Gute Frage

Peter Fritzsches Buch "Wie aus Deutschen Nazis wurden"

Von Hanna ChristiansenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hanna Christiansen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit dem Ende des Faschismus in Deutschland bemühen sich Historiker um Erklärungen, wie es zum Aufstieg und zur Machtübernahme Hitlers kommen konnte. Nicht unüblich ist dabei der Rückgriff auf die ,schmachvollen' Bedingungen des Versailler Vertrags von 1919 - ein Argument, das schon von der NS-Propaganda verwendet wurde. Auch dem amerikanischen Historiker Peter Fritzsche ist eine solche Argumentation zu einfach, und so stellt er in seinem aktuellen Buch Überlegungen dazu an, "Wie aus Deutschen Nazis wurden". Dieser Titel verspricht Erklärungen, neue Erklärungen, wie es kommen konnte zum deutschen Faschismus und seinen Auswüchsen - der Zerschlagung der Gewerkschaften, dem aggressiven Antimarxismus, dem zweiten Weltkrieg und der Vernichtung der Juden.

Durch die Zusammenstellung und Analyse von Briefen, Tagebuchaufzeichnungen, Zeitungs- und Rundfunkausschnitten und gängiger Forschungsliteratur wählt Fritzsche eine mentalitätsgeschichtliche Herangehensweise an den deutschen Faschismus. Er versucht, ein in sich schlüssiges Psychogramm "der Deutschen" zu entwerfen, und durch diese psychologisierende Erschließung des Themas entsteht ein leicht zu lesender, populärgeschichtlicher Text. Sein Ausgangspunkt ist der zweite August 1914, als unter anderem auch Hitler die Kriegserklärung des Deutschen Reichs an Russland und Frankreich auf dem Münchener Odeonsplatz hörte. In den Massenversammlungen des Sommers 1914 sieht Fritzsche die Idee der Nation und eines deutschen Volkes propagiert. Nach ihm neigen deutsche Historiker dazu, "das nationalistische Versprechen von 1914 zu übergehen, um ihre Darstellung des Nationalsozialismus mit der für die Nation traumatischen militärischen Niederlage von 1918 zu beginnen. Folglich beurteilen sie den Nationalsozialismus eher als das Resultat außergewöhnlicher Not denn als eine volkstümliche Mobilisierung und betrachteten die Naziwähler eher als Opfer der Umstände denn als willige Teilnehmer." Von diesem Standpunkt führt der Autor in vier Kapiteln seine Thesen zum Aufstieg des deutschen Faschismus aus. Seinen Überlegungen zum Nationalismus entsprechend, wählt er als zeitliche Eckdaten und Aufhänger den Juli 1914, November 1918, Januar 1933 und schließlich den ersten Mai 1933. Plausibel führt er aus, wie sich seit 1914 mit dem Kriegsbeginn ein neues deutsches Nationalgefühl entwickelt und von den Mächtigen unterschiedlichster politischer Couleur (Wilhelm II., Ebert, Brüning, Hindenburg, Hitler) für ihre jeweiligen politischen Zwecke benutzt wird. Zwar führt Fritzsche auch den Versailler Vertrag, die Weltwirtschaftskrise und die daraus resultierende Unzufriedenheit mit den regierenden Parteien als Gründe für den Aufstieg Hitlers und der NSDAP an, doch sieht er das Hauptmoment des deutschen Faschismus in der zunehmend befriedigten Sehnsucht nach einem deutschen Nationalgefühl. So hätten auch damalige Gesellschaftskritiker wiederholt beklagt, dass "den Deutschen volkstümliche Feiertage fehlten, wie sie die Amerikaner mit dem 4. Juli oder die Franzosen mit den 15. August [sic!] besitzen." Endlich bekommen sie einen solchen Nationalfeiertag mit dem 30. Januar 1933, dem ,Tag der nationalen Erhebung'. Dahinter treten alternative Erklärungen, die Fritzsche auch anführt, wie die Zersplitterung der Parteien, die Interessenvertretung von Großgrundbesitzern und Industriellen in den Jahren der Wirtschaftskrise durch die liberalen und konservativen Parteien, die hohe Arbeitslosigkeit und zunehmende Verarmung der Arbeiter, deutlich zurück. Zwar betont Fritzsche, dass die bürgerlichen Parteien (Sozialisten, Kommunisten und Zentrum) sich weiterhin behaupten konnten - trotz Verlusten bei den Wahlen im Juli und November 1932 - aber auch er liefert keine Antworten, warum sie sich dennoch nicht gegen die Faschisten durchgesetzt haben. Nicht in Erklärungszusammenhänge bringt der Autor die Zustimmung der Arbeiter (die circa ein Drittel der NSDAP-Wähler stellten) zur Gewerkschaftspolitik der Faschisten, konnten die Gewerkschaften doch 1918 ihre Mitgliederzahlen verdoppeln. Schwer nachzuvollziehen ist, Fritzsches Auffassung, dass den Frauen im Faschismus genügend Raum gelassen wurde, um "in der nationalen Revolution eine wesentliche Rolle zu spielen." Dass die Nazis die Errungenschaften der Frauenbewegung bis dahin zerschlugen und ihr den Platz als Gebärerin und Mutter in der Gesellschaft zuwiesen, erwähnt der Historiker nicht. Erstaunlich ist darüber hinaus, dass er Grundpositionen Hitlers, wie den "rassistischen Jargon seines Sozialdarwinismus, sein[en] allumfassende[n] Antisemitismus und die brutalen eugenischen Maßregeln" von den meisten Wählern der NSDAP nicht geteilt sieht. Stellte man diese Aspekte in den Vordergrund, ließe man nach Fritzsche außer acht, "auf welche Weise sich die Nazis von den anderen Parteien unterschieden". Folgt man Fritzsche, war der Zuspruch für die Faschisten deshalb so groß, weil sie "politische und ideologische Neuerer" und eine "revolutionäre Bewegung" waren. Die Inhalte dieser "Revolution" waren die Aufnahme von Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Eugenik, Osterweiterung u. v. a. ins parteipolitische Programm, so dass Fritzsches Schlussfolgerung, die Faschisten hätten die Wähler v. a. durch die Hervorhebung des Nationalgedankens an sich gebunden, an dieser Stelle nicht überzeugt. Insgesamt bietet das Buch mit der Ausführung des Nationalgedankens und

-gefühls als einem Ausgangspunkt des deutschen Faschismus einen einleuchtenden, wenn auch nicht innovativen Forschungsaspekt, welcher zumal durch die Hintanstellung so gewichtiger Themenkomplexe wie Weltwirtschaftskrise, Parteienzersplitterung etc. deutlich überbewertet ist.

Titelbild

Peter Fritzsche: Wie aus Deutschen Nazis wurden.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Hans J. Schütz.
Pendo Verlag, Zürich 1999.
304 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3858423610

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