Sayonara, Vielgeliebte!

Laura Restrepos Roman "Die dunkle Braut" über ein Hurenleben im Herzen Kolumbiens

Von Julia SchusterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Schuster

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gäbe es ein Genre, das man "tropische Tragödie" nennt, so fiele Laura Restrepos Roman "Die dunkle Braut" darunter. Das undurchdringliche, immergrüne Dickicht des kolumbianischen Dschungels wird hier zur Kulisse einer leidenschaftlichen, aber auch leidvollen Liebesgeschichte zwischen einer jungen Hure und einem Ölarbeiter.

In La Catunga, dem Rotlichtbezirk und Armenviertel der Stadt Tora, zählen vor allem drei Dinge: "puta, plata" und "petroléo" - Prostituierte, Geld und Öl. Die Prostitution ist hier keine Schande, weder für die Frau, die sie ausübt, noch für den Mann, der dafür zahlt. Die "putas" gehören ebenso zu Tora wie die "petroleros", die Ölarbeiter, die jeden Freitag von den Ölfeldern nach La Catunga kommen, um sich dort für ihren Wochenlohn die Liebe zu kaufen. Hier taucht eines Tages ein berückend schönes Mädchen auf, dessen erklärtes Ziel es ist, eine "puta" zu werden. Die angesehenste Prostituierte des Ortes nimmt sich des geheimnisvollen Mädchens an und bringt ihm Lesen, Schreiben und Manieren bei, bevor sie ihre Ziehtochter in das Gewerbe einführt. Ob ihrer japanisch anmutenden Schönheit nennt man sie Sayonara, ihr Ruf einer exotischen, göttinnengleichen Liebhaberin eilt ihr schon bald in ganz Tora, ja im ganzen Land voraus. Sie wird das privilegierte Objekt der Liebe aller, die Angebetete, "die Vielgeliebte". Doch Sayonara begeht einen fatalen Fehler: obwohl sie gelehrt wurde, "fürs Nicht-Fühlen zu kassieren", verliebt sie sich unsterblich in einen "petrolero". Außerdem ist da noch ein Jugendfreund Sayonaras, der sich vorgenommen hat, sie zu heiraten und aus ihr eine anständige Frau zu machen.

Die Ich-Erzählerin, Journalistin wie Laura Restrepo selbst, versucht Jahre später, das Leben und die Geschichte der jungen Prostituierten zu rekonstruieren. Unklar bleibt, was der Anlass für diese kriminologische Recherche ist, doch beeinträchtigt wird der Anspruch einer authentischen Berichterstattung, den die Rahmenhandlung erheben will, dadurch nicht. Durch Gespräche mit den Romanfiguren trägt die Erzählerin deren Erinnerungen zusammen, um so sich selbst und dem Leser Sayonaras unergründliches Wesen nach und nach zu erschließen. So kommt sie schließlich auch dem dunklen Geheimnis ihrer Kindheit auf den Grund, "so wie man einer Blüte die Blätter auszupft, um zum Kern vorzustoßen".

Neben der Liebesgeschichte gibt es einen zweiten Handlungsstrang, der einen historischen Kern hat und die Situation der Ölarbeiter thematisiert. Restrepo verarbeitet in ihrem Roman auch ein Stück kolumbianischer Geschichte, wenn sich die einheimischen "petroleros" im "Reisstreik" gegen ihre Ausbeutung durch die nordamerikanische "Tropical Oil Company" wehren. Das von Gewalt erschütterte Land ist unterschwellig selbst ein Akteur der Erzählung. Als elend und opulent zugleich wird das Leben der Bewohner des Armenviertels geschildert.

Eine Reihe skurriler, liebenswerter Figuren und der satirisch-humorvolle Ton sorgen dafür, dass trotz Restrepos poetischer Sprache keine kitschige Sentimentalität entsteht. Wenn die Ich-Erzählerin ihre romantisierte Vorstellung von der Liebe mit ihren Gesprächpartnerinnen teilt, wird sie von den Prostituierten sogleich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, denn sie lassen ihr keinen hohlen Satz durchgehen, "ohne ihn mit der Wirklichkeit zu füllen".

Restrepo zeigt anhand der drei Protagonisten die verschiedenen Schattierungen der Liebe auf. "Das Leben tut weh, madre, ein bisschen" erkennt Sayonara, deren Leben von Trennung und Abschied bestimmt zu sein scheint. So kommt die Liebe mal sehnsüchtig-melancholisch, mal leidenschaftlich, mal verzweifelt daher. Hier erwartet den Leser kein schwüler Tropensex, sondern eine wunderschöne und intensive Geschichte über den Schmerz und die Verrücktheit der einzigen, der wahren Liebe.

Laura Restrepo wurde 1950 in Kolumbien geboren und lebt in Bogotá. Die politische Journalistin und Dozentin für Literatur ist in Südamerika bereits Bestsellerautorin mehrerer zum Teil preisgekrönter Romane. "Die dunkle Braut" bezeichnet Gabriel García Márquez zu Recht als "ein unwiderstehliches Lesevergnügen".

Titelbild

Laura Restrepo: Die dunkle Braut. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Elisabeth Müller.
Europa Verlag, Hamburg 2003.
380 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3203815052

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