Piratinnen

In Celia Rees' "Piraten!" sind die Frauen die wahren Abenteurer

Von Anette MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anette Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass auch Frauen und Mädchen Piraten werden, ist in der herkömmlichen Piratenliteratur eher selten, müssen sie doch meistens als dekorative Nebensache oder als Objekt piratischer Begierde herhalten. Nicht so in Celia Rees' Abenteuerroman "Piraten!", in dem die Helden Frauen sind, die mühelos den Männern den Rang ablaufen, ihre Weiblichkeit dabei jedoch nicht verlieren. Dabei ist der Weg von der klassischen privilegierten höheren Tochter im Fall der Protagonistin und Ich-Erzählerin Nancy Kington zur finsteren Piratin nicht weit, obwohl es zu Beginn der Geschichte so aussieht, als wäre Nancys Lebensweg klar vorgezeichnet: Von ihrer Stiefmutter unter Mühen zur Lady erzogen, setzt ihr Vater, ein reicher Kaufmann aus dem Bristol des 18. Jahrhunderts, alles daran, Nancy so respektabel wie möglich zu verheiraten. Doch Nancy hat andere Pläne: Ihr Herz gehört dem jungen, mittellosen Seemann William, der seinen Weg zum Kapitän in der Marine machen will, um Nancys würdig zu sein. Zum Entsetzen ihres Vaters lehnt Nancy die gutsituierten Männer, die der Vater ausgesucht hat, ab. Nachdem der Vater jedoch bei einem dreitägigen Sturm seine gesamte Ware und seine Schiffe an das Meer verliert, nimmt er ihr das Versprechen ab, das Ihre dazu beizutragen, um den Wohlstand der Familie und die damit verbundene gesellschaftliche Position zu erhalten. Augenblicke später wird der Vater von einem Schlaganfall niedergestreckt und stirbt bald darauf. Nancy wird von ihren Brüdern und der Stiefmutter auf die Zuckerplantage der Familie nach Jamaika geschickt und alsbald dem finsteren Bartholome, von allen nur "der Brasilianer" genannt, als Frau versprochen. Trotz des Versprechens an ihren Vater, flieht Nancy zusammen mit ihrer Sklavin Minerva vor ihren Brüdern und dem Brasilianer und heuert schließlich, als Mann verkleidet, mit Minerva auf einem Piratenschiff an. Ihr bisheriges Leben völlig hinter sich lassend, machen sich Nancy und Minerva auf eine Reise, die ein großartiges, gefährliches Abenteuer wird. Besonders Nancy bietet, mit dem einzigen Ziel vor Augen, William zu finden und ihn zu heiraten, mutig allen Angreifern und Widrigkeiten des Meeres die Stirn. Bartholome ist ihr dabei jedoch immer dicht auf den Fersen ...

"Die wahren und bemerkenswerten Abenteuer von Minerva Sharpe und Nancy Kington, Piraten!", so der volle Titel des historischen Romans von Celia Rees, ist sorgfältig recherchiert ohne auch nur einen Moment konstruiert zu wirken, was bei historischen Romanen oft die Gefahr ist, und steht ganz in der Tradition der Romane und Geschichten Daniel Defoes. Im Vorwort, das dem Roman Authentizität verleiht und deutlich macht, dass Nancy sich am Ende der bestandenen Abenteuer auf dem Weg zurück nach London befindet, schreibt die Ich-Erzählerin, dass sie plant, ihren Reisebericht Herrn Defoe zu übergeben: "Was nun folgt, ist meine Geschichte. Die Geschichte von mir und Minerva. Sobald ich alles aufgeschrieben habe, was geschehen ist und wie es dazu kam, habe ich vor, die Papiere einem Mr. Daniel Defoe in London zukommen zu lassen, der sich offenbar für alle interessiert, die ein Piratenleben geführt haben. Unsere Geschichte mag unglaubwürdig klingen, fast wie einem Roman entsprungen, aber ich versichere euch, dass sich alles wirklich genau so abgespielt hat." Damit steht "Piraten!" zweifelsohne in der Tradition der englischen Abenteuerliteratur des 18. Jahrhunderts, die stets den Anschein von Authentizität zu erwecken hatte, der die Leser so faszinierte. Rees, die im kurzen Nachwort von intensivsten Recherchen für den Roman berichtet, zeichnet den Alltag auf Piratenschiffen sorgfältig nach und zeigt auf, welche Schwierigkeiten Minerva und Nancy damit haben, die einzigen Frauen unter Männern zu sein.

So sehr Rees' Roman in der Tradition Defoes steht, bricht er diese Tradition auch: Romane dieser Art haben gemeinhin Männer als Protagonisten, die ihr Leben selbst bestimmten, ihre Zukunft planen und Gewalt skrupellos einsetzen, wenn sie keine andere Möglichkeiten sehen, ihren Willen durchzusetzen und ihre Ziele zu erreichen. Genau dies trifft auch auf Nancy und Minerva zu, und allein schon aus diesem Grund ist "Piraten!" nicht nur ein wunderbar erzähltes, vor Spannung knisterndes Buch, sondern es ist, gerade für Mädchen, eine wichtige Geschichte, weil sie aufräumt mit den Klischees einer großen Zahl von Abenteuerromanen für Kinder: der Mann ist der strahlende Held, die Frau hat die Rolle der Bewunderin inne, die am Ende eines blutigen Kampfes die Wunden versorgen und eine warme Mahlzeit reichen darf. Rees' Heldinnnen kämpfen ihre Kämpfe selbst und lassen ihre Wunden danach vom Schiffsarzt versorgen; statt einer warmen Mahlzeit gibt es einen kräftigen Schluck aus der Rumflasche.

"Piraten!" ist ein lautstarkes Plädoyer für die Freiheit in jeder Beziehung - Nancy wehrt sich gegen die Pläne ihres trinksüchtigen Bruders, sie an einen reichen, brutalen Kriminellen praktisch zu verkaufen, um den Wohlstand der Familie zu erhalten. Doch Nancy ist nicht die einzige, der die Freiheit auf immer verwehrt zu sein scheint: Kaum auf der Zuckerplantage der Familie Kington angekommen, erhält Nancy mit Minerva ihre eigene Sklavin, was Nancy sehr befremdet. Ihre Befremdung steigert sich zu Abscheu, als ihr klar wird, dass der Wohlstand ihrer Familie auf Sklavenarbeit beruht: "Ich starrte ihn an, bis ins Mark erschüttert von dem, was ich gesehen hatte. All das war hier, weil es uns gab. Uns, die Familie Kington. Es beschämte mich zutiefst, dass ich mir bis jetzt kaum Gedanken gemacht hatte, wo der Zucker her kam."

Es dauert nicht lange, bis Nancy klar wird, dass sie ähnlich gefangen gehalten wird wie Minerva - auch wenn ihre, Nancys, Gefangenschaft sich komfortabler gestaltet als Minervas. Kaum von der Plantage geflohen, schenkt Nancy Minerva die Freiheit - doch die junge Frau schließt sich ihrer ehemaligen Herrin an.

Rees' Darstellung der Sklavenhaltung ist schonungslos und der Leser teilt das Entsetzen Nancys, als sie feststellt, dass den Sklaven die Initialen der neuen Herrin auf die Haut gebrannt werden: "Er wandte mir die Vorderseite zu. Zwei umgedrehte Buchstaben, ein N und ein K. 'Reines Silber, seht Ihr? Silber hinterlässt schärfere Narben. Man muss es immer erst mit ein wenig Öl einschmieren.' Er rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. 'Um zu verhindern, dass die Haut am Metall festklebt.' [...] Als ich erkannte, was das zu bedeuten hatte, wurde mir flau. Ich hatte das Gefühl, als würde ich gleich bewusstlos."

Rees ist nicht zimperlich, wenn es um die Sklaverei oder die Kämpfe auf den Piratenschiffen geht, aber es ist nie eine Darstellung der Gewalt um der Gewalt willen. Nancys Geschichte ist bunt und aufregend, haarsträubend und faszinierend - und sollte unbedingt gelesen werden, auch weil der Leser sehr viel über die gesellschaftlichen Zustände in England und seinen Kolonien erfährt. Celia Rees hat einen Roman geschrieben, wie er besser fast nicht sein könnte: die Charaktere sind unvergesslich, die Abenteuer sind zahlreich und faszinierend, die Schauplätze sind exotisch, und all dies ist spannend geschrieben und historisch gut recherchiert. Bleibt nur noch eines zu sagen: "Piraten!" lesen!

Titelbild

Celia Rees: Piraten.
Übersetzt aus dem Englischen von Monika Schmalz.
Berlin Verlag, Berlin 2003.
384 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3827050049

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