Frauen-Körper

Ergebnisse des Projektbereichs 'Körper' der Internationalen Frauenuniversität ifu 2000 in Hannover

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wir schreiben das Jahr 2000. In Hannover konstituiert sich die erste internationale Frauenuniversität "Technik und Kultur", genannt ifu, im Kontext der Weltausstellung EXPO 2000. Teilnehmerinnen aus aller Welt treffen sich für drei Monate, von Juli bis Oktober, und widmen sich der interdisziplinären und internationalen Erforschung verschiedener Gebiete: Intelligenz, Information, Körper, Wasser, Stadt, Arbeit, Migrationen. Einer der Projektbereiche dieses ersten Semesters der ifu ist 'Körper'. Dekaninnen dieses Bereichs sind Barbara Duden, Patricia McFadden und Sumati Nair. Inhaltliche Grundlage ist die seit den 70er Jahren anhaltende Forschung zum 'Körper' und die theoretischen Eckpunkte dieser Diskussion innerhalb der feministischen Theoriedebatten. Die feministische Forschung reicht dabei von der anfänglichen Fokussierung auf Subjekterfahrung als Erkenntniskategorie bis zur Analyse des Eingebundenseins dieser Kategorie in historische, soziale und kulturelle Kontexte. Die aktuelle Diskussion ist beeinflusst von Postmoderne und Poststrukturalismus und beschäftigt sich mit den Verfasstheiten von körperlicher Materialität und Macht, diskursiven Konstruktionen von Körper und der Relevanz von Gefühlen und Erlebnissen im Kontext von Machtstrukturen und patriarchalem Machterhalt.

Vor diesem Hintergrund beschäftigten sich die Teilnehmerinnen des Themenbereichs 'Körper' (in der Mehrzahl Doktorandinnen, aus Berlin, Brasilien, Kanada, Australien, England, USA, Neuseeland, Frankreich und Israel) auf vielfältige methodische Weise mit jeweils ausgewählten Fragestellungen. Ihre Beiträge zur Forschung liegen nun als Sammelband vor. Den Aufsätzen gemeinsam ist die kritische, interdisziplinäre und globale Perspektive. Die 23 Aufsätze sind untergruppiert in 'Körper und Institutionen', 'Körperwahrnehmungen', 'Körperliche (Re)Präsentationen als politische Praktiken' und 'Medizinische In(ter)ventionen'.

Der Beitrag von Blossom Hart dient der Einführung in das gesamte ifu-Projekt und den Bereich 'Körper', unterstützt von der Künstlerin Valeria Borbonus, die mittels der Gleichsetzung von Körperstrukturen, Kunst und 'Golem' die Situation von Künstlerinnen und Kunst während der ifu analysiert. Diese Verbindung von Wissenschaft und Kunst ist ein wichtiges Leitmotiv des interdisziplinären Ansatzes.

Im ersten Teil geht es um die Frage, in welcher Weise pädagogische Einrichtungen und Körper und Identität sich gegenseitig beeinflussen und formen. Analysiert werden Erfahrungen mit der Schule ('versteckter Lehrplan') und wissenschaftlichen Institutionen. Der zweite Schwerpunkt richtet sein Augenmerk auf körperliche Erfahrungen von Frauen und die Einbindung dieser Erfahrungen in historische, soziale und kulturelle Kontexte. Untersucht werden globale Erfahrungen mit Menstruation, feministisch orientierte ethnologische Feldforschung bei den Seereer Frauen im Senegal und Erfahrungen mit der weiblichen Brust. Daneben stehen literaturwissenschaftliche Textanalysen. Wie sehen reisende Frauen früherer Jahrhunderte andere Frauen und deren Körper? Wie formulieren Autorinnen die Begriffe 'Zuhause' und 'Dazugehören'? Das Kunstprojekt von Rothmüller inszeniert diese Spannung zwischen kultureller Zuschreibung und Eigendefinition des weiblichen Körpers.

Im dritten Abschnitt gehen Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen der Frage nach, wie politische Praktiken das Körpererleben formen. Aspekte sind hier die Implikationen des Schleiertragens, die Diskussion feministischer Positionen zur weiblichen Genitalverstümmelung, die komplexe Konstruktion von 'Schwarz-Sein' am Beispiel der Othello-Figur bei Shakespeare, die Analyse eines Films von Birgit Hein und dessen kolonialistische Perspektive, der Kontext von Kunst, Pornografie und Kunstgeschichte, Collagen und ein Text über Werbekampagnen und weibliche Körperdarstellungen sowie Fotos der Künstlerin Evi Chamouratidou (Teil des ifu-Gemeinschaftsprojekts Parchu'r).

Der letzte Schwerpunkt widmet sich der Institution 'Medizin' und deren Vorstellungen über den Körper. Die Beiträge greifen verschiedene Aspekte auf, so u. a. die Abtreibungsbedingungen in einem brasilianischen Elendsviertel, den Mythos der unbefleckten Empfängnis in der Reproduktionsmedizin im Vergleich mit literarischen Texten, die 'Körperkonzepte' von biomedizinischen Wissenschaften, neue Reproduktionstechnologien und schließlich den mütterlichen Körper, wenn das geborene Kind zur Adoption freigegeben wurde (der sog. aufgegebene mütterliche Körper).

Abgerundet werden die Aufsätze, Fotos, Bilder, Interviews, Darstellungen und Berichte durch einen kleinen Serviceteil, der die Teilnehmerinnen an diesem Projekt kurz vorstellt. Entstanden ist ein wichtiger Sammelband, der die Relevanz der ifu für den globalen Diskurs unterstreicht. Bleibt zu hoffen, dass die Arbeit der ifu weitergeht.

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Body Project (Hg.): KorpoRealitäten. In(ter)ventionen zu einem omnipräsenten Thema.
Ulrike Helmer Verlag, Königstein 2002.
448 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3897411016

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