Kein Kanon, sondern viele Arien

Hubert Winkels stellt "Die Besten Deutschen Erzähler 2003" vor

Von Katrin SchusterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katrin Schuster

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man kommt nicht umhin: Wenn sich ein Band "Die besten deutschen Erzähler 2003" nennt, will man ihn finden, den gemeinsamen Nenner, auf den all die versammelten Namen zu bringen wären. Um dann endlich jene Frage zu beantworten, die nicht erst seit gestern, sondern, nein, viel länger schon, durchs Land vagabundiert, sich hier und da durch die Gazetten schnorrt, sich in eitelster Manier gebärdet, wenn sie sich lateinisch kleidet: Quo vadis also, deutsche Literatur?

Ein bisschen steckt sie immer noch in den Kinderschuhen der Befindlichkeiten, in den Geschichten von den - ach! - so eigenen Erlebnissen. Von Mädchen, die hübsch sind, wenn sie wütend werden und Deutschen, die ihrer alteuropäischen Melancholie erst in Amerika so richtig frönen können. So gelesen bei Tobias Hülswitt und Martin Walser. Womit die Runde der männlichen Nabelgucker und -bewunderer noch nicht ganz vollständig ist, denn einer fehlte uns da noch: Benjamin von Stuckrad-Barre hat für diesen Band einen Sketch in bester Tradition Loriots geschrieben, ein sinnloses Gespräch zwischen einem Taxifahrer und seinem Gast festgehalten. Erlebnisse, die jeder hat und kennt: Liegt darin also unsere national-literarische Identität begraben?

Mitnichten, denn hier endet sie auch schon, die Aufzählung der kleinen, zugegeben: erwarteten Enttäuschungen. Und beginnt die Leselust. Die Buchstabenerregung. Das Wortwunder. Das ja durchaus im Kreisen um die eigene Person entstehen kann; bei Thomas Kapielski zum Beispiel, dessen postmoderne Jean-Pauliaden endlich auch in diese Anthologie gefunden haben. Was allein dem Konzept dieser Reihe der Deutschen Verlagsanstalt zu verdanken ist: Der Herausgeber wählt nicht die besten deutschen Kurzgeschichten, sondern verteilt gleichsam Aufträge an die seiner Meinung nach besten deutschen Erzähler - drei Jahre lang tat das Verena Auffermann, nun hat Hubert Winkels die bürde- und würdevolle Nachfolge angetreten.

Und ein buchstäbliches Panorama zusammengestellt: So steht neben der noch nahezu unbekannten Katharina Faber Monika Maron, neben dem alterfahrenenen Herausgeber und Autor von Anthologien Peter Glaser der zwar nicht no-name, aber doch für die Massen noch im Verborgenen ruhende Arno Geiger, mit seinem kaleidoskopisch gebrochenen Blick auf die Menschen. Beinahe überall zu finden ist die Rede vom Verlust: von verschwundenen Menschen, verloren gegangenen Gefühlen, von etwas, das fehlt, ohne dass es einen Namen hätte oder man überhaupt sicher sein könnte, dass es jemals existent war. Immer - außer in den oben genannten Ausnahmen - fließt dieser Mangel sehr eigen und anders in die Erzählweise selbst ein: als Wechsel der Perspektive, als endloser Satzkreisel, als Reihung von Szenen und Schnitten. Terézia Mora etwa sieht den Handelnden in "Portugal" nicht einfach zu, sie filmt. Wenn sich ein Gesicht abwendet von ihrer Linse, kann sie nur mutmaßen, welchen Ausdruck es gerade angenommen hat. Es gibt ganz offensichtlich große Zweifel an einer personalen Erzählhaltung, die sich genauso umgekehrt äußern können: Peter Glaser weiß alles, obwohl er diesen Mann, über den er schreibt, als eher schweigsam zeichnet und sein Ich-Erzähler behauptet, ihn erst lange nach dessen lebensverändernden Begegnung mit der "Finnischen Ameise" kennengelernt zu haben.

Schön, dass die Literatur nirgends hingehen muss, um zu beweisen, dass es ihr gut geht, lässt sich doch auch auf hohem literarischen Niveau ganz wunderbar auf der Stelle treten. Während manche Popliteraten weiterhin eitel im kapitalistischen Takt marschieren, manch alternder Herr als guter Deutscher durch die Welt wandert, schlendern die anderen "Besten Deutschen Erzähler 2003" an den Buchstaben entlang, schreiben ins Weiße hinein, lassen sich höchstens von den Worten weitertreiben: haben schlicht etwas zu erzählen; und sind in der Mehrzahl. Gut getroffen, diese Auswahl von Hubert Winkels.

Titelbild

Hubert Winkels (Hg.): Beste Deutsche Erzähler 2003.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2003.
300 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3421056250

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