Undine geht ... und kommt zurück

Die "Logbücher einer Meerjungfrau" von Ingeborg Horn

Von Marion GeesRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marion Gees

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit Logbüchern werden bis heute Schiffstagebücher assoziiert, für die Seefahrt vorgeschriebene Journale, in die für die jeweilige Fahrt der Kurs sowie wichtige Ereignisse und Beobachtungen eingetragen werden. Auch in literarischen Kontex-ten kann das Logbuch nach wie vor die Funktion der präzisen und rückhaltlosen Bestandsaufnahme haben. Der verlockende Titel der vorliegenden Sammlung evoziert ein Genre, das sich gemeinhin zwischen den Formen des Tagebuchs, des Carnet, der leicht hingeworfenen Notiz und dem Aphorismus bewegt. Und heraufbeschworen wird darin, wenn auch nicht die Schiffs- so doch die Wassermetaphorik in Gestalt der wandelbaren und geheimnisvollen Meerjungfrau, der Undine. Allerdings legt der gewichtige Untertitel "Von den elementaren Grundlagen der Menschwerdung" von Anbeginn eine gewisse metaphysische Schwere über das Buch, der auf eine bedeutsame anthropologische Botschaft hinzudeuten scheint.

Bei den im Droschl Verlag erschienenen Logbüchern von Ingeborg Horn handelt es sich um eine Sammlung von überwiegend knappen aphoristischen Aufzeichnungen, die sich der Wahrnehmung des Elementaren widmen, der Natur, dem Wechsel der Jahreszeiten; sie widmen sich zudem Situationen und Szenen des Alltags, der Liebe und dem Scheitern sowie nicht zuletzt dem Ringen um die Sprache selbst. Diese Betrachtungen und Meditationen sind mit Zitaten und Anspielungen auf den Undinen-Mythos durchzogen. Der Text ist untergliedert in zwölf Kapitel oder Stationen, die jeweils mit Zitaten u. a. von Friedrich de la Motte-Fouqué und Franz Kafka über Robert Walser bis hin zu Ingeborg Bachmann überschrieben sind. Die sich wiederholenden Mythologeme der Undinen-Gestalt halten die Textfragmente zusammen. Dies ist ein ungewöhnliches Strickmuster für eine Sammlung mit weitgehend unverbundenen aphoristischen Notaten, die den Leser veranlasst, eine Art Vergegenwärtigung und Reaktivierung des Undinen-Mythos mitzuverfolgen, der sich hier insbesondere in der Beziehung zwischen Undine und dem Ritter Huldbrand offenbart.

Dass der Aphorismus automatisch zu Erstarrung und zu Lehrsätzen mit objek-tivem Wahrheitsanspruch neigen muss, ist sicher für die Literatur der Moderne kaum mehr haltbar, obwohl diese Form immer wieder auch als Ort prägnanter poetologischer oder philosophischer Bestandsaufnahmen eingesetzt wird. Nicht zuletzt durch den französischen Surrealismus und durch vom lyrischen Vers genährte Verschiebungen hat sie sich zunehmend in die Richtung des Ephemeren treiben lassen, man denke hier etwa an die Logbücher von Pierre Reverdy oder an die Aufzeichnungen von Philippe Jaccottet, im deutschsprachigen Bereich auch an Peter Handke (nicht zufällig wird der vorliegenden Sammlung ein langes Zitat von Handke vorangeschickt), die diese Form öffnen für neue Wahrnehmungsformen und elementare Betrachtungen, die die Strenge aphoristischer Moralistik entweder hinter sich lassen oder aufsprengen.

Bei Ingeborg Horn sind es gelegentlich diese markanten, kurzen und apodiktischen Hauptsätze mit zuweilen auch moralisierenden und pastoralen Untertönen, die irritieren, bei denen der Punkt als Satzzeichen den Gedanken, zumindest auf den ersten Blick, geradewegs zu verpanzern scheint. Aber die Autorin ist gewappnet, was die Verfänglichkeit dieser Gattung betrifft. Sie scheint sich der Kühnheit und der Gefahren des Genres bewusst zu sein. Mehr oder weniger direkt fließen Bemerkungen ein, die die Schattenseiten und die widerspruchsvollen Herausforderungen des Aphoristischen thematisieren oder durchkreuzen:

"Ohne Punkt wird der Satz zu eng."
"Verse vollziehen Wendungen. Prosa will geradeaus."
"Abirrend treffen meine Gedanken das fruchtbarste Land."
"Ein Bonmot: ein Bonbon in Wortform."
"Alles ist ursprünglich ursprünglich. Alles andere ist nicht ganz wahr."

Offener und in ihren minimalistischen Bildwelten für die Vorstellungskraft der Leser herausfordernder, wirken andere Eintragungen, die durch Verknappung und Reduktion eine besondere Bildkraft evozieren:

"Altes Haus, neue Mülltonnen."
"Freundlichkeit, eine Naturschönheit."
Pfingstrosen; was für ein Fleck in der Landschaft."

Die sprachskeptischen Eintragungen, bei denen man sich zumindest gelegentlich auch einige selbstironische Töne gewünscht hätte, wiederholen sich in facettenreichen Bildern, die in ihrer Verbindung von Sprache und Schmerz, Schrift und Tod, Schreiben und Abwesenheit gelegentlich die Reflexionen Maurice Blanchots evozieren:

"Je näher ich komme, desto mehr fliegen mir alle Worte davon."
"Schreibend erzähle ich, dass ich stumm bin."
"Warten auf den Todesboten, der die stummen Grenzen der Sprache umschreibt."

Zwei der radikalsten Eintragungen, die diese Vorstellung der Abwesenheit im Leben und im Schreiben radikal heraufbeschwören, lauten:

"Schreiben - die merkwürdigste Todesart, die die Menschheit erfunden hat." und "Menschwerdung heißt: Verstummen."

Aber nun nochmals zurück zu den Figuren Undine und Huldbrand, die sich durch diese Eintragungen wie hinter einem Vorhang bewegen, hinter dem sie gelegentlich, als harmonisches, ideales Paar, oder im Zwist, sich missverstehend, hervorschauen und letztlich den Schlüssel auch für den Wechsel zwischen Sprachskepsis und Sprachvertrauen dieser Aufzeichnungen bilden. Was hat es auf sich mit diesen kurzen aber regelmäßigen Auftritten der beiden?

In dem Essay "Über Undine", der 2001 in der Zeitschrift "manuskripte" erschien, entfaltet die Autorin ihren Zugang zur Aktualität der Figur der Undine, deren Geschichte sie als eine ewig gültige vom Mythos der Menschwerdung deutet. Der Liebesmythos, wie er sich in der Liebe zwischen Undine und dem Ritter Huldbrand, dem Verpanzerten, offenbart - die Erzählung von de la Motte-Fouqué greift diesen alten Stoff in der Romantik wieder auf und findet auch in der Moderne neue Anknüpfungen, wird niemals zu Ende erzählt sein. Undine wird zum Inbegriff des elementaren, übernatürlichen, wandlungsfähigen Wesens, das eine Verbindung mit einem Sterblichen eingeht. Durch die Ehe mit Huldbrand tritt sie in den Widerstreit zwischen Natur und Zivilisation. In der Weiterentwicklung der Undinen-Erzählung im 20. Jahrhundert macht die Stringenz der Handlung "ihrer Fragmentierung Platz. Realitätsebenen schneiden sich, überlagern einander, verschwimmen ineinander, gehen abrupt ineinander über wie im Traumgeschehen". Es scheint, so die Autorin weiter, "als nähmen die Undinen des 20. Jahrhunderts die Erzählung von ihrer Menschwerdung nach und nach selbst in die Hand". In Ingeborg Bachmanns Erzählung etwa beginnt Undine selbst zu handeln durch Sprache, Wellen ähnlich, die sich brechen, neu einsetzen, die verstummen und dennoch immer wieder neu einsetzen. Bei Ingeborg Horn heißt es am Ende: "Hier bist du, Undine! Sieh dich um!"

Es zeichnet sich nun deutlicher ab, warum die Autorin auf diesen Mythos der Wandlungsfähigkeit, des "Immer-wieder-Zurückkommens" in einer neuen und eigenwilligen Weise zurückgreift. Er verhilft ihr in ihrem eigenen Schreibprozess vom Schreiben zum Stocken und vom Verstummen wieder zum Schreiben zu gelangen, um somit einen Zustand aufrechtzuerhalten, der sich bewegt zwischen Aufmerksamkeit und Unermüdlichkeit bei der Wahrnehmung der Welt und im Dichten selbst. Das ist ihr in vielen facettenreichen Notaten und poetischen Bildern gelungen. Allerdings hätte die Sammlung auf den zu stark erklärenden Untertitel, das zeigt sich nun umso deutlicher, verzichten können. Und vielleicht hätte eine gelegentliche Welle von Ironie oder Komik den Text in seinem vielversprechenden Streben nach Wandlungsfähigkeit noch erheblich bereichert.

Titelbild

Ingeborg Horn: Logbücher einer Meerjungfrau. Von den elementaren Grundlagen der Menschwerdung.
Literaturverlag Droschl, Graz 2002.
328 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-10: 3854205902

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