Die Narren-Performance

Zur Thomas-Bernhard-Biographie von Gitta Honegger

Von Oliver JahrausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Jahraus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was den Biographien in diesen Tagen ihre Konjunktur beschert, das macht auch ihr Kernproblem aus: nämlich der Zusammenhang von Leben und Werk. Gerade dort, wo das (abenteuerliche, besondere, beispielgebende) Leben an sich nicht der eigentliche Grund ist, warum man eine Person im öffentlichen Gedächtnis behalten und biographisch durchleuchten mag, sondern ein Werk, ein philologisches allzumal, wird die Relation von Leben und Werk immer problematisch. Abgesehen davon, dass man das Werk niemals nur als biographisches Dokument lesen kann oder darf, ist es auch fraglich, inwieweit das Leben das Werk interpretieren oder erleuchten kann und warum wir zum Werk das leben noch brauchen. Fast schein es, als ob dieses Problem bei solchen exzentrischen Skandalautoren - und als ein solcher wurde und wird Bernhard noch heute im öffentlichen Bewusstein wahrgenommen - weniger wichtig sei. Hat Bernhard doch zeit seines Lebens immer wieder provoziert, und zwischen den persönlichen und den literarischen Provokationen ist selten trennscharf zu unterscheiden. So gehört Bernhard doch zu der illustren Reihe österreichischer Selbstdarsteller und Staatsschauspieler, wie sie Sepp Dreisinger vor ein paar Jahren photographiert hatte.

Gitta Honegger ist sich dieses Problems bewusst. Daher hat sie eine Idee entwickelt, mit der es ihr nicht nur gelingt, die verschiedensten Aspekte von Bernhards Biographie aufeinander zu beziehen und einen Brückenschlag zwischen Leben und Werk zu bewerkstelligen, sondern auch ihre eigene Kompetenz mit einzubringen. Denn sie, gebürtige Österreicherin, ist nicht nur eine intime Bernhard-Kennerin, sondern auch Theaterwissenschaftlerin und Dramaturgin und lehrt an der State University Arizona. In Amerika und im amerikanischen Original ist das Buch daher auch zuerst erschienen. Die deutsche Fassung ist eine Übersetzung der Verfasserin selbst.

Die grundlegende Idee dieser Biographie bezieht zwei Aspekte aufeinander, die sich in einer einzigen Vorstellung ausdrücken lassen, in einem Bild, das man sich vor Augen führen kann, wenn man versucht, sich Bernhard in typischer Pose oder Situation vorzustellen: die Selbstinszenierung des Narren. Dazu nutzt sie ein Konzept, das ihr bestens vertraut ist, das der performance, und das man nicht mit dem abstrakten deutschen Begriff der Performanz übersetzen darf. Denn der amerikanische Begriff der performance beinhaltet ein inszenatorisches Moment, das man aus dem Theaterbereich, aber insbesondere auch aus dem Avantgardetheater kennt. Bernhard hat dem selbst Vorschub geleistet: Er ist ja nicht nur selbst ein perfekter Dramatiker, er nutzt auch dramatische Kategorien über den dramatischen, ja sogar den literarischen Bereich hinaus. Er bezeichnet nicht nur epische Texte mit dramatischen Kategorien ("Alte Meister. Eine Komödie"), mit dem Titel seiner Erzählung: "Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie?" hat er zudem eine biographische, existenzielle, geradezu existenzialistische Gretchenfrage formuliert, die nicht nur auf alle Lebensbereiche, sondern auch auf Existenz und Biographie Bernhards selbst vielfältig angewendet werden kann - was Gitta Honegger auch nutzt. Zudem, aber auch in diesem Sinne, erlaubt es der Begriff der performance, bestimmte Formen der kulturellen Präsenz zu erfassen und zu beschreiben, wie sie Bernhard zugerechnet werden können. Immerhin heißt das Buch im Original: "The making of an austrian". Und damit werden zwei weitere Aspekte deutlich. Nämlich zum einen der österreichische Kontext, insbesondere in seinen historischen, politischen und kulturellen Implikationen, auf den Gitta Honegger explizit und umfassend eingeht, und zum andern der Aspekt der kulturellen Erzeugung von bestimmten Rollen- und Provokationsmustern.

Sieht man von den kleineren Biographien von Hans Höller bei rororo und von Joachim Hoell bei dtv ab, so liegt hier die erste große und umfassende Biographie Bernhards vor, der es nicht allein nur um eine Vorstellung geht, sondern um die Darstellung des gesamten Kontextes, ohne den man weder den Autor noch das Werk, weder den privaten noch den öffentlichen Bernhard angemessen verstehen kann. Gegenüber den kleineren Vorstellungen ergibt sich daher ein gegenläufiger Doppeleffekt: Auf der einen Seite ist das Bemühen spürbar, den Gesamtkomplex Bernhard darzustellen und auch auf seine Voraussetzungen und Hintergründe hin durchschaubar zu machen. Auf der anderen Seite besitzt das Rollenmodell des Narren doch auch eine begrenzte Tragfähigkeit und eingrenzende Perspektive.

Eines aber muss man der dieser Biographie doch zugute halten: So souverän, wie Gitta Honegger das Narrenmodell als biographisches Prinzip handhabt, so wenig reduziert sie damit Bernhard selbst auf ein eindimensionales Modell. Es ist nicht so, wie es der Untertitel vielleicht zunächst vermuten lässt, als ob Bernhard hier als Narr vorgeführt werden würde. Im Gegenteil: Bernhard wird überhaupt nicht vorgeführt. Und vielleicht ist das das Geheimnis jeder guten Biographie - so auch dieser: nämlich eine gewisse, versteckte und sehr dezente Sympathie oder wenigstens Aufmerksamkeit für das beschriebene Leben spürbar werden zu lassen. Und außerdem würde man den komplexen Strategien der Selbstinszenierung Bernhards auf den Leim gehen, würde man ihm seine Narreteien widerspruchslos abkaufen. An diesem Punkt macht sich eben das zweite Hauptmotiv dieser Biographie bemerkbar, das der performance. Gitta Honegger zeigt uns nicht nur, wie sich Bernhard als Narr selbst stilisiert und inszeniert, sie erlaubt uns auch einen Blick hinter die Kulissen seiner Inszenierung.

Andererseits darf aber eine Biographie nicht so nah am erzählten Leben sein, dass die Biographie nur ein Projekt fortschreibt, das in der Biographie selbst angelegt ist. Problematisch ist hier dasjenige, was man den Herkunftskomplex nennen könnte, nicht zuletzt deswegen, weil Bernhard für diesen Komplex eine Autobiographie in fünf Bänden hinterlassen hat. Zum einen kann man die Tendenz feststellen, in diesem Bereich die Autorität Bernhards anzuerkennen und die Finger von Themen zu lassen, die Bernhard selbst schon ausführlich dargestellt und interpretiert hat. Und zum zweiten kann man die Tendenz erkennen, hier eher der von Bernhard vorgegebenen Linie zu folgen. Symptomatisch hierfür sind die zahlreichen, kursiv gesetzten Einsprengel des Bernhard-Markenzeichens, des Wörtchens "naturgemäß". Überall dort, wo dieses Wörtchen auftaucht, auch wenn es immer kenntlich gemacht wird, ist doch Vorsicht geboten, weil die Verfasserin hier spurgenau im Fahrwasser Bernhards schwimmt. Vor solchen Zurückhaltungen aber besteht für eine Biographie gar kein Grund; und hier hätte man sich vielleicht nicht einen Blick mit mehr Indiskretion oder Investigation erwartet, aber doch eine kritischere Distanz. Dass dies insbesondere an jener Phase des Lebens virulent wird, der durch die Autobiographien abdeckt ist, mag auch noch einen anderen Grund haben, weil in diesem Bereich der Aspekt der performance weniger deutlich in Anschlag gebracht werden kann. Vielleicht kann man sogar so weit gehen, diesen autobiographisch bearbeiteten Herkunftskomplex überhaupt als Testfall für alle weiteren Bernhard-Biographien anzusehen.

Umgekehrt entfaltet der Aspekt der performance eine eigentümliche interpretatorische Kraft, wo es um das Werk geht. So gelingt es der Biographie, nicht nur Bernhards Werkentwicklung, sondern auch das Ineinandergreifen von fiktionalen und metafiktionalen, von literarischen und journalistischen oder gar politischen Texten und Äußerungen in einem Gesamtkomplex zu beschreiben. Ausgangspunkt ist die Überzeugung, dass alle Texte Bernhards "Akte eines Solo-Performers" seien. Dabei rekonstruiert sie eine "Poetik des Performativen", die nicht nur auf das dramatische ebenso wie auf das epische Werk, sondern insofern auch auf die Bernhardsche bzw. Bernhardeske Selbstinszenierung des Schriftstellers bezogen wird und so zu einer Vervielfältigung der Ebenen führt: das "Drama im Drama im Drama", der "Schauspieler im Schauspieler im Schauspieler". Diese literarische ebenso wie biographische Poetik wird insbesondere auf die bei Bernhard grundsätzlich ausgeprägte performative Kraft seiner Sprache und seiner Äußerungen bezogen. Gitta Honegger spricht von einer "performativen Kraft des Theaters jenseits des Theaters". Epische Texte und biographische Episoden als dramatische zu interpretieren, schafft und verstellt Einblicke gleichermaßen. Diese Herangehensweise zeigt nicht nur, wie viel Literatur in dieser Biographie steckt, sondern mehr noch, wie viel Biographie in der Literatur steckt, ja wie Literatur mit Biographie untrennbar vermengt sind. Damit werden naturgemäß keine exemplarischen Textanalyen geliefert, was man von einer Biographie ohnehin nicht unbedingt erwartet; vielmehr werden alle Äußerungen Bernhards als Bestandteile einer großen, existenziellen performance gedeutet. Dass die Texte hier einiges, zum Teil Verblüffendes, zum Teil Neues hergeben, kann man nicht abstreiten. Was wissenschaftlich vielleicht kritisierbar ist, werden Bernhard-Fans aber umso mehr schätzen.

Es gibt sogar einen verblüffenden Nebeneffekt: Man liest häufig Äußerungen, die einem so treffend und dennoch völlig unbekannt vorkommen. Blickt man dann in den Anmerkungsteil, um die Quelle nachzuschlagen, entdeckt man häufig den Vermerk auf ein Gespräch, das die Verfasserin mit Betroffenen geführt hat, aber keine Quelle, die publiziert ist und die der Leser selbst nachlesen kann. Nun ja, dafür hat er ja das Buch von Gitta Honegger. Spätere Biographien werden wohl auch auf dieses Buch als Quelle zurückgreifen.

Titelbild

Gitta Honegger: Thomas Bernhard. Was ist das für ein Narr?
Propyläen Verlag, Berlin 2002.
455 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-10: 354907168X

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