Die Liebe in den Zeiten der Postmoderne

Martin Suters neuer Roman "Lila, lila"

Von Christian SchneiderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian Schneider

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Das ist die Geschichte von David und Marie. Lieber Gott, laß sie nicht traurig enden." Wer nach diesen Worten an ein glückliches Ende glaubt, ist ein unverbesserlicher Optimist. Und wer nach diesen Worten nicht hofft, dass das Glück dennoch eine Chance erhält, ist ein herzloser Mensch.

Die Geschichte von David und Marie beginnt mit einer Lüge. David fällt zufällig ein verstaubtes Manuskript in die Hände, das von leidenschaftlicher und kompromissloser, aber unglücklicher Liebe handelt. Der schüchterne, linkische David, der als Kellner in einer Bar arbeitet, erkennt sofort seine Chance. Dies ist der ideale Fund, um sich in das Herz der hübschen Marie zu schleichen. Er weiß, Marie interessiert sich für Literatur und wenn er sich als Schriftsteller ausgibt, wird vielleicht auch er interessant für sie. Die Rechnung geht auf. Marie verliebt sich in den jungen Schriftsteller, der in der Lage ist, Gefühle einer so tief empfundenen Liebe zu beschreiben. Der Kunstgriff, die Handlung des Romans in die fünfziger Jahre zu verlegen, macht das Werk literarisch noch interessanter und so beschließt sie, das Manuskript heimlich einem Verlag anzubieten.

Die kleine Lüge am Anfang der Beziehung zieht - das überrascht nicht - viele große Probleme nach sich, als der Roman tatsächlich verlegt wird und zu Davids Entsetzen auch noch ein Bestseller wird. Das Damoklesschwert der Entdeckung schwebt über ihm, die Offenbarung seines Geheimnisses wird immer unmöglicher, schließlich muss er sich auf Lesereisen auch noch in seine neue Identität als Bestsellerautor finden. So ist er fast erleichtert, als sich der vermeintliche Urheber des Manuskripts schließlich zu erkennen gibt und ihm gegen eine finanzielle Beteiligung am Honorar auch noch hilft, sein Geheimnis zu bewahren. Die Probleme sind damit allerdings noch lange nicht aus der Welt, zumal sich Marie immer öfter fragt, ob es wirklich David ist, den sie liebt, oder nicht doch Peter, der Protagonist des Romans. Auch der Optimist wird nun nicht mehr an ein glückliches Ende der Liebesgeschichte glauben.

Das von David entdeckte Manuskript wird von der Literaturkritik als "das Ende der Postmoderne" gefeiert. Endlich scheint es wieder möglich, unverfälscht und authentisch von großen Gefühlen zu sprechen, ohne auf ironische oder parodistische Zitate zurückgreifen zu müssen. In der Welt von David und Marie ist ebenso wie in Martin Suters Erzählweise die postmoderne Erfahrung weiter lebendig. Lediglich der Literaturbetrieb, der als zentraler Faktor das Leben der beiden beeinflusst, drängt David in die Rolle des Visionärs eines "post-postmodernen" Zeitalters. Die literaturwissenschaftliche Diskussion dient nur als oberflächliches Beiwerk zur Demonstration der neuen Lebens- und Arbeitswelt des vermeintlichen Autors. Worauf Martin Suter auch in seinem vierten Roman sein eigentliches Augenmerk legt, ist das Interesse an der Entwicklung und Veränderung seiner Figuren. Wieder handelt es sich beim Protagonisten um einen Menschen, der seine Identität komplett in Frage stellen muss, auch wenn die Gründe hierfür anders als in den ersten Romanen nicht neurologischer Art sind. David muss dieselbe Erfahrung machen wie der Journalist Fabio Rossi in Suters "Ein perfekter Freund": "In jedem von uns steckt das Gegenteil seiner selbst. Und fast jeder kommt in seinem Leben einmal an einen Punkt, an dem er ausprobiert, ob es sich dabei nicht vielleicht um sein wahres Selbst handelt."

Die postmoderne Wiederentdeckung des Narrativen ist ebenso wie das Schließen der modernen Lücke von Unterhaltung und Ernst ein entscheidendes Kriterium für Martin Suters Bücher und entscheidend auch für deren durchschlagenden Erfolg. Dies bedeutet nicht zuletzt einen hohen Stellenwert der Unterhaltung des Lesers und genau hier zeigt "Lila, Lila" deutliche Schwächen. In Form von ermüdenden Längen. Wo man den Verlust an Tiefe in der literarischen Diskussion um die Postmoderne verschmerzen mag, lässt sich die gewohnt genaue psychologische Betrachtung der Personen unter extremen Bedingungen loben. Der Fortgang der Geschichte allerdings ist über weite Strecken zu vorhersehbar und lässt die Spannung der ersten Romane Suters vermissen. Und so können wir mit einem Augenzwinkern schließen: Das war die Geschichte von David und Marie. Lieber Gott, schade, dass sie nicht spannender war.

Titelbild

Martin Suter: Lila, Lila. Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2003.
346 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-10: 3257234694

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch