Brat fettlos mit Bratfett ohne

Die Werbung dokumentiert die Entstehung moderner Konsumgeschichte

Von Helge SchmidRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helge Schmid

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die deutsche Werbelandschaft gilt als langweilig. Und schaut man einmal über den Tellerrand der deutschen Werbebranche, etwa durch die Cannes-Rolle, dann weiß man auch, weshalb: deutsche Werbung ist bieder, schwerfällig und farblos.

Früher war natürlich alles besser: Das Lenor-Gewissen erinnerte die Deutschen an ihre faustische Seele, Klementinchen half uns, wieder sauber zu werden, und Loriots Brattfett-Sketch ("Brat fettlos mit Bratfett ohne") war an der Wirklichkeit nahe dran.

Heinz-Gerhard Haupts kleine Konsumgeschichte, der es darum geht, die Massenkonsumgesellschaft im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts darzustellen, demonstriert im interkulturellen Vergleich, dass Konsum als Begleiterscheinung einer - nicht auf Europa beschränkten, aber doch zentrierten - Prosperitätsentwicklung erfahrbar und sozialgeschichtlich rekonstruierbar ist. Der historische Abriss seiner Arbeit geht dabei weiter zurück, als sich aufgrund des Untertitels vermuten ließe, war doch schon in der Frühen Neuzeit die Frage der Legitimität des Konsums virulent und waren schon im 18. Jahrhundert Vorläufer der modernen Konsumgesellschaft, wenn auch nicht in allen Regionen Europas, auszumachen.

Die Erzährung, die Ernährungskosten und die Ernährungsgewohnheiten bilden die zentralen Beobachtungsfelder: Denn die Fixkosten für Grundnahrungsmittel mussten deutlich gesenkt werden, absolut ebenso wie relativ zu den sonstigen Lebenshaltungskosten, sollte sich so etwas wie Konsum im modernen Verständnis etablieren können.

Haupt nennt und entwickelt Leitunterscheidungen (Produktion, Distribution, Konsumtion etc.) und Basisinnovationen (Um- und Ausbau der Verkehrswege und Handelsnetze etcetera) als Bedingungen der Möglichkeit allgemeiner Kostenreduktion, die dann Voraussetzungen dafür sein werden, dass 'über' die Befriedigung der basalen Lebensbedürfnisse hinaus Kaufkraft gebildet werden konnte respektive kann.

Der Sammelband von Reinhold Reith und Torsten Meyer demonstriert, wie im Anschluss daran auf immer höherem Niveau konsumiert wurde - mit all den Folgeerscheinúngen, die unsere Luxus- und Überflussgesellschaft mit sich bringt: Der schöne Aspekt der Müll- und Fäkalienwirtschaft mag als Hinweis genügen. Der Band, in der renommierten Reihe "Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt" erschienen, zeigt in Wort und Bild, wie der Luxus das Gesicht der Welt zu verändern begann. Dabei wird herausgearbeitet, dass die Entfaltung der modernen Konsumgesellschaft "ein langwieriger und keineswegs eingleisiger Prozeß" gewesen ist. Von der Frühen Neuzeit bis heute sind diverse "Kommerzialisierungsschübe" auszumachen, und wie es scheint sind wir, trotz Rezession, hoher Arbeitslosigkeit und neuer, 'zweiter' Armut in den westlichen Industrienationen, noch nicht am Ende der Fahnenstange angelangt.

Während bei Reith und Meyer das Non-plus-ultra des Luxus durch die Schwarzweiß-Reproduktion eines Gemäldes von Antoine Watteau ("L'enseigne de Gersaint") anschaulich wird, kann Dirk Schindelbeck in seiner illustrierten deutschen Konsumgeschichte in grellen Farbsensationen geradezu schwelgen. Schon das Durchblättern seines Bandes kommt dem Betrachter vor wie die bilderreiche Beschwörung der Zwillingsformeln Ethik und Ästhetik, Gesundheit und Schönheit, Reichtum und Glück. Was will man mehr, wenn man all das hat, was hier als erstrebenswert oder erwerbenswert, bewahrens- oder verbrauchenswert deklariert wird?

Die Benetton-Werbung freilich scherte hier aus der einfallslosen und einfaltsreichen Selbstgenügsamkeit der Branche aus. Sie zeigte, dass auch das Hässliche in der Werbung höchsten ästhetischen Anforderungen genügen kann, sei es, dass sie das Elend darstellt, das jeder Ölpest folgt, sei es, dass sie die Schattenseiten der mit Kinder- und Sklavenarbeit billig produzierten Luxusartikel einer sozialen Bildreportage gleich demonstriert.

"Bilder", folgert Sigrun Brox folgerichtig, "sind Schüsse ins Gehirn": Sie regen die Speichelproduktion an, provozieren einen halbwegs passablen Ständer oder verankern ein Label für alle Zeiten in den Windungen unserer Großhirnrinde. Mit Hilfe kommunikationswissenschaftlicher Analyseverfahren entwickelt die Verfasserin eine Merkmalscharakteristik für die verschiedenen Konsumentengruppen und führt eine historische Variable ein, um das Konsumentenverhalten in seinen 'Ausschlägen' zu kontextualisieren.

Kathrin Bonacker schließlich stellt 'Körperwelten' ins Zentrum ihrer Studie über die Anzeigenwerbung des 20. Jahrhunderts. Die mentalitätsgeschichtlich aufschlussreiche Arbeit demonstriert, wie sich die verschiedenen Milieus der Moderne in der Werbung inszenieren und durch starke oder diskrete Zeichen Akzentuierungen setzen, die ihre jeweilige Klientel ziemlich treffsicher erreichen. Gleichwohl bleibt die Attribuierung in der Werbesprache (und Bildersprache) häufig konventionell, um nicht zu sagen klischeehaft - und weitgehend unattraktiv. Das Resultat ist ernüchternd, selbst wenn über vielen Warenpräsentationen eine fast zeitlose Idylle liegt, so nach dem Motto: was früher gut war, kann heute nicht schlecht sein. Ach, wären doch auch die deutschen Werbetreibenden dessen eingedenk und würden sich auf ihren früheren Witz zurückbesinnen!

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Sigrun Brox: Bilder sind Schüsse ins Gehirn. Das Bild in der Werbefotografie der 90er Jahre.
Verlag Ludwig, Kiel 2003.
248 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-10: 3933598737

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Heinz Gerhard Haupt: Konsum und Handel. Europa im 19. und 20. Jahrhundert.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003.
176 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3525362560

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Reinhold Reith / Torsten Meyer (Hg.): Luxus und Konsum - eine historische Annäherung. Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt, Band 21.
Waxmann Verlag, Münster 2003.
256 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 3830912765

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Dirk Schindelbeck: Marken, Moden und Kampagnen. Illustrierte deutsche Konsumgeschichte.
Primus Verlag, Darmstadt 2003.
144 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3896782347

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