Die verführerische Ästhetik reiner Bilder

Baudrillards lakonische Fotos

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jean Baudrillard, bekannt als Soziologe und Existential-Anthropologe, der die Sozialgeschichte der Menschheit als eine der Verdrängung des Todes beschreibt und über die Verführung des Konsumenten durch die werbende Ware theoretisiert, ist zugleich einer der führenden Kunsttheoretiker der 80er Jahre. Stilbildend hat er gewirkt, indem er den Simulationismus beeinflußte. Nun ist er selbst als Kunstschaffender mit einer Ausstellung hervorgetreten. Anfang dieses Jahres zeigte die Neue Galerie Graz am Landesmuseum Johanneum Fotografien aus den Jahre 1985 bis 1998.

Der Katalog in hervorragender Druckqualität wird von Christa Steinle eingeleitet, deren lautstarke Wirbel auf der Werbetrommel Baudrillard wahrlich nicht nötig hat. Beinahe schon peinlich wirkt die Behauptung, daß seine Theorien "fast zu Allgemeingut geworden" seien, zumal man eher umgekehrt den Eindruck haben kann, als sei die Theoriebildung inzwischen in gewissem Grade über ihn hinweggegangen. Zu den heiß umstrittenen oder pflichtgemäß zu zitierenden Autoren zählt er kaum noch.

Von Baudrillard selbst stammen im Katalog zwei Texte: "Denn die Illusion steht nicht im Widerspruch zur Realität..." und "Es ist das Objekt, das uns denkt...". In ihnen entwirft er seine These des Motivs, des fotografierten Objekts also, als dem eigentlichen Subjekt des Akts der Fotografie. So sei es das "Objekt, das uns sieht [...], das uns träumt. Es ist die Welt, die uns reflektiert, es ist die Welt, die uns denkt. Das ist die Grundregel." Diese Umkehrung des Subjekt-Objekt-Verhältnisses weist deutlich Parallelen zu Baudrillards Theorie des Verhältnisses von Konsument und Ware auf. In der noch radikaleren Behauptung, die "Magie des Fotos" bestehe darin, "daß das Objekt alle Arbeit" mache, hört man überdeutlich Baudrillards großen Lehrer Lacan sprechen. Dennoch sind diese Thesen zunächst ebensowenig einsichtig wie die, daß die Fotografie das "reinste" Bild sei, weil sie "weder Zeit noch Bewegung simulier[e] und sich an den strengsten Formalismus" halte. Jeder Fußballfan hat da sofort Bilder von durch rasante Bewegungen im Bild verwischten Sportlern und ins Netz geschlagenen Bällen vor Augen. Kunstsinnigeren hingegen mag eher Karin Székessys "Interieur mit zwei Modellen" einfallen. Für Baudrillards eigene Bilder jedoch ist seine These akkurat formuliert. Womit nur deutlich wird, daß er eben ein Kunsttheoretiker und Kunstschaffender ist, der einen eigenen Stil kreiert hat, der ihm dann alles ist.

Das zeigt auch seine Behauptung, daß "fotografische Fokussierung" von Menschen "unmöglich" sei, da ihre "psychologische Fokussierung so sehr zu wünschen übrig" lasse. Fast klingt das wie eine Schuldzuweisung. Doch darauf, so Baudrillard, komme es im Grunde gar nicht an. Vielmehr gehe es darum, ihre "geheime Alterität", ihr nicht offenbares und offenbartes anderes Ich, im Bild zu bannen. Dieser Aufgabe stellt sich Baudrillard jedoch in seinen ausgestellten Bildern nicht. "Warum", so fragt er sich statt dessen, "warum nicht einfach Objekte fotografieren, wo wenigstens das Verschwinden des Menschen klar ist, und wo dieser auf eine bestimmte Art und Weise viel besser existiert, sofern man auf ihn nur eine Anspielung durch Transparenz macht?" Das ist es, worum es ihm geht, und das gelingt ihm so gut wie kaum jemandem sonst. Daher wirken seine Fotografien von Städten, Häusern, Straßen, Wänden, Autos - so farbenfroh und leuchtend sie auch sein mögen - trist und die auf ihnen gelegentlich erscheinenden Menschen verloren. Daher sind die Bilder auch mit so kargen Angaben versehen, nur Aufnahmeort und -jahr sind angegeben. Es handelt sich um eine "Ästhetik der Absenz", die Peter Weibel lapidar und überaus treffend in seinem Nachwort charakterisiert: "Der Lakonismus der Dinge ist der Grund für ihre Schönheit. Diese Schönheit fotografiert Baudrillard auf lakonische Weise."

Kein Bild

Jean Baudrillard: Im Horizont des Objekts. Objekte in diesem Spiegel sind näher als sie erscheinen. Fotografien 1985-1998.. Zur Ausstellung in der Neuen Galerie Graz am Landesmuseum Joanneum v. Jan.-Febr.
Hatje Cantz Verlag, Ostfilden-Ruit 1999.
223 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3893229841

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