Die Wacht am Reim

Joachim Klinger versucht sich an einer Ringelnatz-Morgenstern-Adaption und scheitert

Von Malte HorrerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Malte Horrer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Haben Sie auch schon einmal selbst ein Gedicht geschrieben? Na? Eine kleine Ode an die Liebste oder den Liebsten; ein melancholisches Irgendwas über den Sonnenuntergang oder die Unbegreiflichkeit der Welt; eine launische Notiz über Ihren Alltag? Hat doch jeder ... Und ich gestehe: Auch ich habe schon zur Feder gegriffen - um bei einem Radiowettbewerb ein Luxushotel-Wochenende zu gewinnen. Hat nicht geklappt.

Joachim Klinger hat dagegen das vergleichsweise große Los gezogen. Er hat einen Verlag gefunden, der seine Gedichtsammlung in Anlehnung an Ringelnatz und Morgenstern zwischen zwei Buchdeckel gepresst hat. Gleichwohl hatte er es eher leicht. Für Grupello, den Verlag mit den "schönen Büchern für kluge Leute", hat er bereits vier andere Bücher illustriert, sein literarischer Erstling ist dort erschienen und nun auch dieser Gedichte-und-Zeichnungen-Eintopf mit dem Titel "In Hafenkneipen trifft sich gern der Ringelnatz mit Morgenstern".

Klinger, von Hause aus Jurist und lange Zeit tätig beim Kultusministerium in NRW, ist ein großer Verehrer von Ringelnatz und Morgenstern. Wenn diese 82 Gedichte irgend etwas zum Ausdruck bringen, dann das. Dass er die beiden Dichter und ihre Gedichte wirklich schätzt und dies der ganzen Welt mitteilen will, auf dass sie seine Bewunderung mit ihm teile.

Doch reicht er nirgendwo an seine Vorbilder heran. Seinen Gedichten und den dazugehörigen Zeichnungen fehlt samt und sonders vor allem eins: eine Idee. Ein Einfall, wie Dürrenmatt es nennen würde, der trägt, der einen das Gedicht zuende lesen lässt und Lust macht auf das nächste. Die Gedichte haben kaum Witz, fast nie eine Pointe und noch seltener eine Tiefsinnigkeit, über die es sich nachzudenken lohnte. Seine "lyrischen Kapriolen und Karikaturen" - so der Untertitel - sind eben keine Kapriolen, also launenhafte, tolle Einfälle, auch keine Karikaturen, denn diesen oft mäßig liebevoll ausgeführten Zeichnungen fehlt wie den Gedichten der eigenständige Witz, der selbstständige Sinn. So sind diese "Karikaturen" nur Visualisierung der textualen Langeweile, und lyrisch sind beide nicht, auch wenn der Verlag uns das weismachen will.

Genausowenig kann von einer "geschickten" Verbindung der beiden Dichter und der von ihnen erfundenen Gestalten die Rede sein. Zwar tauchen sie alle auf und erleben irgendwelches Zeug miteinander, aber das alles ist so schwach, dass man schon nach wenigen Tagen nichts Konkretes mehr erinnert. Hauptsächlich treten die beiden Dichter persönlich auf (weniger ihre Protagonisten), fahren zur See und frönen dem Alkohol und den Weibern, was zwar zu Ringelnatz' Biographie passt, in Bezug auf Morgenstern aber recht deplaziert wirkt. Überhaupt nimmt das wieder- und wiederkehrende Sexuelle, das in Gedichten gerade wegen der getragenen Sprache besonders "verpackt" werden müsste, sich wie ein Fremdkörper aus. Waren es wirklich Ringelnatz und Morgenstern, denen ihr "Sex-Bedürfnis" (Zitat aus einem Gedicht!) zu schaffen machte?

Besonders gern lesen Klingers übermächtige Vorbilder sich gegenseitig ihre Gedichte vor, kritisieren ihre Kritiker und feiern ihr eigenes Können. Halleluja! Ringelnatz bekommt einen Schluckauf, es macht "hicks" und "hups" und irgendwann ist der wieder weg und "also schreibt er ein Gedicht". Klingers Gedichte scheinen ähnlich hervorgehupst worden zu sein.

Warum glauben so viele Leute - und Klinger bildet hier keine Ausnahme -, Gedichte schreiben zu können und warum halten sie diese dann für veröffentlichenswert? Wer hat schon einmal einen Roman zu Papier gebracht? Viel zu lang! Oder ein Theaterstück? Wie geht das überhaupt? Auch wenn die meisten von uns die Schriftstellerei oder irgendeine andere Kunst nicht zu ihrem Beruf machen, so messen sie sich doch ganz gerne einmal mit eben jenen, deren Bilder im Louvre hängen, deren Konzerte schon Monate im voraus ausverkauft sind oder deren literarisches Œuvre in kommentierten Editionen erscheint. So kritzeln wir Strichmännchen auf Toilettenwände, trällern Sinatra unter der Dusche und "reimen wie Goethe" (unter diesem Motto stand besagter Radiowettbewerb).

Es sind wohl (außer dem damals laufenden "Goethe-Jahr") zwei Hauptgründe dafür verantwortlich, dass dieser Wettbewerb nicht "Dramatisieren wie Brecht" oder "Erzählen wie Mann" hieß, verantwortlich dafür, dass das literarisch produktive Volk sich auf das Gedicht stürzt: Zuerst ist es recht fix gemacht. Während ein Roman eben mehrere Monate braucht, ist ein Gedicht locker an einem Tag vollendet; morgens noch ein nichtsnutziger, arbeitsloser Ehemann, abends - "Schatz, schau mal, was ich geschaffen habe" - ein ganzer Dichter! Vor allem aber sendet das Gedicht meist ein leicht erkennbares archetypisches Signal, durch das es für jedermann als Gedicht erkennbar wird: den Endreim. Dieser also avanciert zum allgemein anerkannten Erkennungsmerkmal wie der Naturalismus in der bildenden Kunst. Wenn eine gemalte Orange so aussieht, dass man hineinbeißen möchte, muss es Kunst sein. Das weiß jeder. Dass eine wirkliche Orange in einem Metallkasten Kunst sein kann, darauf kommt nicht jeder; darauf kommt Joseph Beuys.

Und so kommt kaum einer darauf, dass zu einem guten Gedicht weit mehr gehört - vor allem ein rhythmisches Gefüge - als ein Endreim, der tatsächlich gar nicht zwingend notwendig ist. Aber nein, Metrik ade, reim' dich oder ich fress' dich! In diese Falle ist auch Klinger getappt. Zwar sind seine Gedichte passagenweise handwerklich ordentlich, manchmal sogar ein ganzes, aber in zu vielen Zeilen holpert und rüttelt und schüttelt es, dass man als Leser fast vom Stuhl fällt, und auch der Endreim ist ein ums andere Mal mit dem Holzhämmerchen solange zurechtgeklopft worden, bis er irgendwie gepasst hat. Beispiel gefällig? Bitte schön:

"Ist das nicht das Pseudonym
von dem kleinen Norbert Blüm?"
fragt der Kanzler leicht verdrossen,
"oder war das Wilhelm Busch?"
Denkt er an die Genossen
Und ist plötzlich weg im Husch.
Ja, so ist der Gerhard Schröder!
Der schnappt nicht nach jedem Köder!

Und unterschwellig hat Klinger sein eigenes Versagen vielleicht sogar erkannt und liefert sich selbst die beste Kritik:

Reim und Rhythmus stolpern, schleifen.
Manches Bild ist nicht zu greifen.
Vieles wirkt gekünstelt, starr,
anderes ist zu bizarr.
Verse, wie die Kranken bleich,
sind wohl kaum gedankenreich.
Zwischen Zeilen fehlt die Bindung.
Oft verrät sich die Erfindung.

Uns so kann seine Schlussfolgerung nur sein:

Und bei allen diesen Mucken,
läßt sich kaum ein Büchlein drucken.

Hätte sich diesen Satz doch einer aus dem Laden mit den schönen Büchern für kluge Köpfe zu Herzen genommen.

Titelbild

Joachim Klinger: In Hafenkneipen trifft sich gern der Ringelnatz mit Morgenstern. Lyrische Kapriolen und Karikaturen.
Grupello Verlag, Düsseldorf 2002.
136 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-10: 393374976X

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