" spinnt.

Grass` durch eine Paarung großer einspinnender Natürlichkeit mit dem Schuss des Außerordentlichen wie immer unverwechselbarer Vortrag einer diesmal kleinen großen Geschichte mit dem Hang ins Besondere, wie er auch ihrem Helden Mahlke zueigen ist: "Der hängt sich irgendwann mal auf oder kommt ganz groß raus oder erfindet was Dolles", wird der Angelegenheit auf alle Fälle vollständig gerecht.

Titelbild

Günter Grass: Katz und Maus. 5 CDs.
Der Hörverlag, München 2002.
ca 287 Min., 58,00 EUR.
ISBN-10: 3895849774

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