Die Sache mit L.

Open-Mike Gewinner Tilman Rammstedt legt sein Debüt vor

Von Tabea HoscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tabea Hosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist Herbst und die Blätter fallen bereits im Park. Am Tag nach der Nacht, als sie aufhörten, nicht miteinander zu schlafen. Bis zu diesem Tag haben L. und der Erzähler schon verschiedene Jahreszeiten miteinander verbracht. Erinnerungen an L. im Winter, die in ihren unzähligen Schichten warmer Kleidung übermäßig viel Platz beansprucht. Oder L., die den Frühling erfindet, weil er nicht von selbst kommen will.

Nun hat der Herbst begonnen. Die beiden kennen sich gut, und doch hatten sie das Terrain der "kräfteraubenden Unverbindlichkeit nie" verlassen. Sie hatten es nie einzutauschen versucht gegen eine Verbindlichkeit mit dem Titel Liebespaar. Vielleicht nur, um ohne Peinlichkeit die Dinge tun zu können, die Liebespaare tun. Wochenendausflüge nach Köpenick und dergleichen. Und doch ist es nun passiert. Beinahe ungerührt und wenig überzeugt teilt der Erzähler mit, dass L. und er aufgehört haben, nicht miteinander zu schlafen. Sie müssen feststellen, wie ungeübt, wie wenig eingespielt sie miteinander in Dingen wie "Hände-über-den-Körper-des-anderen-wandern-Lassen" und "beiläufigem Verhütungsmittel-Ansprechen" sind. Schnell verfallen sie wieder in alte Gewohnheiten, die sie beherrschen: Wie immer kocht L. den Kaffee, er sucht die Musik fürs Frühstück aus, und beide scheinen zu hoffen, so den früheren Zustand wieder herstellen zu können.

Neun der einundzwanzig kurzen Geschichten des Buches erzählen von der Beziehung zwischen der phantasievollen, lebhaften L. und dem trockenen, distanzierten Erzähler. Die ansonsten eher lose inhaltlich verknüpften Geschichten dieses Buches werden förmlich umrahmt von den verschiedenen Episoden dieser Liebesgeschichte zweier Menschen, die zusammen Zähne putzen, nächtelang nebeneinander auf der "Hundertzwanzigzentimetermatratze" liegen und sich doch nur an "unproblematischen Stellen" berühren.

Es liegt ihm etwas an ihr. Er stellt sich vor, sie könnte sterben, und das einzige Foto, das der Erzähler von L. hätte, wäre eines, auf dem sie sich zufällig in einer Fensterscheibe spiegelt, während sie ein Foto von ihm macht. Also läuft er zu ihr und fotografiert sie 24 Mal an einer Bushaltestelle. Den Film lässt er nicht entwickeln. Das ist symbolisch für ihre Situation: nie ist etwas greifbar zwischen ihnen. So wie sich L. in einer Scheibe spiegelt oder die Fotos von ihr auf einem unentwickelten Film bleiben, scheint die Beziehung zwischen L. und dem Erzähler immer in Anfängen, in Möglichkeiten, im Potenziellen zu verbleiben. Dabei ist gar nicht ausgemacht, ob nicht das schon genug ist, ob es überhaupt weitergehen sollte oder ob nicht selbst vermeintlich Eindeutiges immer nur der Anfang von etwas ist.

Tilman Rammstedt trifft mit knapper Sprache und dezenter Ironie ein Thema, das einem merkwürdig vertraut erscheint. Die Sache mit der Nähe. Oder der Distanz.

Rammstedt sieht sich seine Protagonisten genau an, er erkennt ihre kleinen Verrücktheiten, ihre Macken und Eigenheiten. Und auch wenn man ein Lächeln und manchmal ein lautes Auflachen nicht unterdrücken kann, trifft es doch tiefer. Rammstedt widersteht der Versuchung, seine Figuren zu erklären, sondern lässt ihnen ihre Eigenständigkeit. Daher können sie einem schließlich nahe kommen.

Auch die anderen Geschichten des Buches erzählen von Annäherungen und ungelebten Möglichkeiten. Da wird unter Freunden ein Spiel im Park veranstaltet. Sie alle sind Neutronen, die sich zu Molekülen zusammenfinden. So bewegt sich ein großes "Menschenmolekül" langsam und fast geräuschlos wiegend, geladen von Spannung und Nähe, um sich plötzlich aufzulösen in ein allgemeines geräuschvolles Arme- und Händeausschütteln und Lachen und Erzählen.

Ein anderes Mal wünscht sich ein Mann, er hätte sich damals, als kleiner Junge, in seine Flötenlehrerin verliebt. Er überlegt sich, was er jetzt alles über sie und seine aufregenden Gefühle von damals erzählen könnte. Doch leider war die Lehrerin weder besonders schön, noch besonders nett. Dieser Markt der Möglichkeiten ist Rammstedts Metier, in dem er sich mit einer erstaunlichen Treffsicherheit bewegt. Dass er seine Sprache durch Publikum geschult hat, merkt man ihr an. Rammstedt ist Mitglied der Gruppe "Fön", die mit erstaunlichen Verbindungen von Text und Musik, mittlerweile auch über Berlin hinaus, auf verschiedenen Lesebühnen von sich Reden machen.

Das Spielerische, Leichte und Ironische - denkbar weit von Schenkelklopfern oder aufgesetzter Coolness entfernt, vielmehr leise, bisweilen auch verschlossen - findet sich auch in "Erledigungen vor der Feier" wieder.

Schließlich erfährt man: "Das mit L. ist zu Ende, kann man sagen, aber dann muss man hoffen, dass niemand fragt, was denn bitteschön das mit L., das jetzt zu Ende ist, gewesen sei, und dann zucke ich die Schultern, und das mit L. bleibt etwas mit L."

Titelbild

Tilman Rammstedt: Erledigungen vor der Feier.
DuMont Buchverlag, Köln 2003.
114 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3832178341

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch