Erfolgreiche Wiederbelebung

Der "Verband der deutschen Kritiker" dokumentiert sich selbst

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 27. November 1936 verbot Goebbels die Literaturkritik. Den Nazis galt dieses Kind der Aufklärung als "artfremd", als "jüdisch-zersetzend". Substituieren sollte die Kunstkritik die aufbauend-fördernde "Kunstbetrachtung". Ihr alleiniger Zweck war die lobende Würdigung "deutscher" Kunst. Dergestalt jahrelang ausgeschaltet, wurde die kritische Tradition hierzulande nach Kriegsende wirkungsvoll revitalisiert. Genau dazu, zur Wiederbelegung und Förderung der Literatur- und Kunstkritik in Deutschland, wurde 1950 in Berlin der "Verband der deutschen Kritiker e. V." gegründet, ein Zusammenschluss der in der gesamten Bundesrepublik als Kritiker tätigen Publizisten. Öffentlichkeitswirksames Aushängeschild dieses ansonsten eher im Verborgenen arbeitenden Vereins sind die jährlich in acht Sparten vergebenen (undotierten) "Kritikerpreise", deren Auswahl eine dreiköpfige Jury trifft. Im Übrigen dient der Verband dem Informationsaustausch zwischen seinen Mitgliedern sowie Vertretung ihrer Interessen gegenüber Behörden und Institutionen.

Aus Anlass des 50-jährigen Vereinsbestehens im Jahr 2000 erschien im Hamburger von Bocken Verlag ein von Werner Schulze-Reimpell herausgegebenes Sammelbändchen, zu einem Preis, der schon auf DM-Basis wirkungsvoll vom Kauf abhalten würde. Sein Titel, der eines der im Literaturbetrieb wohl meist zitierten Goethe-Worte aufgreift, will auf die heute vielleicht nicht gefährliche, immerhin aber doch gefährdete Situation der Literaturkritik aufmerksam machen, mag jedoch auch ein wenig von Selbstironie zeugen. Der Band dokumentiert einerseits die Vereinsgeschichte, wozu etwa die erste Satzung aus dem Jahr 1950, ausgewählte Protokolle von Hauptversammlungen sowie von Jahreshauptversammlungen und eine Übersicht der Vorstandsvorsitzenden gehört. Den Schwerpunkt bilden jedoch ausgewählte Dankesreden von vergangenen Preisverleihungen sowie knappe metakritische Reflexionen erfahrener Praktiker. Zu den namhaftesten Beiträgern gehören Frank Wössner, Jürgen Flimm, Benjamin Henrichs, Peter Iden und Manfred Sack.

Seine heutige Legitimation bezieht der Verein aus der zweifellos richtigen Feststellung, dass die Freiräume für Kunst und Kritik erneut bedroht sind, diesmal durch die, mit Hans Magnus Enzensberger gesprochen, Ersetzung des Kritikers durch den "Zirkulationsagenten", während der Kulturbetrieb zugleich massiv von Einsparungen und anhaltender Wirtschaftskrise betroffen ist. Wobei die vom Herausgeber in seinem Beitrag beklagten verschlechterten Arbeitsbedingungen in Form von nur einer Freikarte für den Premierenabend wohl - aus dem Abstand von zwei Jahren Wirtschaftskrise betrachtet - noch am ehesten zu verschmerzen sein dürften: Besser noch ein Auftrag, bei dem sich der Kritiker oder die Kritikerin die Karte für seine bzw. ihre Begleitung selbst kaufen muss, als gar kein Auftrag mehr, muss man heute wohl sagen. Was aber nun der "Verband der deutschen Kritiker", außer den erwähnten Preisverleihungen, heute konkret zum Erhalt der Kritik in Deutschland beiträgt, darüber erfährt man aus dem Buch nur wenig.

Titelbild

Werner Schulze-Reimpell (Hg.): "Schlagt ihn tot den Hund...". Fragen und Antworten zur Kritik in der Erlebnisgesellschaft.
Von Bockel Verlag, Hamburg 2000.
115 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-10: 3932696417

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