Netzwerker der literarischen Moderne

Helga Mitterbauer stellt Franz Bleis vielfältigen literaturvermittelnden Tätigkeiten vor - und lüftet ein literarhistorisches Geheimnis

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Franz Blei - so würdigte ihn sein Freund Robert Musil einmal - "hat bewirkt, daß es in deutscher Sprache bedeutend mehr Geist und Form gibt, als es ohne seine Hilfe geben würde." Noch immer wird Bleis Bedeutung als Förderer und Vermittler zahlreicher Autoren und Künstler unterschätzt. Tatsächlich dürfte sie sogar die Hermann Bahrs übersteigen, der, anders als Blei, auch ein geschickter Propagandist in eigener Sache war und nicht zuletzt deshalb heute ungleich bekannter ist.

Der 1871 in Wien geborene Blei dagegen wirkte nach 1900 mehr im Verborgenen. Sein hoch kommunikatives Naturell ließ ihn ein europa-, ja weltweites Netzwerk an Kontakten zu zahlreichen Autoren, Künstlern, Rezensenten, Regisseuren, Übersetzern, Verlegern und Zeitschriftenmachern knüpfen. Blei war nicht nur einer der renommiertesten Essayisten und Kritiker seiner Zeit. Vielen Verlegern diente er auch als einflussreicher Ratgeber. Die Rezeption bedeutender ausländischer Autoren im deutschen Sprachraum hat Blei initiiert und maßgeblich gelenkt, darunter die so unterschiedlicher Dichter wie Oscar Wilde, Gilbert Keith Chesterton, André Gide, Paul Claudel und Nathaniel Hawthorne. Auch viele junge deutschsprachige Autoren wurden von ihm gefördert, vor allem Hermann Broch, Franz Werfel, Max Brod und Franz Kafka, der mit seiner "Betrachtung" 1908 in Bleis Zeitschrift "Hyperion" debütierte. Musil, mit dem Blei eine lebenslange Freundschaft verband, vermittelte er gleich mehrmals einen Verleger und 1914 auch eine Redakteursstelle. Sogar Honorare handelte er für ihn aus.

Für seine Schützlinge war der aufgrund seines Interesses für erotische Literatur in kulturkonservativen Kreisen als Pornograph geächtete Literaturvermittler als Übersetzer tätig, machte unermüdlich Verleger oder Theaterintendanten auf ihre Werke aufmerksam, publizierte ihre Texte in den von ihm herausgegebenen Zeitschriften und Anthologien, oder er porträtierte sie, etwa in seinem originellen "Großen Bestiarium". Exemplarisch für den grenz- und kulturüberschreitenden wechselseitigen Informationsaustausch in Bleis Netzwerk ist seine langjährige Freundschaft mit André Gide: Beide informierten sich in ihren Briefen über wichtige Neuerscheinungen in ihrem Heimatland (so sandte Blei schon 1907 dem französischen Romancier ein Exemplar von Musils "Verwirrungen des Zöglings Törleß", der sich dafür begeistert bedankte), sie versorgten sich gegenseitig mit Ausgaben wichtiger Kultur- und Literaturzeitschriften, stellten für den anderen neue Kontakte her und schmiedeten Pläne für einen deutsch-französischen Verlag.

All diesen quasi im Schatten der Literaturgeschichte liegenden bedeutenden "Mediations- und Popularisationstätigkeiten", die sich heute nur noch anhand des weltweit verstreuten Briefnachlasses Bleis rekonstruieren lassen, ist nun Helga Mitterbauer nachgegangen, die mit Recht Bleis "Treffsicherheit im Aufspüren noch unbekannter, aber beachtenswerter Literatur und Kunst" konstatiert: "Ein Großteil der von ihm protegierten Autoren und Werke zählt am Ende des 20. Jahrhunderts zum Kanon der Weltliteratur". Ihre konzentriert geschriebene, verdienstvolle Arbeit stellt aber nicht nur systematisch Bleis "Netzwerke" und ihr Funktionieren dar. Sie führt auch in sein Konzept des "Dandyismus" ein, sein Verhältnis zu Erotik, Politik und Bürgertum und seinen Kampf gegen Zensur und bürgerliche Doppelmoral. Und enthüllt mit einem Blick in den bislang von der Forschung unbeachteten Briefwechsel Bleis mit dem Verleger Georg Müller ganz nebenbei eine kleine literarhistorische Sensation, nämlich wer in Wahrheit die "Propyläen"-Ausgabe der Werke Goethes und die "Horen"-Ausgabe Schillers initiiert, konzipiert und deren jeweils erste Bände herausgegeben hat: Franz Blei.

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Helga Mitterbauer: Die Netzwerke des Franz Blei. Kulturvermittlung im frühen 20. Jahrhundert.
Francke Verlag, Tübingen 2003.
166 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-10: 3772032133

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