Multidimensionale Welten

Helge Schneiders neuer Roman "Aprikose, Banane, Erdbeer"

Von Martin RichlingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Richling

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer bei diesem mittlerweile schon fünften Kommissar Schneider-Buch einen klassischen Kriminalroman erwartet, sieht sich natürlich getäuscht. Wie nicht anders zu erwarten war, sprengt das Multitalent Helge Schneider alle Gesetze dieser Gattung auch in seinem neuen Buch mit der ihm eigenen absurden, drastischen Komik. Doch die Mittel zum Zweck verschieben sich hier zu einem anderen Schwerpunkt als noch zuvor: In "Das scharlachrote Kampfhuhn" etwa erreichte Schneider die Diffusion des Genres zu einem Zerrbild seiner selbst vor allem durch die Hauptfigur des Kommissar Schneider, der sich mit einer derart absurden Brutalität durch die Handlung prügelte, dass dagegen selbst der einstige Tatort-Kommissar Schimanski wie ein hippiesker Schafhirte wirkte.

Aber auch dort wurde schon evident, was nun bei "Aprikose, Banane, Erdbeer" zum unübersehbaren Stilmerkmal wird: Die Stringenz und innere Logik der Handlung, für den Kriminalroman unerlässlich zur Erzeugung von Spannung, wird bewusst unterwandert, um sie ad absurdum zu führen, wenn sie nicht gleich gänzlich zerstört werden. Ein einfacher Kunstgriff ermöglicht es dem Autor, sich sämtlicher Zeit- und Raumebenen beliebig zu bedienen: Der Kommissar lebt (und mit ihm auch die anderen Figuren des Romans) in mehreren Dimensionen. Hierdurch wird es möglich, den Kommissar in gleichsam exotischen wie abwegigen Szenarien, etwa der Zeit vor der Sintflut oder der des Mittelalters wiederzufinden. Das Fehlen jeglicher Kohärenz verlangt dem Leser zwar einige Konzentration ab, doch gerade in der Kehrseite der aufschimmernden Beliebigkeit, der Möglichkeit zur uneingeschränkten Improvisation, liegt die eigentliche Qualität des Buches verborgen. Der Autor kann jederzeit seinen plötzlichen Eingebungen folgen und beweist sich einmal mehr als unangefochtener Meister der Improvisation, die auch all seine anderen Tätigkeiten als Musiker, Filmregisseur oder Clown auszeichnet.

Genau so gnadenlos unverfroren wie Helge Schneider mit der Gattung des Kriminalromans verfährt, ist auch die Sprache des Buches. Burleske, aber originelle und treffende Beschreibungen wie der "Wald, der am Horizont einen dicken grünen Strich formt[e]" "erden" dabei gleichsam schriftstellerischen Stilwillen wie sie unterhalten. Sowohl in der Handlung als auch in der Sprache selbst manifestiert sich hier eine seit jeher wesentliche Funktion der Clownerie, die der Autor perfekt beherrscht: Hinter der Maske des Komischen sowohl dem Volk als auch den Autoritäten aufs Maul zu schauen, um ihnen ihre erschreckend absurde und nichtige Rolle in den Dimensionen des Weltverlaufs vorzuführen. Umso einsamer macht es den Autor, wenn die von ihm angegriffene, demaskierte Autorität in diesem Fall auch die hohe Kunst des Schreibens selbst ist.

Titelbild

Helge Schneider: Aprikose, Banane, Erdbeer. Kommissar Schneider und die Satanskralle von Singapur.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004.
121 Seiten, 6,90 EUR.
ISBN-10: 3462033816

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