Denk ich an Deutschland in der Nacht

Ein Band mit Karikaturen zeigt den Blick des Auslands auf Deutschland

Von Oliver GeorgiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Georgi

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie sagte General de Gaulle einmal zu Zeiten des Kalten Kriegs über den großen Nachbarstaat im Westen: "Ich liebe dieses Land so sehr, dass ich froh bin, dass es zwei davon gibt." Nicht erst seit dem "Dritten Reich" prägte vor allem Misstrauen das Verhältnis des Auslands gegenüber Deutschland. Mit den "Krauts" verband man den schrecklichsten Völkermord der Geschichte ebenso wie ungemäßigtes Hegemonialstreben, das Europa schon mehrere Male in tiefe Abgründe gestürzt hatten. Als mit der deutschen Wiedervereinigung die beiden "Bruderstaaten" wieder eins wurden und damit zum mächtigsten Staat auf dem europäischen Kontinent heranwuchsen, waren die Bedenken und Ängste der restlichen Welt groß. Zu sehr befürchtete man ein schnelles Wiedererstarken der Bundesrepublik, zu sehr ein erneutes Zurückfallen in alte Weltmachtsphantasien.

Wie das wiedervereinigte Deutschland seit dem Fall der Mauer im Ausland erlebt wurde, zeigt jetzt der Band "Deutschlandbilder. Das vereinigte Deutschland in der Karikatur des Auslands". Entstanden aus einer Wanderausstellung des Hauses der Geschichte, vereint das Buch 90 Karikaturen von Zeichnern aus der ganzen Welt, die spitzfedrig, boshaft und mit fast zum Greifen spürbarer Besorgnis die "deutsche Frage" und den Fall der Mauer kommentierten. Ob Helmut Kohl als Gärtner die Früchte eines Obstbaums jenseits der Oder-Neisse-Linie pflücken will, ob er mit Hitler-Bärtchen dargestellt oder ein Verschlucken des kleinen Staates DDR statt einer gleichberechtigten Vereinigung heraufbeschworen wird: Im Zentrum der Karikaturen steht - bei aller Freude über den Zusammenbruch des Sozialismus - die Furcht vor neuen Hegemonialansprüchen eines "Bismarcks" Kohl ohne Einbindung in ein europäisches Bündnis.

Als kritische Bestandsaufnahmen und Spiegelbilder der Wirklichkeit entzerren Karikaturen die Realität und zeigen im Rückbezug nicht nur die Situation des Karikierten, sondern gleicher Maßen auch jene des Karikierenden. Und so ist die im Buch versammelte Bandbreite der Freude, Sorgen und Ängste über die deutsche Wiedervereinigung immer auch Ausdruck der jeweiligen Vorbehalte und Erfahrungen eines Landes mit den Deutschen. So etwa, wenn der amerikanische Zeichner Paul Conrad den Bundesadler mit einem Hakenkreuz wie Phoenix aus der Asche steigen lässt oder Ya'acov Farkas von der israelischen Zeitung "Ha'aretz" einen ehemaligen KZ-Häftling zeichnet, der mit sorgenverhangener Miene an die möglichen Folgen der deutschen Wiedervereinigung denkt.

Der Band "Deutschlandbilder" verdeutlicht mit seiner hervorragenden Auswahl an Karikaturen aufs Beste, wie erhellend auch und gerade der ausländische Blick auf Deutschland für uns Deutsche sein kann. Beginnt gegenseitiges Verständnis doch auch damit, falsche Projektionen und berechtigte Ängste des Anderen wahrzunehmen und zu reflektieren. Wie sagte Kurt Tucholsky im Jahr 1919 sehr weise über die Karikatur: Sie sei wie eine Landsknechttrommel "gegen alles, was stockt und träge ist, blutreinigend und teintfördernd allemal". Dass Karikaturen dies in der Tat leisten können, zeigt der vorliegende Band.

Titelbild

Deutschlandbilder. Das vereinigte Deutschland in der Karikatur des Auslands.
Herausgegeben von der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Kerber Verlag, Bielefeld 2003.
104 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-10: 393664618X

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