Hetären- und Teegespräche

Ein Sammelband zur rhetorischen Konstruktion von Geschlechterdifferenz

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Mann ein Wort, eine Frau ein Wörterbuch. Gemeint ist mit dieser misogynen Invektive natürlich nicht, dass man Frauen wegen Auskünften konsultieren kann, die sie konzis und verlässlich wie ein Wörterbuch zu geben pflegen, sondern ganz im Gegenteil, dass sie geschwätzig, weitläufig und klatschsüchtig sind wie, nun ja - wie Waschweiber.

Die Mär vom geschwätzigen und unglaubwürdigen Weib hat nicht nur in zahlreiche Spruch'weisheit' Eingang gefunden, auch gemeinhin als seriös geltende Institutionen wie die Rechtssprechung sitzen ihr von Alters her auf. Den vielfältigen Spuren einer "Kultur der Skepsis gegenüber weiblichen Zeugen", die von der Antike und den Germanen bis in die Gegenwart reicht, geht Christine Künzel in einem erhellenden Aufsatz nach. Ebenso wie die Germanen ließ die griechische Antike Frauen als Zeuginnen vor Gericht gar nicht erst zu. Das römische Recht gestattete immerhin ausnahmsweise die Möglichkeit einer weiblichen Zeugenschaft. Dass jedoch auch für die Römer recht eigentlich nur ein Mann als Zeuge in Frage kam, schlug sich schon in der lateinischen Sprache nieder. So weist Künzel darauf hin, dass der Terminus "testis" sowohl den Hoden als auch das "Zeugen vor Gericht" bezeichnet. Eine ähnliche Doppelbedeutung findet die Autorin in dem deutschen Verb "zeugen".

Erst im 18. und 19. Jahrhundert vollzog sich langsam ein Prozess der formalrechtlichen Gleichbehandlung der Geschlechter. Wie Künzel feststellt, verlagerte sich die Skepsis gegenüber der Glaubwürdigkeit von Frauen dabei allerdings nur auf eine andere Diskursebene, nämlich in den Bereich der Kriminologie und vor allem der forensischen Psychologie. So stellen Frauen auch heute noch die am häufigsten auf ihre Glaubwürdigkeit hin überprüfte Gruppe. Mehr als 96 Prozent der von Gerichten für erwachsene ZeugInnen eingeforderten rechtspsychologischen Glaubwürdigkeitsgutachten gelten Frauen. Meist handelt es sich um Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind die Gerichte offenbar nicht von der Einschätzung des Kriminalpsychologen Oskar Paul Dost abgerückt, der 1963 das "Vortäuschen von Notzucht" als "durchaus weiblich" erklärte. Tatsächlich aber liegt bei Beschuldigungen wegen Vergewaltigung der Anteil von Falschanzeigen zwischen einem und acht Prozent und somit niedriger als bei anderen Delikten. Problematisch ist also nicht die vermeintlich geringe Glaubwürdigkeit von Frauen, sondern vielmehr dass sie für wenig glaubwürdig gehalten werden.

Christine Künzel trug ihre erhellende Ausführungen auf einer im Jahre 2001 durchgeführten Tagung vor, die dem Verhältnis von Rhetorik und Geschlechterdifferenz galt. Die Referate der Veranstaltung sind nun in einem von Doerte Bischoff und Martina Wagner-Egelhaaf herausgegeben Sammelband mit dem Titel "Weibliche Rede - Rhetorik der Weiblichkeit" nachzulesen.

In einem einleitenden Text stellen die Herausgeberinnen nicht nur einige bemerkenswerte Thesen zum Rhetorikverständnis des Dekonstruktiven Feminismus zur Diskussion, sondern glänzen nebenbei auch noch mit scharfsinnigen Bemerkungen über die Talkshow-Kontroverse zwischen Alice Schwarzer und Verona Feldbusch, wobei sie auch einen Blick auf die Rhetorik der journalistischen Reaktionen werfen. Was den Rhetorikbegriff des Dekonstruktiven Feminismus betrifft, so monieren sie, dass die "Rhetorizität" der Erkenntnis des dekonstruktiven Feminismus, der zufolge 'Weiblichkeit' und 'Männlichkeit' keine natürlichen, sondern rhetorische Kategorien sind, eine "signifikante Verengung" der Rhetorik auf nur wenige rhetorische Figuren beinhalte. Das führe dazu, dass die Erörterung "politischer Handlungsmacht" und "rhetorischer Selbstbehauptung" ausgeblendet werde. Gerade sie habe jedoch in der Geschichte der Rhetorik ein wesentliche Rolle gespielt. Eine Möglichkeit, die Fragen politischer Handlungsmacht und rhetorischer Selbstbehauptung wieder zusammenzubinden, sehen die Autorinnen in Judith Butlers theoretischem Modell, dessen "kultursemiotische Ausweitung der Perspektive auf Verfahren der Bedeutungskonstitution durch soziale Praktiken und kulturelle Symbole sowie auf Medien und Technologien der Macht" für die dekonstruktive Geschlechterforschung ebenso "anschlussfähig" sei wie für Feministinnen, "die eher nach der politischen und sozialen Handlungsfähigkeit (von Frauen) fragen". Wie Wagner-Egelhaaf in einem weiteren Beitrag bemerkt, lehrt Butler "nicht zufällig" an einem Rhetorik-Department. Umso erstaunter zeigen sich die Herausgeberinnen allerdings darüber, dass Butler den Begriff der Rhetorik "kaum programmatisch [...] profiliert". Genau hier, so Bischoff und Wagner-Egelhaaf, setzt die in dem Buch dokumentierte Tagung an.

Der sehr weit gespannte Themenkreis, der von der "Rhetorik der Weiblichkeit und de[m] autobiographischen Pakt" bei Margareta Ebner (Susanne Bürkle) über die "Rhetorik der Echo" (Bettine Menke) und der Darstellung von "Weiblichkeit als Bild" und "Männlichkeit als Rede" in Otto Premingers Film "Laura" (Katharina Sykora) bis hin zu den "Actio-Strategien moderner schwedischer Politikerinnen" (Brigitte Mral) reicht, ist in die vier Sektionen "Rhetorik - Macht - Bildung", "Figur(ation)en weiblicher Rede", "Actio - Stimme - Körper" und schließlich "Repräsentationen" unterteilt.

In der ersten Abteilung geht die von Martina Wagner-Egelhaaf zurecht als "wichtige Impulsgeberin" für die feministische Relektüre der rhetorischen Tradition in den USA gerühmte Rhetorikprofessorin Andrea A. Lunsfeld, grundsätzlichen Fragen der Beziehung zwischen Feminismus und Rhetorik nach, und fordert, "feminism and rhetoric more closely into alliance with one another" zu bringen. Dazu sei es nicht zuletzt notwendig, "to demonstrate what feminism had to gain/learn from such an alliance". Der Beginn einer näheren Zusammenarbeit könnte darin bestehen, zunächst eine zeitgenössische Grammatik und einen Wortschatz zu bilden, die zu "recognizing and revaluing practices" fähig seien, welche bisher noch ausserhalb "realm of rhetoric" liegen. "Feminist rhetoricians should take lead - to identify, theorize, an systematically practice and teach alternative forms of rhetoric, to subjectivity, and of the ownership of textual production", lautet ihr alles andere als bescheidenes aber durchaus erstrebenswertes Ziel. Einige Autorinnen haben hier allerdings schon vorgearbeitet. Lunsford nennt etwa die afroamerikanische Feministin und Anglistikprofessorin bell hooks, die "elemental-feministische" Philosophin und Autorin von "Webster's First New Intergalactic Wickedary of the English Language" (1987) Mary Daly, die hexische Ökofeminstin, Psychologin und Dozentin am Institute for Culture and Cration Spiritualety in Oakland Starhawk, die in ihren Werken der "Urreligion der Großen Göttin" huldigt, und Sally Miller Gearhart, die Schöpferin, des phantastisch-feministischen "Wanderground" (1979). Die Werke dieser und einer Reihe weiterer namentlich genannter Frauen "will yield a distinctly feminist theory of rhetoric". Sicherlich keine unzutreffende Aussage. Auch erhebt die Liste wohl kaum Anspruch auf Vollständigkeit, dennoch sticht ihre US-Lastigkeit ins Auge. Zumindest hätte man erwartet, die Anfang des Jahres im Alter von 67 Jahren verstorbene Vorreiterin des französischen Feminismus Monique Wittig auf ihr zu finden, die 1969 mit der sprachexperimentellen Utopie "Les Guéllirères" hervortrat und 1975 zusammen mit Sande Zeig das "Brouillon pour un dictionaire des amantes" herausgab, und vielleicht sogar auch die Schweizerin Verena Stefan, die heute nahezu vergessene Verfasserin von "Häutungen" (1975), eines Kultbuches zur Zeit der kämpferischsten Phase der Zweiten Frauenbewegung, in dem auch sie darum rang, eine nichtpatriarchalische Sprache zu finden.

Anders als Lunsfeld fragen die meisten der Autorinnen weniger nach dem grundsätzlichen Verhältnis von 'Weiblichkeit' (beziehungsweise Geschlecht) und Rhetorik, sondern wenden sich einzelnen Problemfeldern, oft bestimmten Autoren und Autorinnen zu. So reflektiert etwa Anette Keck anhand von Hetären- und Teegesprächen die vermeintliche "Oberflächlichkeit weiblicher Rede" in den Werken Lukians und Franziska zu Reventlows. Außerdem gilt ihr Interesse den Überlegungen eines "kunstseidenen Mädchens" und dem fiktiven Briefwechsel des Fräuleins von Sternheim. Letzterer wird auch in einem der beeindruckendsten Beiträge des vorliegenden Buches analysiert, in Anna Marx' Darlegungen "Zur Dissimulation weiblicher und männlicher Wunschproduktion im Medium des Briefromans". Zunächst wendet sich die Autorin jedoch Christian Fürchtegott Gellerts aus dem Jahre 1751 stammenden Definition des Briefes als einer "freie[n] Nachahmung des guten Gesprächs" zu, die - wie die Autorin zeigt - Mündlichkeit fälschlicherweise für den "ursprünglichen Ausgangspunkt" einer davon "abgeleitete[n], sekundäre[n] schriftliche[n] Abbildung" nimmt. Tatsächlich jedoch stellen die Briefe respektive deren SchreiberInnen erst her, was sie vorgeblich nachahmen: "die Imagination von Oralität und Nähe, allerdings unter Wahrung der realen Distanz". Marx begnügt sich jedoch nicht damit, diesen Irrtum zu konstatieren, sondern fragt danach, welche "handfesten Vorteile" der "zwar falsche, aber dennoch begehrte Eindruck" birgt, dass Briefe nichts weiter seien als "mimesis an einer bereits bestehenden, ursprünglichen Oralität".

Was nun Sophie von La Roches "Fräulein von Sternheim" betrifft, so gilt die Kritik der Autorin insbesondere Christoph Martin Wieland, der als Herausgeber des Briefromans feststellt, La Roches Werk sei eine "Frucht der bloßen Natur". Zunächst fragt Marx, wie Wieland zu einer solchen Aussage kommen konnte. Sie folgt einem Argumentationsmuster, dass ihrer Kritik an Gellert entspricht, und konstatiert schließlich, dass "weibliche Zweckfreiheit und Interesselosigkeit" "natürlichen Ursprungs" sein sollte, obwohl gerade die Gleichsetzung von Natur und Ursprung zum "Paradox der spontanen Darstellung" führte.

Das eigentlich Originelle und der Clou von Marx' Ausführungen liegt jedoch in etwas anderem. Der "'gefälschte[n]' Präsenz", der sich die Gattung des Briefromans im 18. Jahrhunderts so erfolgreich bediente, gelang es bekanntlich, "fremdes und eigenes Sprechen bis zur Ununterscheidbarkeit" zu bringen. Diese Ununterscheidbarkeit interpretiert Marx nun nicht etwa wie Derrida als Supplement oder wie Baudrillard als Hyperrealität, sondern als "produktives Missverständnis" und beschreibt diese Ununterscheidbarkeit als absichtlich begangene "fehlerhafte Sinnproduktion" zur "kalkulierten Einebnung der Differenz von Fiktion und Wirklichkeit".

Titelbild

Martina Wagner-Egelhaaf / Doerte Bischoff (Hg.): Weibliche Rede - Rhetorik der Weiblichkeit. Studien zum Verhältnis von Rhetorik und Geschlechterdifferenz.
Rombach Verlag, Freiburg 2003.
498 Seiten, 52,00 EUR.
ISBN-10: 3793093212

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