Schöner rechnen mit Dietmar Dath

Technologische Visionen, überreicht von einem Advokaten der sozialverträglichen Utopie

Von Johannes SpringerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Springer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Waren es in der römischen Religion die Auspizien, die Vogelschau, durch die die Auguren die Erkundung der Zukunft betrieben, um vor richtungsweisenden Entscheidungen Maßgaben für ein künftiges Schicksal zu erreichen, so ist es heute Dietmar Dath, der das Morgen liest in den Flügelschwingen der zeitgenössischen Science-Fiction-Literatur. Dath, selber auch Science-Fiction-Autor, demonstriert, wie die theoretischen technischen Utopien und bestehenden Potentiale, die durch Wissenschaftsgazetten geistern, auch in Form von Science-Fiction-Genres sehr konkret ausgeformt einem breiten Publikum geläufig sind. Allein an einer Autorenfigur wie Greg Egan, einem lose zur Cyberpunkbewegung zu zählenden Australier, gelingt es Dath, das gesamte Themenspektrum in "Schöner rechnen" von Femto-Nanotechnik über Lichtcomputer und Quantentechnik, also annähernd jede als zukunftsrelevant anzunehmende Vision, mit literarischer Repräsentation zu bebildern.

Einleitend erörtert Dath geschichtsphilosophisch die Frage, welche Bedeutung der Technik in der gesellschaftlichen und sozialen Entwicklung zukommt und wie ihr Geschichtsfaktor zu bemessen sei. Seine Einordnung der Technik variiert allerdings etwa den Ansatz des Marxismus, der von einer leitenden historischen Instanz Technik ausgeht und behauptet, alle zentralen sozialen Veränderungen ließen sich ableiten aus technologischen Innovationen. In seinem Verständnis gibt es zwar auch den Nexus zwischen der sozialen Realität einer Epoche, und ihren technischen Formationen, jedoch sieht er, dass das, was sozial passiert, nicht automatisch aus dem hervorgeht, was technisch möglich ist. Er sieht Technologien also eher in der Rolle der "transformatorischen Spielsachen", die vielmehr vermitteln, denn wahrlich determinieren. Bereits hier macht er deutlich, was ihn folglich interessiert, nämlich das transformatorische Spielgerät der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schlechthin, der Computer und seine heutigen ökonomischen, wissenschaftlichen und sozialen Potenzen, die die tatsächliche Realität noch als submaximale Umsetzung der Wissensformationen erscheinen lassen.

Im Rahmen des nicht auf einen Status quo der Technologieverhältnisse beschränkten Blick, der intelligibel zukünftige Welten anschlussfähig macht, bietet das Buch auch eine Rückschau in die Anfänge der Maschinisierung der Kalküle an, ins 19. Jahrhundert. Dort trifft man auf Charles Babbage, den Pionier der Computergeschichte, der mit seiner Differenzmaschine als erster überhaupt das Modell einer programmgesteuerten Rechenmaschine umzusetzen suchte. Die heute kaum mehr vorstellbare Geburtshilfe, die von Avantgardisten wie Ada Lovelace, George Boole oder Alan Turing ausging, wird hier thematisiert, da einige der zentralen Vorstöße dieses Personenkreises selbst heute nichts von ihrer Relevanz eingebüßt haben. So findet man Boolesche Schaltungen, die sich durch ihr aussagenlogisches System, das nur wahr oder falsch kennt, auszeichnen, auf Computerchips als Logikgatter wieder. Dort begegnet man auch der universalen Turingmaschine und der Church-Turingthese von der prinzipiellen Berechenbarkeit aller physikalischen Systeme durch die Turingmaschine allenthalben, da nichts von diesem Stoff widerlegt werden konnte. Über eine glänzende und verständliche Diskussion verschiedener informationstheoretischer Ansätze, die auch als Material für seinen in Koproduktion mit Barbara Kirchner entstandenen Roman "Schwester Mitternacht" dienen, führt der Weg zu gegenwärtigen und zukünftigen Technikoptionen. Und hier beginnt die Reise auch ein wenig steinig zu werden, denn obschon es Dath gelingt, mit Hilfe adäquat eingebrachter popkultureller Verweise, die mit seiner überwältigenden Kenntnis moderner Science-Fiction spielen, Ahnungen zu produzieren, bleibt man als Leser manchmal auf der Strecke. Erschwerend kommt die Tatsache hinzu, dass man es mit einer rein auf die erkenntnisvermittelnde Kraft der Worte vertrauenden Darstellung von Phänomenen wie dem Quantencomputing, das die Fixierung auf binäre Operationsweisen aufgibt und so einen immensen Kapazitätsschub mit sich bringt, oder dem Biocomputing, welches in seinen zahlreichen Facetten auch die KI-Forschung samt Bewusstseinsphilosophie integriert, zu tun hat, was die ohnehin nicht eben einfachen Gegenstände unnötig in abstrakte Welten verflüchtigen lässt. Der fehlenden Bebilderung wird indes entgegengearbeitet durch die bereits erwähnte Orientierung an Umsetzungen dieser Wissensformationen in literarischen Feldern, doch nichtsdestotrotz hätte hier ein weniger phantasiefordernder Umgang mit den Techniken gut getan. Nach geleisteter Vermittlung und Euphorisierung zu den technischen Detailfragen, die abseits der fehlenden Visualisierung glänzend transportiert werden, wird der Faden vom Beginn des Buches wieder aufgenommen und auf die gesellschaftlichen Implikationen technischer Entwicklung eingegangen. Hier erfolgt eine Verortung des Autors, die sich nicht immer hatte vermuten lassen, nämlich im eher kritischen, philantropischen Feld. "Was ist, wenn die Menschen, die es angeht, wirklich nicht entscheiden könnten oder dürften, in welcher Kultur und Zivilisation sie leben wollen und was die technologische Entwicklung steuert." Dies ist eine beinahe den Abschluss bildende Frage, die nur noch gesteigert wird durch ein nicht minder düsteres, technologieskeptisches Zitat Hegels: "Die Menschheit bedurfte des Schießpulvers und also bald war es da." Sekundiert werden solche Äußerungen von einer missfälligenden Auseinandersetzung mit linken Konzepten zur positiven Kategorisierung von Technosciences als emanzipatorische Strategien, die ebenso als Projektionen abgehandelt werden wie eine Besinnung über gesamtgesellschaftliche Wünsche und Zukunftsplanung als zwingend gefordert. Wenn er etwa eine Abkehr von technischem Fatalismus anrät, der technische und soziale Entwicklung als Folge dunkler, unbeeinflussbarer, historischer Gesetze interpretiert, ist vom technik-und mathematikverliebten Dath nicht mehr viel zu spüren und im Zentrum seines Denkens ist wieder der Mensch in einer Welt, deren Umbrüche nicht unbedingt dem Nutzen der Mehrheit unterliegen werden. Dass dieses Buch, dass als über die "Zukunft der Computer" handelndes im Untertitel annonciert ist, eben auch den Menschen nicht aus dem Blick verliert, ist ein schöner, den reinen Darstellungswert zur Technik ergänzender Teil zur Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Computer.

Titelbild

Dietmar Dath: Schöner rechnen. Die Zukunft der Computer.
Herausgegeben von Gero Randow.
Berlin Verlag, Berlin 2002.
218 Seiten, 8,90 EUR.
ISBN-10: 3442760968

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