Vom Geist der Geselligkeit bei den Aufklärern

Alexandra Kleihues analysiert den Dialog als Form

Von Rita Unfer LukoschikRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rita Unfer Lukoschik

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Neapel, 1769. Die vielgelobte, seit Jahrhunderten obligatorische Etappe europäischer Kavalierstouren erscheint dem italienischen Schriftsteller, Nationalökonomen und Diplomaten Ferdinando Galiani nach seiner Rückkehr aus einem zehn Jahre währenden Aufenthalt in Paris wie ausgestorben. Langeweile lähmt den einst so rührigen Geist, und vergebens versucht er, tapfer gegen den Stumpfsinn anzuschreiben: Der Homo socius, der gesellige Mensch der Aufklärung, der sich hier am augenfälligsten zeigt, erlahmt und verstummt schließlich. Tag für Tag wird er auf den einzigen Lichtblick hoffen, der ihm einen Schatten jenes notwendigen Dialogs mit Geistesgleichen wieder schenke, dessen er bedarf, um den Teig eigener Überlegung zu säuern: auf die Briefe der einstigen Pariser Gastgeberin und der noch treuen Freundin, Louise Florence Pétronille d'Épinay. Ihrerseits tapfer gegen Krankheiten und widrige Zeitläufte kämpfend, wird Madame d'Épinay mit beeindruckendem Fleiß an den fernen Freund schreiben und versuchen, die Atmosphäre ihres Salons, in dem Rousseau und Diderot, Voltaire und Melchior Grimm verkehren, heraufzubeschwören, Geselligkeit und Dialog so zu vermitteln, daß sich Galiani daran laben kann: Politik, Philosophie, Antiquarisches, Wirtschaftliches, kulturrelevante Themen aus allen Wissensbereichen und eine Prise Klatsch bilden den Inhalt einer Korrespondenz, die vierzehn Jahre, bis Madame d'Épinays Tod, andauern wird. Und wenn auch die schlecht funktionierende und unzuverlässig zustellende Post diesen Dialog oft auf groteske Weise zeitversetzt, so eröffnet doch die Lektüre des brieflichen Austauschs zwischen dem italienischen Gelehrten und der französischen Salondame, ihr Causer en écrivant, den wohl beeindruckendsten Einblick in die Welt von Intellektuellen der Aufklärung, deren grundsätzliches und grundlegendstes Merkmal einer sich sonst extrem disparat artikulierenden Bewegung wohl die Prozeßhaftigkeit ihres Denkens ist. Sofort drängt sich bei der Lektüre auf, wie tief die Dialogizität den Briefwechsel durchdringt und auch deren formale Struktur beeinflußt, indem sie unverkennbar Kommunikations- und Schreibstrategien sowie deren stilistische Merkmale bestimmt.

Im Einklang mit dem philological turn der letzten Jahre, der eine Rückbesinnung auf die Literatur als 'Bezugswissenschaft' innerhalb der diversen Manifestationen der Kulturgeschichte sieht, nähert sich Alexandra Kleihues dem Dialog als Gattung, als literarischem Phänomen und aus literaturwissenschaftlicher Perspektive, woran sie sehr gut getan hat.

Stark ist die Literatur über den Dialog im 18. Jahrhundert in den letzten Jahrzehnten angewachsen, und schon drängt Neues auf den Büchermarkt, was die Relevanz des hier behandelten Themas für die Epoche und für die Forschung unterstreicht. Über das bisher Geleistete und das noch zu Leistende gibt Kleihues im Eingangskapitel ihrer Arbeit ("Die Frage nach dem Dialog als Ausdrucksform des Denkens") zuverlässige Auskunft und geht dann dazu über, die Ziele ihrer eigenen Untersuchung abzustecken: den Dialog auf dessen "Inszenierungspotentiale", auf eine sich darin manifestierende Reflexion der Epoche über ihre prinzipielle 'Dialogizität' hin abzufragen.

Als Fallstudien zum Forschungsvorhaben werden nunmehr klassische Autoren behandelt, Shaftesbury, Diderot und Voltaire, zu denen Kleihues Madame d'Épinay hinzunimmt. Dies ist in höchstem Maße zu begrüßen, zeigt nicht nur ihre Korrespondentinnentätigkeit, wie überaus wichtig der Dialog als Lebens- und Denkform für sie und die Mitstreiter der Aufklärung ist, sondern bildet doch der Dialog das Gerüst ihrer übrigen Werke, unter denen sich die hier eingehender untersuchten "Conversations d'Emilie" hervortun, in die viele Anregungen aus dem Briefwechsel mit Galiani einfließen.

Glücklich ist diese Wahl mehrfach zu nennen: Zunächst kann Kleihues dadurch die Bedeutung der Dialogform nicht nur im Spannungsfeld mit der Tradition der Gattung sondern auch im kontrastiven Verhältnis zu deren Verwendung durch männliche Autoren betrachten. Darüber hinaus reflektiert sie so die Stellung der Frau in der Gelehrtenrepublik mit. Und schließlich wird ein bedeutendes Thema für die behandelte Epoche fokussiert, die Fragen der Erziehung und Bemühungen pädagogischer Vermittlung alter und neuer Wissensgebiete ein überaus großes Interesse entgegenbrachte.

Klug ist ebenfalls die Entscheidung hinsichtlich der Themen, die Kleihues unter den vielen möglichen auswählt, um die Rolle des Dialogs bei den beiden weiteren französischen Autoren ihrer Abhandlung zu behandeln: Sprachphilosophie und Theatertheorie bei Diderot, ethnologisch-sozialpolitische Fragestellungen in "Bezug" auf den 'edlen Wilden' bei Voltaire.

Dem allen dient das Kapitel über Shaftesbury, das diachronisch und synchronisch erste, grundsätzliche Fragen über den Dialog aus literaturwissenschaftlicher Perspektive behandelt, als Einleitung, um das notwendige Verständnis zu schaffen für das, was kommen soll. Die einzelnen Abschnitte, die zur leichteren Handhabung jeweils durch konzise Schlußfolgerungen abgerundet sind, dienen in ihrer wohltuenden Abgeschlossenheit sowohl zur wechselseitigen Erhellung als auch zur gemeinsamen Ausleuchtung der untersuchten Epoche.

Der Rezensentin obliegt die angenehme Pflicht, trotz schmerzlich vermisster Personen- bzw. Sachregister, Alexandra Kleihues zu der glücklich gewählten Vorgehensweise und zu einem glücklich zu Ende geführten Forschungsvorhaben zu gratulieren.

Titelbild

Alexandra Kleihues: Der Dialog als Form. Analysen zu Shaftesbury, Diderot, Madame d´Epinay und Voltaire.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2002.
284 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-10: 3826023854

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch