"Ist nichts zu loben, schweige ich"

Hermann Hesses gesammelte Rezensionen aus den Jahren 1917 bis 1925

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Nein, ich will nicht mehr rezensieren, nie mehr. Aber einige Bücher nennen, die mir in den letzten Monaten wertvoll geworden sind." Hermann Hesse sind viele Bücher wertvoll geworden. In den mehr als 60 Jahren, in denen er als Kritiker für Dutzende von Zeitungen und Zeitschriften tätig war, veröffentlichte er mehr als 3.000 Rezensionen. Damit könnte er der produktivste Rezensent aller Zeiten gewesen sein.

Aber war Hesse überhaupt ein Literaturkritiker? Oder war er nicht eher ein Literaturliebhaber, der andere an seinen Entdeckungen teilhaben lassen, sie zu eigenen Lese-Expeditionen anregen wollte? Sicher ist: Als Kritiker war Hesse das genaue Gegenteil eines Alfred Kerr. Sich auf Kosten der Literatur mit rhetorischen Mätzchen in Szene zu setzen, war Hesse ebenso zuwider wie das Schreiben von Verrissen generell: "Das Positive zu sehen und zu betonen, schien mir immer die Hauptaufgabe dessen, der zwischen Lesern und Büchern vermittelt. Darum habe ich auch nur ganz wenige Male in meinem Leben öffentlich getadelt. Ist nichts zu loben, schweige ich."

Hesse sah seine Rezensentenarbeit als Dienst am Publikum und an der Literatur. Er wollte mit ihr auf lesenswerte neue Literatur, vor allem aber auf vergessene alte aufmerksam machen. Dass seine Kritik jedoch seit dem Ersten Weltkrieg primär im Zeichen von Völkerverständigung und von Zeit- und Gesellschaftskritik stand, wird deutlich anhand des jüngst erschienenen dritten Bandes von "Die Welt im Buch". Der erste der auf fünf Bände angelegten, von Volker Michels besorgten Gesamtausgabe von Hesses literaturkritischem Werk erschien 1988, der zweite 1998.

Die Politisierung der Literaten, die in den Kriegsjahren begann und in den zwanziger Jahren ihren Höhepunkt erreichte, sie prägte auch Hesses Schaffen. Den Boykott "feindlicher Literaturen" ignoriert er beispielsweise, indem er 1917 die deutsche Ausgabe von Auguste Rodins Buch über die "Kathedralen von Frankreich" feiert, "während über so vielen Kathedralen des Westens noch immer das Verhängnis schwebt." Nach dem Krieg zeigt Hesse lakonisch ein "Anekdotenbuch zum Frieden" an: "Es wird zu den ersten gehören, die beim Beginn des nächsten Krieges verboten werden. Eine große Zahl dieser Sprüche und Anekdoten gehört in unsere Schul-Lesebücher, bequemen Kulturministerien seien sie zur Ausfüllung der Lücken empfohlen, die durch den Wegfall der Hohenzollernhymnen entstanden sind." Die aus den Jahren 1917 bis 1925 stammenden Beiträge stellen, nach den Worten Volker Michels, "die wohl kämpferischste Phase seines journalistischen Einsatzes [dar], voller Hoffnung auf einen entschlossenen Neubeginn nach dem Bankrott des Feudalsystems mit seiner Kasernenhofkultur".

"Das deutsche Volk liest bekanntlich seine geistvollsten Dichter nur wenig", ermahnt Hesse da ein ums andere Mal das Publikum. Jener Dichter, der wie vielleicht kein anderer im 20. Jahrhundert an die Werte und Ideale der Weimarer Klassik und Romantik erinnerte, sah im Rekurs auf diese Hochzeit deutscher Geistesgeschichte den Ausweg aus dem geistigen und politischen Nachkriegschaos. Und mehr als einmal hört der Leser von ferne schon das Kommende. "Daß ein wertvolles geistiges Gut, niedergelegt in unzähligen gedruckten Büchern, durch einen fanatischen Beschluß des Terrors tatsächlich vernichtet werden könne, scheint keinem glaublich", schreibt Hesse 1924. "Daß aber ein ganzes Volk [...] die gewaltige Schatzkammer seiner besten Güter, seiner Dichter und Denker, vergessen, vernachlässigen und damit in der Tat verlieren kann, dies ist schon des öfteren geschehen [...]." Was er da wohl erst heute, im Zeichen von Pisa-Studie und Bildungsnotstand, schreiben würde?

Titelbild

Hermann Hesse: Die Welt im Buch. Leseerfahrungen Band 3: Rezensionen und Aufsätze.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
803 Seiten, 45,80 EUR.
ISBN-10: 3518413414

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