Großes Ohrenkino

Jules Vernes "20.000 Meilen unter den Meeren" als aufwändiges Hörspiel

Von Alexander MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht kleckern, klotzen! Das werden sich wohl der MDR und der Münchner HörVerlag gesagt haben, als sie die Veröffentlichung des 1869/70 erschienenen Klassikers "20.000 Meilen unter den Meeren" geplant haben. Denn neben den normalen CD- und Cassetten-Ausgaben des Hörspiels in Stereo wurde eigens für die Mehrkanal-Technik eine DVD für den Dolby-Surround-Klang produziert. Ob sich dieses Wagnis ausgezahlt hat, ich kann es nicht beurteilen, da mir nur der gewöhnliche Stereo-Klang bekannt ist. Doch auch dieser kann mit der von Helmut Peschina - 2002 mit seiner Funkversion von Elias Canettis "Die Blendung" Gewinner der ORF-Publikumswahl des "Hörspiels des Jahres" - bearbeiteten Fassung dieses großartigen Romans überzeugen.

Dies liegt nicht allein an der erfahrenen Regie Walter Adlers, sondern vor allem an der herausragenden Erzählleistung Gottfried Johns, der den Biologen Pierre Aronnax spricht. Dabei tritt er in den Dialogen seinen Gesprächspartnern auf Augenhöhe entgegen, während er als Erzähler aus dem Off die Geschichte über die Distanz trägt. Wie so viele der guten Geschichten beginnt auch diese mit einem Irrtum. Aronnax wird mit seinem Diener Conseil und dem Harpunier Ned Land auf der Jagd nach einem geheimnisvollen Meeresungeheuer über Bord gespült. Das vermeintliche Meeresungeheuer entpuppt sich allerdings als ein technisches Monstrum, ein Geniestreich des undurchsichtigen Kapitän Nemo, der der Menschheit den Rücken gekehrt hat. Ein größenwahnsinniges Genie, ein verrückter Eremit, ein enttäuschter Idealist, ein Revolutionär der Dritten Welt? Jedenfalls sind er und sein Schiff, die Nautilus, längst zum Allgemeingut der Popkultur geworden, tauchen sie doch direkt oder als Anspielung etwa in Matt Ruffs Farce "Sewer, Gas & Electric" und im gerade erst verfilmten Comic von Alan Moore "The League of Extraordinary Gentlemen" auf. Daher ist es müßig, den Fortgang der Erzählung weiter vorzutragen. Erinnert man sich doch allzu gut an die Riesenkraken, die bislang unentdeckten Meerespassagen, die Nemo befährt, eine gefahrenreiche Reise zum Südpol oder einen Blick auf das versunkene Atlantis. Doch kann ich versichern, dass es dennoch wieder Spaß macht, alles noch einmal mit zu erleben. Die Hörspielinszenierung spart nicht an Effekten, haut sie dem Hörer aber nicht um die Ohren. So kommt es zu einem sehr unterhaltsamen und spannenden Hörerlebnis, das vor allem auch die leiseren Zweifel um Kapitän Nemos Wesen nicht außer Acht lässt. Derart gelingt eine feine, der literarischen Vorlage angemessene Charakterzeichnung, die das Interesse des Hörers über die ohnehin aufregende Handlung hinaus weckt.

Titelbild

Jules Verne: 20.000 Meilen unter den Meeren.
Der Hörverlag, München 2003.
145 min, 19,95 EUR.
ISBN-10: 3899402855

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