Kosmopolit, Gelehrter und Aktivist

Zum Tod von Edward Said

Von Christina UjmaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Ujma

Der am 25.9.2003 verstorbene Edward William Said verkörperte einen Intellektuellentypus, den es eigentlich schon lange nicht mehr gibt. Denn Said war kosmopolitischer Gelehrter und politischer Aktivist, Schöngeist und Kämpfer, dessen wissenschaftliche und politische Schriften in den USA, in Europa und der arabischen Welt rezipiert wurden. Seine in 36 Sprachen übersetzten Werke haben ihn zum Idol progressiver Intellektueller der Ersten wie der Dritten Welt werden lassen, während er bei konservativen Akademikern wie Politikern weltweit verhasst war.

Saids internationale Wirkung beruhte nicht nur auf seinem erheblichen interkulturellen Geschick, sondern auch auf den Zufällen seiner Herkunft. Er wurde 1935 in Jerusalem als Kind christlicher Palästinenser geboren, deren geschäftliche Aktivitäten ihren Schwerpunkt in Kairo hatten. Die ägyptische Metropole lag damals noch im Einflussbereich des britischen Empires; Knaben zu jungen Gentlemen heranzuziehen, war durchaus das Ziel der vornehmeren Kreise, zu denen auch Saids Eltern gehörten. Besonders viel Vergnügen hat dem jungen Edward der Drill der englischen Privatschulerziehung nicht bereitet, wie er in seinen Memoiren "Out of Place" ("Am falschen Ort", 1999) berichtet. Die englische Erziehung hat ihn aber kulturell nicht unbeträchtlich geprägt und vermutlich dafür gesorgt, dass seine Bücher und Artikel in der englischen Öffentlichkeit nicht als Interventionen von außen angesehen wurden. In den prestigeträchtigen "Reith Lectures" der BBC, veröffentlicht unter dem Titel "Representations of the Intellectual", entwirft er 1993 ein ganz unzeitgemäßes Bild des kämpferischen Intellektuellen, dessen Platz er an der Seite der Unterdrückten sieht. Der Intellektuelle ist für ihn eine Figur an den Rändern der Gesellschaft, ein Heimatloser, ein Exilierter. Als prototypische Gestalt sieht Said Adorno an, den er sehr verehrte. Neben Michel Foucault waren Antonio Gramsci und Raymond Williams intellektuelle Vorbilder. Der Einfluss des kulturorientierten westlichen Marxismus ist in seinen Schriften sehr gegenwärtig, wenn sie sich auch erheblich von der systematischen Herangehensweise der deutschen akademischen Tradition unterscheiden, der Saids essayistischer Stil eher fernsteht.

Die immer wieder angeführte Heimatlosigkeit des Intellektuellen lag auch Saids Existenz zugrunde, denn nachdem er in den USA studiert hatte, lehrte er von 1963 bis zu seinem Tod allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft an der Columbia University in New York, wo er sich jedoch nie richtig heimisch fühlte. Seine Karriere als politischer Intellektueller und Literaturwissenschaftler begann spät, dann aber mit viel Erfolg an ganz unterschiedlichen Fronten. Durch den verlorenen Sechstagekrieg politisiert, entdeckte Said seine palästinensischen Wurzeln wieder und wurde zum Fürsprecher der palästinensischen Sache. 1977 wurde er Mitglied des palästinensischen Nationalrats. Er war nicht nur ein unabhängiger Kandidat, sondern ließ sich auch nie dauerhaft in einen der diversen Flügel der Nationalbewegung einbinden - dafür galt er bald als der palästinensische Intellektuelle schlechthin. Er wurde schließlich zum heftigen Kritiker Arafats, was dazu führte, dass seine Bücher in den palästinensischen Autonomiegebieten zeitweilig verboten wurden, was ihn aber nicht davon abhielt, die Ungerechtigkeiten des israelischen Besatzungsregimes weiter in wortgewaltigen Beiträgen anzuprangern.

Seinen Durchbruch als Literatur- und Kulturwissenschaftler erzielte Said mit der 1978 erschienenen Studie "Orientalism" ("Orientalismus"), die Wissenschaftsgeschichte gemacht und ihrem Autor internationalen Ruhm eingebracht hat. Auf den ersten wie den zweiten Blick wirkt "Orientalism" nicht wie ein Buch, das die Welt verändert. Es ist eine gelehrte Abhandlung darüber, dass die Idee des Orients eine Fiktion, eine Projektion ist, die angesichts der Verschiedenheit der unter diesem Begriff zusammengefassten Länder und ihrer teilweise hochdifferenzierten Gesellschaften und Kulturen heute eigentlich absurd wirken sollte. Aber die eigentlich aus dem imperialistischen 19. Jahrhundert stammende ideologische Konstruktion wirkt bis heute fort, so Said, denn immer noch werden der Orient bzw. die arabischen Staaten als der Gegenpol des Westens, als das Rückständige, Sinnliche, Exotische, Irrationale und Gefährliche stereotypisiert.

Der Erfolg von "Orientalism" zeigt auch, wie aktuell und überfällig dessen Fragestellung war. Nach wenigen Jahren war das Werk, obwohl nie unumstritten, bereits zum Klasssiker geworden. Eher unfreiwillig war "Orientalism" auch das Gründungsdokument der in den USA und Grossbritannien verbreiteten "Postcolonial Studies". Für die oftmals manchmal mit der Brechstange operierende Ideologiekritik dieser Richtung kann man Said allerdings nicht verantwortlich machen. Er selber lieferte jedenfalls in "Culture and Imperialism" (1993) z. B. mit seiner differenzierten Diskussion von Joseph Conrad, den Beweis, dass es auch anders geht. In seinem Essay "Orientalism Reconsidered" (1986) wendet er sich ganz entschieden gegen enge Auslegungen von "Orientalism" und verfeinert unter Bezugnahme auf die Frankfurter Schule und Ernst Blochs Begriff der Ungleichzeitigkeit sein analytisches Instrumentarium.

Die deutsche Geisteswissenschaft fühlte sich bislang für den postkolonialen Diskurs merkwürdig unzuständig. Der Einwand, dass Deutschland als Kolonialmacht nie eine nennenswerte Rolle gespielt habe, also das Thema für Deutschland nicht relevant sei, kann da nur teilweise als Begründung herhalten. Denn Orientalismus, d. h. die vollkommen undifferenzierte Stereotypisierung von türkischen Migranten oder orientalischer Kultur gibt es im bundesdeutschen Geistesleben in einem Ausmaß wie in kaum einem europäischen Nachbarland. Gerade während des Irakkriegs feierten orientalistische Stereotypen im Fernsehen wie im Feuilleton eine fröhliche Wiederauferstehung; ähnliches kann auch von der in ihrer Ahnungslosigkeit eher peinlichen "Kopftuchdebatte" gesagt werden.

Edward Said war aber nicht nur Intellektueller und Politiker, seine letzten Jahre widmete er hauptsächlich seiner dritten großen Leidenschaft, der Musik. In seiner Jugend wollte er Pianist werden und schaffte es lebenslang, trotz ungezählter anderer Aktivitäten, ein bemerkenswerter Amateurmusiker zu bleiben. Zusammen mit Daniel Barenboim gründete er 1999 ein jüdisch-arabisches Orchester, von beiden stammt auch das 2003 erschienene Buch "Parallels and Paradoxes, Explorations in Music and Society". Zu Saids weniger bekannten, aber darum nicht weniger bemerkenswerten Arbeiten zählen nicht nur Musik- und Opernkritiken, sondern auch zahlreiche Essays über Musiker und Komponisten.

Trotz fortschreitender Leukämie und nachlassender Kraft beteiligte sich Said im Winter und Frühjahr 2003 an der Irakdebatte mit Beiträgen, die eindeutig gegen den Krieg Stellung bezogen, aber gleichzeitig so vielschichtig und differenziert aber auch polemisch argumentieren, wie man es in der deutschen Debatte oft vergeblich gesucht hat.

Der generelle Impetus von Saids Werk lässt sich den Schlusssätzen von "Orientalism Reconsidered" entnehmen, in denen er vehement dafür plädiert, dass Wissenschaft nicht im Spezialistentum der Disziplinen verkümmern darf, sondern Grenzen überschreiten muss; worunter er nicht nur politische, geographische oder kulturelle Grenzen versteht, sondern auch die zwischen Wissenschaft und Politik. Denn letztlich, sagt er mit Bezug auf Gramsci und nicht auf den interkulturell eher unterbelichteten Marx, kommt es darauf an, die Welt nicht nur zu analysieren, sondern auch zu verändern.