Shakespeare - wie er uns gefällt

"Der Shakespeare-Führer" von Ulrich Suerbaum

Von Carolin BiewerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Carolin Biewer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Shakespeares Dramen zählen zu den meistgelesenen, meistgespielten, aber auch meistkommentierten Werken der Weltliteratur. Aus den zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die in den letzten Jahren zu Shakespeares Werk erschienen sind, ist eine besonders zu nennen. Mit dem "Shakespeare-Führer" ist es Ulrich Suerbaum gelungen, ein Nachschlagewerk zu Leben, Werk und Rezeption des berühmten Schriftstellers vorzulegen, das gleichermaßen wissenschaftlich fundiert und doch für jedermann verständlich und unterhaltend ist. Jeder Leser, egal welcher Vorkenntnisse in Sachen Shakespeare, wird aus dieser Lektüre Gewinn ziehen können.

Die Stärke des Shakespeare-Führers liegt in seiner Konzeption. In einem ersten Abschnitt werden grundlegende Informationen über das Leben Shakespeares sowie über die Bühnen seiner Zeit vermittelt und die Aufnahme von Texten und Bühnenadaptionen durch die Kritik in den verschiedenen Jahrhunderten bis heute dargelegt. Auf dieser Grundlage aufbauend werden dem Leser in einem zweiten Abschnitt die Gattungsbegriffe der Komödie, Historie und Tragödie vorgestellt, anschließend werden die einzelnen Stücke besprochen. Dies geschieht in Bezug auf den Inhalt, die Entstehungszeit, die Quellenlage, die Textüberlieferung sowie in Bezug auf die Rezeption durch Bühne und Wissenschaft. In einem etwas knappen Rahmen werden dann alle wesentlichen Informationen zur Lyrik Shakespeares, seinen Sonetten und erotisch-narrativen Gedichten abgehandelt. Der Anhang schließlich bietet Literaturempfehlungen und zwar sowohl zu den einzelnen Themen, die im ersten Abschnitt angerissen wurden, als auch zu den einzelnen Stücken. Dazu ist jeder Abschnitt mit Bildmaterial angereichert, etwa von wichtigen oder berühmten Inszenierungen oder Verfilmungen bis zu historischen Gemälden oder Skizzen oder Fotos von Erstausgaben.

Im ersten Abschnitt stellt Suerbaum nicht nur die intensiv diskutierten Fragen der Shakespeare-Forschung vor, sondern bezieht auch klar Stellung. Da wäre z. B. die in den Medien häufig wiederkehrende Frage zu nennen, wer sich nun wirklich hinter Shakespeare verberge. Suerbaum stellt das, was wir über Shakespeare wissen können, dem gegenüber, was einzelne von Shakespeare zu wissen glauben. Damit führt er den Leser zu dem heute etablierten Ansatz der Shakespeare-Forschung, dass es nicht nur einen, sondern viele Shakespeares gibt, da jede Epoche sich ihr eigenes Bild des Dichters erstellt. Suerbaum sensibilisiert so den Leser schon auf den ersten Seiten für eine kritische Herangehensweise an Shakespeares Werk, eine Herangehensweise, die ihre Faszination in der Vielzahl der Interpretationen entdeckt und sich von einer klischeehaften Darstellung des Dichters in den Medien distanziert.

Es folgen Informationen zu Shakespeares Theater, eine Abhandlung über den Unterschied zwischen page und stage in der Bewertung durch das Publikum sowie eine Einführung in die Geschichte der Shakespeare-Forschung. Nachdem der Leser sich von einem allzu populärwissenschaftlichen Zugang über die Biographie des Dichters befreit hat, erhält er nun die Möglichkeit, die Faszination Shakespeare aus Sicht der Bühnenwirksamkeit zu erleben und auch kritisch zwischen Theatererlebnis und Leseerlebnis zu unterscheiden. Somit wird Shakespeare für den Leser nicht nur auf zwei verschiedenen Ebenen fassbar. Es gelingt ihm auch, ein Gespür dafür zu entwickeln, wie sich einzelne Epochen ihren eigenen Shakespeare durch Überarbeitung des Dramentextes und durch Bühnenadaptionen schufen.

Als nächstes werden Ansätze und Theorien aus der Geschichte der Shakespeare-Forschung vorgestellt, die bis heute von Einfluss sind. Der Überblick reicht von der Textkritik und der Quellenforschung, die - mit akribischer Recherche der historischen Fakten - am Beginn der Shakespeare-Forschung stehen, bis hin zu den wissenschaftlichen Schulen des 20. Jahrhunderts wie dem New Historicism und dem Cultural Materialism, die sich gegen ahistorische Interpretationen wenden und das Subversive des Œuvres in den Vordergrund rücken. Obwohl Suerbaums Einschätzungen zur Datierung der Werke Shakespeares sowie seine Stellungnahme zur Wirkung von Strukturalismus und Dekonstruktivismus auf die Shakespeare-Forschung etwas verwirrend wirken, ist der Überblick insgesamt Gewinn bringend. Der Leser wird aus den Fragestellungen der heutigen Forschung heraus die verschiedenen Interpretationsansätze für die Dramen Shakespeares, wie sie im zweiten Abschnitt des Buches vorgestellt werden, leichter verstehen.

Im zweiten Abschnitt werden die Stücke den Gattungen Komödie, Historie und Tragödie zugeordnet und die Gattungen im einzelnen vorgestellt: wie man sie definiert, welche Traditionen sich dahinter verbergen, welche Quellen, Stoffe, Figurenkonstellationen und Handlungen für sie jeweils typisch sind. Anschließend werden jedem Drama bis zu acht Seiten gewidmet, in denen eine Inhaltsangabe des Stückes gegeben wird, gefolgt von einer Diskussion über seine Datierung, welche Quellen ihm zugrunde liegen und welche mehr oder weniger zuverlässigen Textausgaben es gibt. Einen breiten Raum erfährt jeweils die Rezeption durch Theater und Wissenschaft, die zusammen mit dem hervorragenden Bildmaterial zu berühmten Inszenierungen und Verfilmungen ein schillerndes Panorama der Shakespeare-Interpretationen ergibt. Während die Inhaltsangaben durch ihre Kürze manchmal etwas irreführend sind (bei der Besprechung von "The Merry Wives of Windsor" hat sich auch ein kleiner Fehler eingeschlichen: nicht Sir Hugh Evans, sondern Slender, der Neffe Shallows, ist der dritte Heiratskandidat für Anne Page), sind doch die Besprechungen der Stücke insgesamt zuverlässig und sehr gelungen. Suerbaum zeigt in seiner Darstellung sehr gut allgemeine Tendenzen auf, sowohl in der gattungsspezifischen Dramenkonzeption Shakespeares als auch in den Bewertungsmaßstäben der einzelnen Jahrhunderte. Auch werden hier alle aufgezeigten Interpretationsmöglichkeiten aus dem ersten Teil so eingesetzt, dass dem Leser Erstaunliches gelingt: Vom Interessenten an Shakespeare zum Wissenden über Shakespeare geworden, kann er sich nun auch von den vorgegebenen Interpretationen lösen und seinen eigenen Vorstoß wagen. Dies wird noch dadurch gesteigert, dass der Leser danach noch eine kurze Einführung in die Lyrik Shakespeares erhält, mit der stummen Aufforderung, sich auch mit dieser Gattung nun selbstständig zu befassen. Mit dem Anhang, bestehend aus einer nützlichen Bibliographie zu Shakespeares Leben und Werk, sollte der weiteren Beschäftigung mit Shakespeare nichts mehr im Wege stehen.

Ulrich Suerbaum ist emeritierter Professor für englische Literaturwissenschaft an der Universität Bochum. Er wurde einer breiteren Öffentlichkeit u.a. durch einschlägige Veröffentlichungen zu Shakespeare und seiner Zeit bekannt, darunter "Shakespeares Dramen", 1980 (neue Ausgabe 2001), und "Das Elisabethanische Zeitalter", 1989 (neue Ausgabe 1998). Mit dem "Shakespeare-Führer" erweist sich Suerbaum als ein Spezialist seines Faches im doppelten Sinn. Er versteht es, reichhaltige Informationen über Shakespeare intelligent aufzuarbeiten, und er zeigt sich als hervorragender Pädagoge, der seine Leser gleichzeitig begeistert und kritikfähig macht. Das ist ein Shakespeare(-Führer), wie er uns gefällt.

Titelbild

Ulrich Suerbaum: Der Shakespear-Führer.
Reclam Verlag, Ditzingen 2001.
400 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3150104858

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