Zum Einkaufen ins Museum

Der Katalog zur Ausstellung "Shopping"

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Du willst es, Du kaufst es, Du vergisst es." - So war es im Winter 2002 auf dem monumentalen Banner von Barbara Kruger an der Galeria Kaufhof auf der Frankfurter Zeil zu lesen, einer der umsatzstärksten Shopping-Meilen Deutschlands. Im Kaufhaus selbst wurde mit Schildern auf eine Ausstellung in der Kunsthalle Schirn hingewiesen, die mitnichten in dem Ruch stand, das "Shopping", das Bummeln, Betrachten, Auswählen von Waren künstlerisch aufzuwerten.

So sorgt in der Ausstellung die amerikanische Pop Art eines Claes Oldenburg oder Roy Lichtenstein mit ihrer größtmöglichen Annäherung von Kunst und Konsum für ein Sichtbarwerden ihrer Unterschiede. Mit den Spiegelungen und Lichtreflexen in den Schaufensterscheiben überhöhen die Bilder von Richard Estes und Don Eddy die Ästhetisierung der Ware und zeigen dadurch, was den Blick des Betrachters an die Dinge fesselt: Glanz, Eleganz und Hülle. Kontextverschiebung, Appropriation, subversive Infiltration oder Analyse sind die Strategien, derer sich die Kunst in der Auseinandersetzung mit der Präsentationsästhetik der Konsumwelt bedient. Seit Walter Benjamins Beschreibung des Flaneurs in den Passagen in Paris im 19. Jahrhundert sind die komplexen Wechselwirkungen zwischen Warenpräsentation und Konsum auch in der Kunst zum Thema geworden.

Dass man Konsumkritik auch am Ort des Geschehens anbringen kann, ohne dass dadurch empfindliche Umsatzeinbußen hingenommen werden mussten, ist ein Indiz dafür, dass die Unterscheidung kritisch - affirmativ so nicht mehr gilt. "Der offene Luxus und Überfluss ist die schärfste Waffe gegen jede Kritik an der Konsumgesellschaft", schreibt Max Hollein. Wie wäre es damit: Die Konsumgesellschaft muss sich nicht länger verteidigen und konsumiert die Kritik an sich mit. Mehr noch: sie fördert sie sogar. Die Ausstellung "Shopping" wurde von Firmen wie Douglas und der Kaiser's Tengelmann AG unterstützt, das Pharmaunternehmen Merck füllte die Regale von Damian Hirsts Installation "Pharmacy". Die Werbung kam von der Frankfurter Agentur Saatchi & Saatchi.

"Shopping" versammelt über 70 künstlerische Positionen, darunter Arbeiten von Eugène Atget, Man Ray, Marcel Duchamp, Gerhard Richter, Andy Warhol, Christo, Joseph Beuys und Jeff Koons. Neben zahlreichen Leihgaben aus internationalen Museen und Privatsammlungen sowie raumfüllenden Installationen von Andreas Gursky und Sylvie Fleury haben die Künstler Haim Steinbach, Ben Vautier, Olaf Nicolai, Guillaume Bijl und Surasi Kusolwong eigens Werke für die Ausstellung geschaffen.

Den Auftakt bilden Eugène Atgets Fotografien der Pariser Schaufenster sowie Arbeiten von Berenice Abbott und Walker Evans, die einen authentischen Eindruck der Warenpräsentation und des Lebensgefühls am Anfang des Jahrhunderts vermitteln. Einer der ersten Künstler, der den Schritt von der Dokumentation zur Gestaltung vollzieht, ist Friedrich Kiesler mit seinen fundamentalen Studien zur Dekoration von Schaufenstern.

Der Surrealismus spielt mit der suggestiven Verführungskraft der Schaufensterpuppe, das Bauhaus setzt sich mit neuen Präsentationsformen von industriellen Produkten auseinander. Nach dem Zweiten Weltkrieg öffnet sich die Pop-Art der Alltagskultur und der Konsumwelt. Objekte des täglichen Gebrauchs werden isoliert, vergrößert oder verfremdet, parodiert und fetischisiert. Andy Warhols Brillo-Schachteln imitieren durch Aneinanderreihung und Wiederholung sowohl die Massenherstellung als auch die Illusion des grenzenlosen Überflusses. Wie nie zuvor reflektiert die Pop-Art Elemente der Alltagskultur als stilbildende Ikonen unserer Gesellschaft.

Während die Pop-Art die Konsumkultur umarmte und Kunst für ein Massenpublikum schaffen wollte, etablierten die Fluxus-Künstler ein internationales Netz von Flux-Läden mit dem Ziel, Kunst zu entkommerzialisieren und das kapitalistische System mit ihren verspielten, zweckfreien Produkten zu unterlaufen und sich dessen Distributionssysteme zunutze zu machen.

Haim Steinbach und Jeff Koons nähern sich der Beziehung zwischen Kunst und Konsumwelt ebenfalls in unvermittelter, bisweilen ironischer Weise. Von Jeff Koons zeigt "Shopping" Arbeiten aus der berühmten Serie "The New", in der er den massenproduzierten Staubsaugermodellen der Firma "Hoover" mithilfe von Plastikglasumhüllungen und Neonlicht die Aura des ewig Neuen, Ungebrauchten und absolut Begehrenswerten verleiht. Seitdem sind freilich etliche Staubsaugergenerationen ins Land gegangen. Haim Steinbach thematisiert die Strategie und Ästhetik der Modepräsentation von großen Warenhäusern in einer Arbeit, die aus 50 entlang der 80 Meter langen Fensterfront der Schirn-Ausstellungshalle platzierten Schaufensterpuppen besteht.

Der Bogen der aktuellen "Shopping"-Künstler spannt sich von Fleurys vergoldetem Einkaufswagen als Symbol des heilig gesprochenen Konsums über den realitätsgetreu eingerichteten zeitgenössischen Supermarkt von Guillaume Bijl bis zu Andreas Gurskys analytischem Blick auf den kühlen Glamour der Prada-Stores. Auf Gurskys Fotografien findet man die in den Bildraum gestaffelten und bis zum Bersten gefüllten Regale amerikanischer Stores, zwischen denen die Köpfe der Menschen herumtanzen wie herausgerissene Markierungsbojen im aufgewühlten Meer. In seinem "Neuen Supermarkt" übersetzt Guillaume Bijl die Wirklichkeit der künstlichen Konsumgesellschaft in die Unwirklichkeit des Kunstraums. Unter dem verfremdenden Blick enttarnt sich das Altvertraute als manipulierte Künstlichkeit.

In durchweg lesenswerten Aufsätzen dokumentiert das Begleitbuch ein Stück Konsumgeschichte der Kunst - von der Entstehung von Kaufhäusern und Schaufenstern bis zur Mega-Shoppingmall und Internet. Erstrahlten damals die Schaufenster in einer neuen, starken Helligkeit, die neben den ausgestellten Artikeln auch die geschäftigen Massen und konsumfreudigen Passanten auf der Straße in ein warmes Licht tauchte, und wurden die Ladenpassagen für die hektischen Zuschauer zu einer Art Film, in dem vielfältige Sinnesreize und Eindrücke miteinander konkurrieren, so krümmt der Konsument in Zukunft vielleicht nur noch seinen Zeigefinger. Mehr wird nicht erforderlich sein, um im Online-Supermarkt per Mausklick den Einkaufswagen zu füllen.

Titelbild

Christoph Grunenberg / Max Hollein (Hg.): Shopping. Kunst und Konsum im 20. Jahrhundert.
Hatje Cantz Verlag, Ostfilden-Ruit 2002.
269 Seiten, 39,99 EUR.
ISBN-10: 3775712135

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