Zwischen Kunst und Kommerz

Ein Sammelband zur Frage ob die Subversion im Pop noch einen Ort hat

Von Daniel BeskosRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Beskos

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Find 10 differences between underground and mainstream", fordert Jim Avignons Zeichnung auf dem Cover den Leser auf. Zwei Männchen sind darauf zu sehen, eines im Keller, eines oben, ansonsten alles gleich. Natürlich finden sich keine zehn Unterschiede. Falls Subkultur und Mainstream mal scharf von einander abgegrenzt waren (und auch darüber lässt sich streiten), dann sind sie es jedenfalls jetzt nicht mehr, die Grenzen sind verwischt, die Codes unklar, die Einordnung ist nur noch subjektiv möglich. Spätestens seit die Industrie erkannt hat, dass sich Subkultur nicht nur zu Imagezwecken nutzen, sondern sich auch verkaufen lässt, scheint die Differenzierung nicht mehr möglich. Aber ist sie überhaupt noch nötig? Und wo findet sich in Pop noch politisches Potential? Welche Position zwischen Kapitalismus und subkultureller Opposition nimmt Pop heute ein?

Diesen Fragen gehen die Herausgeber Marvin Chlada, Gerd Dembowski und Deniz Ünlü in "Alles Pop" nach. Sie haben dazu auch Musiker und Künstler via Interview und Fragebogen um eine Einschätzung zu ihrer persönlichen Einordnung "zwischen Kunst und Kommerz" gebeten.

Dass die Beeinflussung der "Jugendkulturen" durch die mediale Verwertungsgesellschaft alle Sparten erfasst hat, lässt sich auch an den verschiedenen Bereichen des Buches ablesen: Es finden sich Artikel und Interviews zu HipHop, Social Beat- und Popliteratur, Slam Poetry, Punk, "Hamburger Schule" und anderen Kunst- und Musikbereichen. Und auch die Liste der portraitierten bzw. befragten Künstler ist lang: Von den Einstürzenden Neubauten, Rolf Dieter Brinkmann, Ira Cohen und Jürgen Ploog über Knarf Rellöm, Tocotronic und The Notwist bis hin zu Jim Avignon, The (International) Noise Conspiracy, Thomas D und der österreichischen Kunstgruppe monochrom.

Während viele der Interviewpartner in ihren Einschätzungen nicht nur realistisch und selbstkritisch, sondern gleichzeitig offen und konstruktiv argumentieren, hinterlassen vor allem die Texte der Herausgeber (besonders im Vor- und Nachwort) einen negativeren Eindruck: Natürlich ist die Frage nach den Möglichkeiten für Popkultur, im bestehenden System subversiv zu handeln, berechtigt. Leider schränken aber die Herausgeber, und mit ihnen einige andere Autoren, die Antwortmöglichkeiten von vorneherein ein. Und zwar dadurch, dass nur eine Perspektive erlaubt und richtig scheint: Der Staat bzw. "das System" ist schlecht ("Herrschaftsapparat"), die "breite Masse" dumm, und Subversion kann nur heißen: Zerstörung - und nicht etwa Veränderung - des Etablierten.

Die Existenz einer sogenannten "Masse" wird dabei gar nicht erst in Frage gestellt, sondern nahtlos aus dem Vokabular der späten 60er Jahre und der kritischen Theorie übernommen, ohne die gesellschaftlichen Diskurse der letzten Jahrzehnte zu berücksichtigen. Alternativen und Vorschläge - und zwar solche, die von den gegebenen Verhältnissen ausgehen und mit diesen arbeiten, statt nur die Utopien zu benennen und ihr Nichtvorhandensein zu beklagen - werden von Seiten der Autoren kaum eingebracht.

Unangenehm wirkt einfach die als zwingend eingeforderte Kombination, dass Pop, um Pop sein zu können, subversiv sein muss, und dass Subversion hier anscheinend nur gilt, wenn sie unkonstruktiv und zerstörerisch ist. Zumindest lassen die Beispiele für subversives Verhalten darauf schließen: "Und wenn nicht mal mehr der Steinwurf gegen die Bank, der die Versicherung den Schaden mindestens erstattet, als subversive Tat gelten kann, wie soll dann ein "Subversionsmodell Pop" vorausgesetzt werden?"

Problematische (und ich meine hier bewusst nicht: unbequeme) Ansichten gibt es auch anderswo: Vor lauter Polemik wird oftmals nicht realisiert, wie klischeehaft und falsch die zu kritisierenden Zustände und Zusammenhänge dargestellt werden. Was soll man etwa davon halten, wenn in einem Satz tendenziöse Formulierungen wie "Kriegstreiber Schröder", "Leo Kirchs Werwolfhunger" und "Pay-TV-Wahnsinn" zu finden sind? Wer urteilt da? Welche Wertungen werden hier reproduziert? Auf welcher Ebene werden hier Massenkultur, Industrie und Subkultur gleichgesetzt? Und wie kann nach einer Subversivität von Popkultur gefragt werden, wenn diese schon als Begriff jegliche Differenzierung auslöscht?

Natürlich ist Musik nicht nur reine Form, natürlich verändert sie "die Welt, indem sie unser Verhältnis zur Welt verändert." Aber heißt das, dass es für Pop nur die Varianten Politik oder sinnentleerte Spaßkultur gibt? Warum wird eine Repolitisierung des Pop verlangt, wo doch viel mehr Augenmerk auf politische Arbeit in der Politik (und ihren aktuellen Ausprägungen wie z. B. Attac) gelegt werden kann und sollte?

Wie groß die Scheuklappen manchmal sein können, und wie pauschal lediglich Parolen nachgesprochen werden, zeigt ein Satz aus dem Interview mit dem ansonsten eher als integer bekannten Schriftsteller Jürgen Ploog: "Vor dem Hintergrund von Internationalisierung und Globalisierung werden ohne Frage Möglichkeiten freier Entfaltung immer mehr eingeschränkt." Und weiter unten: "Dies ist ein Ausrottungskrieg, und er wird auf allen Ebenen geführt."

Der Theoretiker Günter Jacob mag als Gegenbeispiel dienen, denn er hat Recht mit seiner These, dass Pop immer in das "System" "eingebacken", sich nach eigenem Anspruch widersetzt: Pop ist aus der jeweiligen Gesellschaft entstanden und seine Protagonisten sind jeder für sich ein Teil der Gesellschaft. Pop könne von ihr folglich immer nur innerhalb des Systems arbeiten, denn ein Außerhalb gäbe es nicht; und so ist auch die Opposition Pop vs. System nicht existent. Er betont weiter, dass das System nur aus dem System heraus zu verändern ist und auch nur so Veränderung legitimiert werden kann.

Dies stellt auch die schwedische Band "The (International) Noise Conspiracy" in ihrem Text "Musik in der globalen Angstfabrik" fest: "Authentische kulturelle Praktiken gibt es nicht. Sie sind immer bereits eingearbeitet in den größeren Rahmen der kapitalistischen Produktion." Und der Musiker Lars Söderberg berichtet über die Erfahrung, dass politische Musik immer notwendig mit Kompromissen einhergeht.

Auch im Weiteren finden sich viele interessante Artikel, so etwa Ralf Bentz' lesenwerten Text über Arbeit und Leben von "Deutschlands einzigem Beat-Poeten" Rolf-Dieter Brinkmann. Ebenfalls erwähnenswert ist Boris Kerenskis "Stimmen aus dem Untergrund", in dem er kurz und anschaulich die Geschichte der deutschsprachigen Sub-Literatur der letzten zehn Jahre - Social Beat und Poetry Slam - zusammenfasst. Außerdem finden sich Gespräche mit einem Punk-Tour-Booker, mit Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow und dem Notwist-Musiker Markus Acher sowie ein Text von Jörg Sundermeier über die Entstehung des Berliner Verbrecher Verlages.

Musiker wie Schorsch Kamerun, Sven Regener und Jim Avignon haben Fragebögen ausgefüllt und Auskunft darüber gegeben, ob sie persönlich das Gefühl haben, Kompromisse und Zugeständnisse an die Industrie gemacht und Einfluss auf die kommerzielle Verwertbarkeit ihrer Produktion genommen zu haben. Dabei finden sich entsprechend unterschiedliche Ansätze von politischem Verständnis und politischem Handeln, manche konfrontieren sich gerne mit der gegebenen Situation, andere suchen den Weg in Nischen, wie etwa Thomas D von den "Fantastischen Vier", der sich in die schon sprichwörtliche Landkommune zurückzieht.

Aber nur einer der Befragten, der Musiker Knarf Rellöm, kritisiert die Fragen als tendenziös und falsch - und verneint den Widerspruch von künstlerischer Integrität versus kommerziellen Erfolg. Er nennt Protestsongs "leere, inhaltsfreie, linke Klischees". Und er weist die "Reinheitsforderungen" an Pop zurück. Bemerkenswert ist hierbei, dass dadurch Aussagen, mit denen man sich sonst aufgrund fehlender politischer Konsequenz ins ideologische Off zu stellen droht, wirkungsvoll umgekehrt werden. Die konsequente Offenheit und Unvoreingenommenheit Knarf Rellöms entlarvt die ideologisch vorgefärbte und dadurch destruktive Position der Fragesteller.

Insgesamt wäre zu wünschen, dass die Subversivität von Pop differenzierter herausgearbeitet würde, damit sich "Wege des Widerstands" finden lassen: veränderte, rekontextualisierte Wiederholung als Stilmittel etwa (z. B. im Sampling oder im Theater des René Pollesch), das absichtliche Verwenden von Oberflächen, die Rigorosität des Pop, alles miteinander zu verknüpfen - das wären Beispiele für bestehende Handlungsspielräume. Wenn etwa Thomas Meinecke in seinem Buch "Hellblau" danach fragt, welche Hautfarbe Mariah Carey hat und er an dieser popkulturellen Fragestellung nicht nur Judith Butlers Performativitätskonzept erklärt, sondern auch gleichzeitig die Macht der hegemonialen Sprache unterwandert, ist das durchaus subversiv.

Vielleicht haben sich nicht nur die Rahmenbedingungen des Pop verändert, sondern auch die Möglichkeiten von Subversion. Schade, dass dies im vorliegenden Buch nicht stärker berücksichtigt worden ist.

Marvin Chlada, Gerd Dembowski, Deniz Ünlü: Alles Pop? Kapitalismus und Subversion.

Titelbild

Marvin Chlada / Gerd Dembowski / Deniz Ünlü: Alles Pop? Kapitalismus und Subversion.
Alibri Verlag, Aschaffenburg 2003.
356 Seiten, 18,50 EUR.
ISBN-10: 3932710487

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