Was sie tatsächlich jetzt war, ist schwer zu sagen

Über Ruth Landshoff-Yorcks "Roman einer Tänzerin"

Von Anke HeimbergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anke Heimberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Tanz spielt in Ruth Landshoff-Yorcks biographischem "Roman einer Tänzerin", 1932/33 entstanden und nun aus dem Nachlass herausgegeben, eine eher beiläufige Rolle. Das mag daran liegen, dass auch das reale Vorbild der Autorin, die heute vergessene polnische Tänzerin Lena Amsel (1898-1929) im Berlin und Wien der Zwischenkriegszeit eher mit aufgebauschten, die Klatschspalten der Zeitungen füllenden Skandalen und Skandälchen denn als profilierte Repräsentantin einer neuen Tanzkultur, des 'freien Ausdruckstanzes', einige Popularität erlangte. "Ihr Körper war nicht besonders schön, ihre Technik geringer als die eines drittklassigen Tanzgirls", weiß Landshoff-Yorck zu berichten. Übrigens war die Autorin mit der von ihr beschriebenen Zeitgenossin persönlich bekannt: Delikaterweise teilte sie mit ihr zeitweilig denselben Liebhaber, den expressionistischen Dichter Karl Vollmoeller, was den leicht abschätzigen Unterton ihrer Beschreibung von Amsels Tanzkünsten, "diese Art abgestandene Dämonie", mit erklären mag. An den Erfolg ihres Tanzes glaubt Landshoff-Yorcks Protagonistin selbst nicht so recht und lebt nur manchmal davon, wenn sie keinen männlichen Verehrer finden kann, der für ihren Lebensunterhalt aufkommen will. Als die erst 31jährige mit ihrem Rennwagen tödlich verunglückt, muss einer ihrer geschiedenen Ehemänner verwundert konstatieren, er habe "sie nie tanzen gesehen und die Leute behaupteten, sie sei ohne jedes Talent." Vor dem tödlichen Autounfall der Lena Amsel, der sich am 2. November 1929 in der Nähe von Paris ereignete, lagen eine Kindheit als Tochter jüdischer Fabrikanten in Lodz, eine abgebrochene Ausbildung an der Tanzschule in Dresden, ein wildes Bohémeleben in den Berliner und Wiener Bars und Cafés der frühen zwanziger Jahre, rastloses Reisen zwischen den angesagten und möndänen Metropolen der Zeit, Leben auf dem Land als Bäuerin, drei Ehemänner und unzählige Affären sowie - nach einer Identitätskrise - ein Neuanfang als dilettierende Malerin und Bildhauerin in der Pariser Boheme von Montparnasse.

"Was sie tatsächlich jetzt war, ist schwer zu sagen. Idol oder Maitresse, Muse oder Geliebte, geheimnisvoll Bewegte, die Polin, [...] die Frau mit der stärksten Gesundheit, die nahm und gab in Fülle und für die man sich, obwohl sie ganz ohne Ziel war, auch für die Zukunft keine Sorgen machte." Am kurzen Leben der Lena Amsel interessierte Ruth Landshoff-Yorck - das wird spätestens mit dem vorangegangenen Zitat deutlich - wohl weniger deren mäßiger Erfolg als Tänzerin. Vielmehr war sie vom schillernd-wilden Lebensentwurf Amsels fasziniert, den nicht nur sie romanhaft festhielt, sondern der auch Eingang in die literarischen Werke zeitgenössischer Autoren fand - wie Klaus Mann ("Treffpunkt im Unendlichen", 1932) und Annemarie Schwarzenbach ("Pariser Novelle", 1929). Einem eigenwilligen Lebensentwurf jenseits von tradierten Normen und starren sozialen Rollen, der sich vor allem im unglaublich schnellen Lebensrhythmus Lena Amsels - kein Zufall wohl, dass sie mit einem schnittigen Bugatti in den Tod raste -, in ihrem experimentellen Umgang mit bestehenden Geschlechterrollen und -verhältnissen und ihrem radikalen Ausleben dessen, was heute mit dem Begriff 'freie Sexualität' umrissen ist, ausdrückte. Im "Roman einer Tänzerin" geht es Ruth Landshoff-Yorck also in erster Linie darum, am Beispiel Lena Amsels einen neuen Frauentyp, das Ideal der selbstbestimmten Frau der zwanziger Jahre, literarisch zu gestalten. Die Biographie der realen Person dient ihr dabei lediglich als literarischer Aufhänger. Deshalb ist der "Roman einer Tänzerin" auch siebzig Jahre nach seiner Entstehung, nachdem das heutige Lesepublikum mit der historischen Hauptfigur und den zahlreichen subtilen und eindeutigen Anspielungen auf längst vergessene Ereignisse und reale Vorbilder kaum mehr etwas zu verbinden weiß, sich noch immer selbst genug - was sicherlich für seine Qualität spricht. Der den Roman begleitende Text des Herausgebers Walter Fähnders, der hier den hervorragend recherchierten historischen Hintergrund zum Buch liefert, unterstreicht diesen Eindruck noch zusätzlich. Um das kultur- und literaturgeschichtlich als 'Neue Frau' definierte Frauenideal der Zeit, dem Ruth Landshoff-Yorck, so Fähnders Nachwort, in Lebensstil und modischem Aussehen weitgehend selbst entsprach, literarisch zu transportieren, griff sie nicht zufällig nach biographischen Erzählverfahren, sondern folgte bewusst einem populären Lesetrend der späten Weimarer Republik. Darum erwog die Autorin bei den Fahnenkorrekturen im März 1933 vermutlich auch, den vorgesehenen Titel "Roman einer Tänzerin" in den (Verkaufs-)Erfolg versprechenderen Titel "Leben einer Tänzerin" abzuändern.

Es blieb bei den Druckfahnen - mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland konnte sich der Rowohlt Verlag, der schon Ruth Landshoff-Yorcks Erstling "Die Vielen und der Eine" (1930) publiziert hatte, eine Autorin jüdischer Herkunft, die offensiv das emanzipatorische Frauenbild und die gewandelten Geschlechterrollenvorstellungen der Weimarer Republik vertrat, nicht mehr leisten. Jetzt, nach über siebzig Jahren, kann der "Roman einer Tänzerin", ein kleines, aber feines Stück emanzipativer Frauenliteratur der zwanziger Jahre, endlich vom deutschsprachigen Lesepublikum entdeckt werden.

Titelbild

Walter Fähnders (Hg.) / Ruth Landshoff-Yorck: Roman einer Tänzerin.
AvivA Verlag, Berlin 2002.
157 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3932338154

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