Wallfahrt in die Hellhörigkeit

Friederike Mayröckers Buch: "Die kommunizierenden Gefäße”

Von Ron WinklerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ron Winkler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es liegt nahe, in den kommunizierenden Röhren, die Friederike Mayröcker in ihrem jüngsten Prosatext anspricht, energetische Momente zu vermuten. Momente, die eine Poesie entzünden. Momente, die durch die Kanäle einer wachen poetischen Wahrnehmung neu definiert, die aus ihrer Alltags-, ihrer Ausdrucksnormalität gerissen werden. Momente, die so etwas wie die Gottesbeweise des Dichters sind und den Dingen zu einer besonderen Realität verhelfen.

Man muss großflächig wahrnehmen, um auf das Potenzial eines Details zu stoßen. Friederike Mayröcker nennt diese Methode, den Dingen aufzulauschen und aus ihnen neue Dimensionen herauszuzaubern, ein Hineinteufeln. Es gilt ihr, sich aus der üblichen Sichtweise hinaus zu schieben in das, was man das Wunderbare genannt hat, "jeden Handgriff [...] zu verbalisieren, das ist i Schreiben hinter dem Schreiben, sage ich, es löst sich alles in Sprache auf".

Die Prosa dieser Autorin, dieser permanenten Dolmetscherin in die Sprache der Poesie, gibt neben der Selbstbeobachtung bis -verfolgung, -erläuterung dem unverhofften Raum, Fläche, Gefäße: "ich meine diese rasende Poesie, [...] als wie in der offenen Hand, der Ameisen Clan, ich meine der winzige Ameisenhaufen sich rührte, in meiner Hand, sage ich, nämlich nicht das gelenkte Denken, wie Tristan Tzara schreibt, also das Zügellose, und wie es einen hinaus in den Sturm peitscht, was eigentlich bedeutet Aufwertung des Irrationalen, nicht wahr."

In den Beugungen dieses Schreibens formuliert sich das Magische einer Erfassung, der neue Charakter einer Erscheinung, das "Blümelzeug", von dem schon so viele Autoren profitierten.

"ich bin ein Wallfahrtsmensch", schreibt Mayröcker, was bei ihr heißt, sich immer weiter voran zu tasten und zu testen. "Die kommunizierenden Gefäße" sind Dokument einer "beständig inständige[n] Phantasie", einer Suchtsuche nach dem Inneren/Anderen der Gefäße. Es sei eben auch zu "kompliziert, unsere Nerven zu vertreiben".

Diese Prosa erlaubt eine immense Begegnung. Sie ist nicht Literatur als Fabrikat, sondern Literatur als Resultat eines literarischen Lebens, äußerst reiz- und tauchwillig dem Schreiben gewidmet. Noch das Unscheinbare, das beiläufige Sinnieren gehört zu den Arbeitsgefäßen einer Autorin, die zeitlebens konsequent einen Spiegel auf sich selbst mit sich führte. Einen Spiegel neben und vor sich und durch sich hindurch. Einen Ariadnefaden ins vorher noch-nicht-so Determinierte. Manches, was als Redundanz erscheint, relativiert und rechtfertigt sich vor diesem Hintergrund.

"Die kommunizierenden Gefäße" ist aber nicht nur eine Wallfahrt in die Hellhörigkeit, sondern ein Trauertext. Der Schmerz um den Verlust des Lebens- und Liebesgefährten Ernst Jandl macht den Text zu einem Zwiegespräch mit dem Toten. Besser: mit der Aura des noch Lebenden, die in erinnerten und aufgezeichneten Sätzen den Text durchmustert.

Aber das Buch ist nicht nur Aufwühl- sondern auch Beruhigungsbogen. Trotz des "weinen steht auf dem Tagesprogramm", trotz des Verlusts von Inspiration und Nähe weist die Prosa gelegentlich eine dem eigenen Schreiben gegenüber schon fast marode Unbeschwertheit auf. Mayröcker kokettiert von Anfang an mit der Form, die in gewisser Hinsicht plastischer ist als frühere Arbeiten. "Es wäre schön, könnte ich diesen Text 'wie süß sind verständliche Worte' nennen", schreibt sie gleich zu Beginn - "wie gefiele Ihnen das, verehrter Leser, geschätzter Hörer?"

Mayröcker changiert zwischen der Klarheit eines Berichts und dem Eigenwillig-Poetischen. Innerhalb eines Satzes kann es heißen "'ich hasse das plane Erzählen'" und "'ich sehne mich nach dem planen Erzählen'". Auf einen weiteren Wettlauf dieser Konzepte muss man gespannt sein.

Titelbild

Friederike Mayröcker: Die kommunizierenden Gefäße.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
100 Seiten, 7,00 EUR.
ISBN-10: 3518124447

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