Soviel Vergangenes

Mirjana Stancics umfangreiche Darstellung analysiert "Leben und Werk" Manès Sperbers

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Autor, Publizist und Essayist Manès Sperber wird hierzulande nicht mehr viel gelesen. Dabei spiegelt sein Leben und Werk in besonderer Weise die Zerrissenheiten des 20. Jahrhunderts wider. Der 1905 im galizischen Schtetl Zablotow geborene Sperber erlebte in seiner Kindheit noch die vergangene Welt der ostjüdischen Kultur. 1916 floh die Familie vor antisemitischen Übergriffen nach Wien. Der damit verbundene soziale Abstieg politisierte den jungen Sperber und brachte ihn erstmals mit sozialistischen Ideen in Berührung. Die Begegnung mit Alfred Adler, der ihn zu seinem engen Mitarbeiter machte, öffnete ihm das Feld der Psychologie. Über die Frage der Politisierung der Individualpsychologie, die der inzwischen in Berlin der KPD beigetretene Sperber vertrat, kam es zum Bruch mit Adler. 1933, nachdem er eher zufällig bei einer Razzia verhaftet worden war, verließ Sperber Deutschland. Als moskauhöriger Parteiarbeiter übernahm Sperber Aufgaben in der Komintern. Zweifel an der Richtigkeit seiner Haltung traten erst im Zuge der Moskauer Schauprozesse auf. 1937 kam es zum Bruch mit der Partei. Nach dem Krieg engagierte sich der inzwischen in Paris lebende Sperber gegen Totalitarismus von rechts und links. Er war einer der Initiatoren des 1950 in Berlin gegründeten Kongresses für kulturelle Freiheit. Das gutgemeinte Projekt geriet freilich in den Verdacht, ein Instrument des Kalten Krieges zu sein, als bekannt wurde, dass der Kongress massive Finanzhilfen durch den amerikanische CIA erhalten hatte. Der neuen Linken, insbesondere der Studentenbewegung der 60er Jahre stand Sperber kritisch gegenüber. 1983 warf er der Friedensbewegung einen naiven und fehlgeleiteten Pazifismus vor. 1984 starb Sperber.

In dem vorliegendem Band wird nun erstmals Leben und Werk Sperbers ausführlich dargestellt. Dabei will die Autorin den historischen Zeitzeugen Sperber zusammenbringen mit dem Schriftsteller und Essayisten, dem Politiker, dem Psychologen und dem Grenzgänger zwischen der deutschen und französischen Kultur. Leben und Werk Manès Sperbers sollen so als sich gegenseitig durchdringendes Wechselspiel erläutert werden.

Die anspruchsvolle Herangehensweise beeindruckt zunächst durch die Fülle des Materials. Die Autorin hat intensiv Nachlässe, Archive und Bibliotheken in Österreich, Frankreich, Deutschland, Russland und Kroatien ausgewertet. Mit diesem Material kann sie ganz im Sinne der von Sperber selbst in seiner Erinnerungs-Trilogie "All das Vergangene" aber auch in seinem eigentlichen Hauptwerk, der Trilogie "Wie eine Träne im Ozean", vorgegebenen autobiografischen Rekonstruktionsmethode vor allem jene späteren Lebensphasen mit Material auffüllen, die Sperber selbst nur pauschal und kursorisch behandelte. Anders als bei den frühen Erinnerungen, deren Literarisierung aus exakter Erinnerung und erfundener Rückerinnerung Sperber durch eine selbstreflektierende Metabetrachtung als Psychologe ,kommentierte', erzählte Sperber die unmittelbare Vergangenheit sehr viel mehr aus der konkreten Erinnerung heraus. Die Reflexion auf der Metaebene ersetzte er durch eine Art politisch-zeitgeschichtlichen Kommentar. Hier macht sich die Autorin gewissermaßen zum Vollender der biografischen Aufzeichnungen.

Darin liegt denn auch der Mangel dieser umfangreichen Biografie. Die Autorin entwickelt kein eigenes Erkenntnisinteresse, aus dem heraus sie Sperbers Leben und Werk zu hinterfragen wagt. Statt dessen bestätigt sie die Interpretationen Sperbers. So beschreibt sie beispielsweise die schulischen Misserfolge Sperbers in Wien als ein "Trauma". Sie übernimmt damit die von Sperber vorgenommene literarische Idealisierung, die darauf zielt, einen folgerichtigen Ablauf seines weiteren Werdegangs zu erklären. Auch die Bemerkung, Sperber habe während der kurzen Zeit seiner Inhaftierung 1933 auf sein "tiefenpsychologisches Handwerk als Rettung in der ausweglosen Situation" zurückgegriffen, indem er in einer ",pessimistischen Ermutigung'" sich vor dem Schlimmsten zu wappnen verstand, ist wohl zuallererst Bestätigung Sperbers erinnernder Literarisierung: "So war es gewiß die bedeutendste psychologische Leistung, die ich je vollbracht habe, daß ich mich instand setzte, als Toter im Wartestand zu leben." Dass im übrigen dieses Bild selbst wieder auf die angeblichen letzten Worte Eugen Levinés vor seiner Ermordung zurückgeht, vermerkt die Autorin in einer Fußnote.

Neue Erkenntnisse kann die Autorin mit ihrer Methode für Sperbers Leben und Werk in den Jahren seit 1945 bringen. Akribisch werden Motive, Arbeitszusammenhänge und inhaltliche Themen in Sperbers Schaffen dargelegt. Hier erweist sich auch die ansonsten etwas ausufernde inhaltliche Nacherzählung vor allem der Essays Sperbers als sinnvolle Herangehensweise. So lässt sich nachvollziehen, wie Sperbers antitotalitäres Engagement seit den 50er Jahren immer mehr zu einer vehementen Kritik der Linken wurde. Als schließlich die Studentenrevolte, die er 1968 in Paris unmittelbar vor seiner Haustüre erlebte, Position forderte, kanzelte Sperber die Bewegung mit Begriffen wie "Obskurantismus, Negativismus, Revoluzzertum, Meinungsterror und ,Meinungssuff'" ab. Sperber empfand den antiautoritären Gestus der Studenten als "Provokation des vernünftigen Handelns". Sein Maßstab war dabei nicht der in die Zukunft gewandte utopische Gesellschaftsentwurf, sondern das vergangene Schicksal seiner Generation. Hier blieb der "alte Marxist und Intellektuelle", als welcher er sich immer bezeichnete, in seiner konventionellen und behäbigen Denkweise weit hinter den Erfordernissen einer neuen historischen Ausgangssituation zurück. Die ungerechte Wucht seiner Ablehnung mochte sich dabei speisen aus einer tiefsitzenden Kränkung, an die ihn das Aufbegehren der Studenten erinnerte: Hier schien sich sein eigenes verfehltes Handeln als verblendeter junger Kommunist zu wiederholen. Gefangen in seiner regressiven Projektion war er seinen emotionalen Verstrickungen ausgeliefert, was die unverhältnismässige Aggression gegen die Studenten zu erklären vermag.

So blieb Sperber einem Teil der etablierten Linken verdächtig. 1983 kam es fast folgerichtig zum Eklat, als Sperber in seiner Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreises ausgerechnet in der Hochzeit der Friedensbewegung deutliche Worte gegen den Pazifismus fand. Während die Rede im linken Lager auf barsche und in ihrem pauschalen Reflex teilweise ungerechtfertigte Ablehnung stieß, kam unwillkommene Zustimmung aus dem extremen rechten Lager. Sperber ließ sich dadurch nicht beirren. In einem Brief an den Freund Siegfried Lenz schrieb er wenige Monate vor seinem Tod: "Die Frankfurter Rede war übrigens die pazifistischste meines Lebens. Daß sie im Namen des modischen Pazifismus so verurteilt wurde, stimmt einen sehr nachdenklich in Bezug auf den deutschen Pazifismus, der mit dem Pazifismus eines Wilhelm Foerster, eines Gustav Landauer oder des jungen Trotzki genau soviel zu tun hat wie der Nationalsozialismus mit dem Sozialismus."

Hier wie auch an vielen anderen Stellen enthält sich die Autorin einer Bewertung. Das macht die Lektüre dieser Biografie für einen Sperber-Anfänger zuweilen mühsam. Dem Kenner freilich mag sie als üppiger Fundus dienen.

Kein Bild

Mirjana Stancic: Manès Sperber. Leben und Werk.
Stroemfeld Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
687 Seiten, 48,00 EUR.
ISBN-10: 3861091631

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch