Wer hört zu?

Paula Fox' Roman "Pech für George"

Von Fabienne QuennetRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabienne Quennet

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie kommt es, dass ein Roman, der zum ersten Mal 1967 erschienen ist und in der Versenkung verschwunden war, im Jahr 2001 plötzlich neu und erfolgreich aufgelegt wird und jetzt als deutsche Übersetzung auf den Markt kommt? Im Falle der amerikanischen Autorin Paula Fox ist es dem Autor von "Die Korrekturen", Jonathan Franzen, zu verdanken, der schon 1996 in seinem kontroversen Aufsatz "Perchance to Dream: In the Age of Images, A Reason to Write Novels " (in "Literaturen" 7/8 2002 unter dem Titel "Vielleicht auch träumen" abgedruckt) Paula Fox sogar über berühmte amerikanische Schriftsteller wie Philip Roth, John Updike und Saul Bellow stellt. Im Mittelpunkt seines Aufsatzes steht ihr zweiter und wohl bekanntester Roman "Was am Ende bleibt" ("Desperate Characters" 1970), den Franzen in leicht übertriebener Manier als einen amerikanischen Klassiker lobt, da er seiner Meinung nach ein Beispiel für den von ihm favorisierten tragischen (im Gegensatz zum depressiven) Realismus ist: "Der tragische Realismus eröffnet den Zugang zur schmutzigen Kehrseite des Traums der Auserwähltheit - zur menschlichen Mühsal hinter der technischen Eleganz, zum menschlichen Leid hinter der pop-kulturellen Betäubung, zu all den Warnzeichen an den Rändern der Existenz".

Sechs Romane hat Paula Fox seit Mitte der sechziger Jahre geschrieben, die seit 1992 allesamt nicht mehr lieferbar waren. In den letzten Jahren allerdings wurden sie im W. W. Norton Verlag als Taschenbücher neu aufgelegt. Zwanzig Bücher hat sie für Kinder und Jugendliche verfasst, die ihren Ruf als bedeutende amerikanische Kinder- und Jugendbuchautorin begründeten und ihr verschiedene Preise bescherten, u. a. den "Hans Christian Andersen Preis" (1978), den "National Book Award" (1980), und die "Empire State Medal" (1994). Als ernst zu nehmende Autorin von "adult literature" wiederentdeckt, wurde insbesondere auch nach dem Erscheinen eines Autorenportraits im "New York Times Magazine" im Jahr 2001 aus dem Geheimtipp ein Revival der Paula Fox. Nicht zuletzt ihre Memoiren (2003 im Original als "Borrowed Finery" in den USA erschienen) erregten wegen der unsentimentalen Beschreibung ihrer schweren Kindheit Aufsehen.

"Pech für George" ist ihr Debütroman, der jetzt auf Deutsch im C. H. Beck Verlag erschienen ist. Er handelt von George Mecklin, der mit seiner Frau Emma außerhalb New Yorks wohnt und täglich in die Stadt pendelt, wo er in Manhattan als Lehrer an einer Privatschule arbeitet. Resigniert und frustriert schlägt er sich in New York mit seinen Schülern, seinen dogmatischen Kollegen sowie seiner allein erziehenden, arbeitslosen Schwester samt verhaltensauffälligem Sohn herum. Auf dem Lande sieht es nicht besser aus: Seine Ehe droht zu scheitern, und die Nachbarschaft ist von Alkoholismus, Gewalttätigkeit, Neurosen und Mittelstandsdünkel gezeichnet - keine Spur von ländlichen Idylle. Noch fühlt sich George auch auf dem Lande nicht heimisch.

Da ertappt er den 19-jährigen Einbrecher Ernest Jenkins im eigenen Haus: Die Einsamkeit führt Ernest, einen orientierungslosen und auf den ersten Blick harmlosen Heranwachsenden, aus einer verwahrlosten und verarmten Familie aus dem Nachbarort in fremde Wohnungen, in denen er die kleinen schmutzigen Geheimnisse der Bewohner ausspioniert. George ist fasziniert von Ernest und betrachtet ihn bald als sein Projekt, an dem er seine pädagogischen und menschenfreundlichen Qualitäten erproben kann. Seine Zuwendung zu Ernest beschert ihm große Krisen mit seiner Frau Emma, die sich missverstanden, betrogen - auch im Sinne einer homoerotischen Anziehung - und verletzt fühlt. Genauso beginnt sich aber auch George zu fühlen, dessen Kommunikation mit Emma zusammenbricht und dessen Bemühungen um Ernest nicht die Früchte trägt, die er sich erhofft hatte.

Im Grunde seines Herzens will George die Veränderung zum Besseren, weiß aber nicht recht wie. Immer öfter verspürt er "einen Anflug von Einsamkeit, der wie das Flattern eines unerwarteten Schmerzes allein durch seine Geringfügigkeit das Wissen von schrecklichen, doch noch unter Kontrolle gehaltenen Kräften in ihm wach rief". Am Ende seines Projektes steht die Frage, "war echte Veränderung möglich?" Eine Frage, die er im Laufe des Romans oft wird verneinen müssen. Dennoch wird sein Leben durch äußere Veränderungen durcheinander gewirbelt, in deren Angesicht George ein tiefes Gefühl von Hilflosigkeit empfindet.

Vor dem Hintergrund der sechziger Jahre, die der amerikanischen Gesellschaft einen großen Umbruch bescherten, ist "Pech für George" ein Zeugnis der Verunsicherung des amerikanischen Mittelstandes, dessen Lebensentwürfe im Individuellen (zum Beispiel durch Ehebruch und Kinderlosigkeit) sowie im Politischen (etwa durch die Kuba-Politik der USA) am Bröckeln sind. Die gesellschaftliche Unruhe überträgt sich nur allzu leicht auf die Charaktere von Paula Fox' Roman. Jeder hat sein Schicksal zu tragen und viele ertragen ihre würdelose Existenzen ohne Aufbegehren oder große Leidenschaft. Alle scheinen Gespenster ihres eigenen Lebens zu sein, die wie George "die gleiche Sehnsucht - hundert Menschen sein zu können, hundert Leben zu haben" teilen. Es sind aber auch immer "Leute, die in Dinge verwickelt waren", von denen aber keiner weiß, wo es eigentlich hingehen soll. Von positiven Visionen oder gar revolutionärer Aufbruchsstimmung ist bei Paula Fox nicht zu spüren.

Trotz der eher depressiven Grundhaltung des Romans endet er doch nicht mit einer resignierten, sondern eher einer komischen Note. Der erste Satz lautet "Wer hört zu?", und am Ende hat George jemanden gefunden, der genau dies tut: Sein einziger, aber merkwürdiger Freund und Lehrerkollege Walling "setzte sich und hörte zu", nachdem George von seiner Frau verlassen, und seinem Nachbarn angeschossen, zu ihm nach New York City zieht.

Ähnlich wie Raymond Carver hat schon Fox in den sechziger Jahren eine sehr lakonische, minimalistische und emotionslose Prosa hervorgebracht, die die kleinen Dramen ihrer fiktionalen Welt in subtiler Weise enthüllt und dabei mehr über den Zustand der Gesellschaft aussagt als die Tragödien der ganz großen Gefühle und emotionalen Irrungen und Wirrungen. Auch den Vergleich mit John Updike muss Paula Fox nicht scheuen. Schon in Updikes erstem "Rabbit"- Roman, "Rabbit, Run" von 1960, und dann verstärkt in seinem 1971 erschienenen "Rabbit Redux", seziert der Autor ebenso wie Fox die Ausbruchsversuche der unteren Mittelklasse im amerikanischen Kleinstadtmilieu. Beide Autoren verfügen über eine scharfe Beobachtungsgabe, die dem Trivialen des Alltäglichen und den versteckten Spannungen innerhalb zwischenmenschlicher Beziehungen Prägnanz und Wichtigkeit verleiht. Ihre eigentlich blassen Charaktere sind sich bewusst, "daß das, worunter [sie] leiden, eine tiefe Unzufriedenheit mit [ihrem]Leben war". Ein Leiden, von dem sie nur selten erlöst werden. George versucht einen Neuanfang, aber ob dieser gelingen wird, bleibt offen.

Titelbild

Paula Fox: Pech für George. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Susanne Röckel.
Verlag C.H.Beck, München 2004.
254 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3406517153

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