Political Correctness - more frightening than the old McCarthyism

Ariane Manskes akribische Rekonstruktion der amerikanischen Kontroverse um 'Political Correctness'

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn die Philosophin Herta Nagl-Docekal ihre Kritik an einer Rechtssprechung, die Frauen weniger Glaubwürdigkeit beimisst als Männern und deren meist männliche Richter bei Sexualdelikten dazu neigen, ihren beklagten Geschlechtsgenossen mehr Glauben zu schenken als den Klägerinnen, mit der Forderung nach einem Instrumentarium verbindet, "das eine Rechtsanwendung im Sinne von 'political correctness' befördert", so gehört sie zu den wenigen, die sich den aus den USA stammenden Ausdruck positiv zu eigen machen. Wird der Begriff doch beiderseits des Atlantiks in aller Regel von konservativer Seite eingesetzt, um den politischen Gegner zu diskreditieren, ohne irgendwelche argumentativen Mühen auf sich nehmen zu müssen.

Ariane Manske hat nun eine akribische Rekonstruktion der Entstehung und Entwicklung der US-amerikanischen Debatte um die Political Correctness vorgelegt, die das Anliegen der Autorin, zu einem "differenzierten Verständnis" der amerikanischen PC-Konroverse beizutragen zweifellos erfüllen wird - wenn ihr denn die notwendige Aufmerksamkeit zuteil wird.

Die kritische Auseinandersetzung mit dem US-amerikanischen "Medienspektakel" Political Correctness kann Manske zufolge Aufschlüsse über wesentliche soziale, politische und kulturhistorische Entwicklungen in den USA während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewähren. Wie sie aufzeigt, waren es konservative Kräfte, die Political Correctness als "Oberbegriff für unterschiedliche liberale Reformvorhaben im gesellschaftlichen und universitären Bereich" benutzten und versuchten, ihre "gesellschaftliche und kulturelle Dominanz" zu behaupten, "indem sie die Liberals als extremistisch diffamierten". Das ist nun durchaus keine neue Erkenntnis. Im deutschsprachigen Raum bislang nicht da gewesen ist allerdings der beeindruckende Quellen- und Zitatenreichtum, mit dem die Autorin ihren Befund untermauert, dem zufolge es sich bei der inszenierten Diskussion um Political Correctness um einen "conservative backlash" handelt, der liberale Reformvorhaben wie affirmaive action und speech codes (im Sinne von nicht-diskriminierenden Sprachregelungen) verhindern sollte; angesichts der zahlreichen Attacken und Verbalinjurien, mit denen die Vertreter der Conservative Correctness ihrem Rassismus, ihrem Sexismus und ihrer Homophobie austobten, eine zurückhaltende Formulierung. "[T]hey are corrupting the Amercan youth by preaching a radical egalitarism of race, ethnicity, national identity, gender, sexual preference, and physical/mentalability", warf Mark Silk den 'politisch korrekten' noch relativ harmlos vor. Andere scheuten sich nicht, von der "Tyranny of Political Correctness" (John Beck) und den "Academic New Ayatollas" (John Leo) zu reden. Auch der Vergleich mit McCarthys antikommunistischer Hexenjagd in den 1950er Jahren konnte nicht ausbleiben. So ließ J. W. Reeves verlauten, Political Correctness sei der "McCarthyism of the 1990s" und der Harvardprofessor Stephen Thernstrom stellte sie gar als "more frightening than the old McCarthyism" dar. Noch einen Schritt weiter ging die (irre-)führende US-amerikanische Antifeministin Camilla Paglia und charakterisierte Political Correctness als "fascism of the left", die Menschen, die ihm anhingen, verhielten sich "like the Hitler Youth".

Dass es lange Zeit niemand das Wort zur Gegenrede erhob, erklärt die Autorin aus der Tatsache, dass "sich die als Vertreter der Political Correctness bezeichneten Gruppen weder selbst politisch korrekt nannten, noch sich als Vertreter dieser neuen Bewegung verstanden", auch konnten sie sich durch die weitgehend abstrusen Vorwürfe persönlich kaum gemeint fühlen. Niemand forderte etwa, animal companion statt pet zu sagen, ein immer wieder gerne zitiertes Beispiel für die vermeintlichen Absurditäten der Political Correctness, das allerdings von John Taylor erfunden und verbreitete worden war.

Ausgehend von Jürgen Links "Konzept des Normalismus", macht Manske deutlich, dass es konservativen Intellektuelle und Journalisten darum ging, "die Flexibilisierung tradierte Normalitätsvorstellungen bzw. -grenzen einzudämmen und zurückzudrängen". In der von Link entwickelten Terminologie lässt sich sagen, dass die als politisch Korrekt Bezeichneten "flexibelnormalistischen" Vorstellungen anhingen, während ihre Gegner bestrebt waren, "die bisher existierenden (protonormalistischen) Normalitätsgrenzen aufrechtzuerhalten", indem sie etwa die Konzeptionen der "Anglo Conformity" und des "Melting Pot" gegen das multikulturelle Konzept der "Salad Bowl" verteidigten. Diese auf verschiedenen Gebieten ausgetragene Auseinandersetzung zeichnet Manske anhand der Kontroverse um die literarische Kanonbildung, deren Ursprünge sie bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgt, und anhand des Streits um die Lehrinhalte des "general education curriculums" detailliert nach.

Manske zieht das optimistische Fazit, dass die in den 1990er Jahren von konservativer Seite mittels der PC-Diskussion so engagiert in Angriff genommenen Eindämmungs- und Verhinderungsversuche liberaler Reformbewegungen gescheitert sind. Die PC-Diskussion sei seit dem Jahrtausendwechsel aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden und die als "politisch korrekt" diffamierten Reformen inzwischen zur "gesellschaftlichen und kulturellen Normalität" geworden. Allerdings könne der 11. September die "Phase der Flexibilisierung" beenden und eine neue "protonormalistische Phase" hervorrufen.

Manske schließt mit der Hoffnung, dass ihr Buch dazu beitragen möge, "die in Deutschland bevorstehende Diskussion mit mehr Feingefühl und weniger Polemik, dafür aber produktiver auszutragen". Doch steht zu fürchten, dass es hierfür schon zu spät sein könnte, werden doch hierzulande selbst innerhalb emanzipatorischer Kreise inzwischen immer wieder konkurrierende Denkansätze und Auffassungen der Political Correctness bezichtigt.

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Ariane Manske: Political Correctness und Normalität. Die amerikanische PC-Kontroverse im kulturgeschichtlichen Kontext.
Synchron Wissenschaftsverlag der Autoren, Heidelberg 2002.
276 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 3935025335

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