Tödliche Manga!

Sujata Masseys vierter Kriminalroman um die sympathische Heldin Rei Shimura will zu publikumsgefällig sein

Von Anne K. BetzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anne K. Betz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Abenteuer der halb japanischen, halb amerikanischen Heldin Rei Shimura sind auf dem deutschen Buchmarkt schon längst nicht mehr unbekannt: Nach den Erfolgen von "Die Tote im Badehaus" (1999), "Zuflucht im Teehaus" (2000) und "Bittere Mandelblüten" (2002) hat der Piper Verlag nunmehr den vierten Roman Sujata Masseys veröffentlicht: "Tödliche Manga". Wie durch den reißerischen deutschen Titel bereits suggeriert, spielt der neueste Mordfall, den die aus japanischer Sicht etwas unorthodoxe Amateurdetektivin aufklären will, in der Welt der japanischen Manga und Anime: Comics gänzlich nicht-westlichen Stils und deren Verfilmungen, die sich in Japan - und auch in mehr und mehr in anderen Ländern - immenser Beliebtheit erfreuen.

Dies wollen sich nun auch die seriösen Printmedien zu Nutze machen. Rei wird von der renommierten, aber durch sinkende Verkaufszahlen bedrohten Zeitung "Gaijin Times" (gaijin: jap. für "Ausländer", geringfügig abwertender Ausdruck) für ein Kreativteam engagiert, das das Image der Zeitung aufpeppen soll: Artikel müssen fortan mit Comicfiguren illustriert, geleitet, ja sogar als Manga geschrieben werden. Ihre Aufgabe ist es nun, Zeichner zu suchen und einen einleitenden Artikel über Dojinshis (dojinshi: von Fans gezeichnete und in kleinem Rahmen publizierte Geschichten, meist über Helden und Geschehnisse aus erfolgreichen Mangaserien) schreiben - das kommt ihrer Arbeit als Antiquarin und Kunstgeschichtlerin noch am nächsten ... Als sie versucht, sich in das ihr durch ihr Leben in Japan zwar zwangsläufig bekannte, nicht jedoch vertraute Thema einzuarbeiten, stößt sie zunächst auf einen mysteriösen, scheinbar überqualifizierten Künstlerkreis, und als sie eines der männlichen Mitglieder kontaktiert, wird dieses kurz darauf tot aufgefunden: verkleidet als die weibliche Hauptfigur der Geschichten des Kreises... Rei kann natürlich nicht an sich halten und mischt sich unter dem Schutzmantel ihrer Recherchen für die "Gaijin Times" ein weiteres Mal in die Arbeit der Polizei ein. Ihre Nachforschungen führen sie nicht nur in die Welt der Manga und ihrer Fans, der Cosplayer (Fans, die sich als ihre Lieblingsfigur verkleiden) und Otakus (otaku: jap. für einen von seinem Subjekt nahezu besessenen Fan, dessen Welt sich um kaum noch etwas anderes dreht), sondern auch in die des kommerziellen Sex und der Unterwelt: Strip-Bars, Hentai-Veröffentlichungen und deren Publizisten (hentai: jap. für "pervers", bezeichnet im Manga/Anime-Genre Pornos), Ganoven und Yakuza sind erst der Anfang.

Man kann Sujata Massey nicht vorwerfen, dass sie ihr Sujet nicht ausreichend recherchiert habe: So wie alle ihre Romane ein Element der japanischen Kultur behandeln, hat sie sich diesmal mit lesbarer Begeisterung mit den Mangas und den mit ihnen einhergehenden popkulturellen Phänomenen beschäftigt. Sie führt umfassend in viele Facetten ein, die auch für den Laien gut verständlich und spannend geschildert sind. Eine neutrale Behandlung wird der Comicszene allerdings nicht gegönnt, wie es beim Blumenstecken etc. in anderen Romanen der Fall war: Ihre Heldin steht diesem Thema von Anfang an skeptisch gegenüber, was wohl die Einstellung der meisten Sujetfremden wiederspiegelt, die, wenn sie "Manga" hören, höchstens an die Hentai-Kassetten aus der Pornoabteilung der heimischen Videothek denken. Massey lässt sie zwar an ihrem diesmaligen Gegenstand des Interesses gute Haare finden und bemüht sich, sie als offen darzustellen, doch bleibt der kritisch-moralische Unterton durchgehend spürbar. Als wolle Massey die Vorurteile des Marktes bestätigen oder befriedigen, beschäftigt sie sich in ihrem Roman nahezu ausschließlich mit Werken, die Sex und sexuelle Gewalt beinhalten, und siedelt auch ihren Mord im Umfeld von eigenwilligen Sexpraktiken, Drogen, Gewalt, Prostitution und Illegalität an - als gehörten Mangas und sexuelle Gewalttaten zwangsläufig zusammen. Aber das Thema ist ja auch zu dankbar!!

In der Kriminalreihe um Rei Shimura war Sex nie ein Tabuthema, was eigentlich begrüßenswert ist, aber leider schlittert die Autorin beizeiten über die Grenze zum platten Schundroman, da in "Tödliche Manga" nun endgültig alles ausgereizt wird, was die Welt der erotischen Phantasien zu bieten hat. Und selbstverständlich wird dies das alles, das bei aller Perversion prüde amerikanisch gezeichnet wird, als direkter Weg zu Wahnsinn und natürlich Mord hingestellt, damit ihr auch niemand Sympathien für diese Gedankenspiele vorwerfen kann. Auch die Auflösung der Geschichte lässt am erhobenen moralischen Zeigefinger nichts zu wünschen übrig und ist überdies weder besonders geschickt noch für den Leser befriedigend.

So ist "Tödliche Manga" ein eher schwaches Glied der Reihe, die Spannung und kulturelle Informationen für gewöhnlich auf gute, unterhaltsame und lesenswerte Weise zu verbinden weiß. Der Roman ist nach wie vor, wie alle bisher erschienenen der Autorin, angenehm und spannend zu lesen, aber nahezu alle Zielgruppen werden ihn nach der Lektüre etwas unzufrieden zur Seite legen: Diejenigen, die einen guten Krimi wollen, werden von der durch zu viele unnütze Einzelheiten verwässerten, teilweise recht ziellosen Handlung und dem schwachen Ende enttäuscht sein. Manga-Fans, die sich auf einen Roman gefreut haben, der sich mit ihrem Hobby beschäftigt (solche gibt es wirklich sehr selten), werden sich über die ziemlich subjektive moralische und inhaltlich einseitige Behandlung der geliebten Comics ärgern. Und Fans der Romane über Rei Shimura finden ihre Heldin deplaziert, missgelaunt und, was den Erzählstrang über ihre Persönlichkeit und ihr privates Leben angeht, ungewohnt schablonenhaft wieder. Denn ebenso wie die Mannigfaltigkeit des Mediums Manga nur am Rande gestreift wird, werden die Personen, die mit Rei persönlich zu tun haben oder in früheren Romanen eingeführt wurden, kaum bzw. oberflächlich und nur als Informationsquellen erwähnt oder gleich, wie ihr Freund Richard, außer Landes geschafft. Wenn man unbedingt ein bestimmtes Bild von seinem Gegenstand vermitteln will, müssen diesbezüglich unbequeme Figuren, Geisteshaltungen und Handlungsstränge eben kurzerhand gestrichen werden.

Um die Wartezeit bis zur Übersetzung der nächsten, hoffentlich wieder gewohnt qualitätvollen Romane (im Englischen sind bereits zwei weitere erschienen) zu überbrücken oder in die wirklich lesenswerte Serie einzusteigen, von der jeder (!) Band mit einem Preis honoriert wurde, empfehle ich die (Re-)Lektüre der ersten Romane, allen voran des Flaggschiffs "Die Tote im Badehaus".

Lobend erwähnt werden sollte jedoch noch das Cover der deutschen Ausgabe. Glücklicherweise wurde hier ein Klassiker als Repräsentant für das Genre der Animes und Mangas gewählt und nichts, was den gesetzten Fokus in diesem Roman wiederspiegelt - obwohl es ehrlich gewesen wäre...

Titelbild

Sujata Massey: Tödliche Manga. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Sonja Hauser.
Piper Verlag, München 2003.
384 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-10: 3492270476

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch