Women's Studies oder Gender Studies?

Ellen Krause und Hannelore Faulstich-Wieland legen Einführungen in die politik- und erziehungswissenschaftlichen Geschlechterstudien vor

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Von Rolf Löchel

"Feminist Studies go to Gender Studies?" - diese Frage erörterte Christine Kanz vor einigen Jahren in literaturkritik.de anhand zweier Einführungen in die Geschlechterstudien, von denen eine den Topos ,Feministische Theorien' im Titel führte, die andere hingegen ,Gender Studies' (vgl. literaturkritik.de 7/8 2000). Kanz konstatierte, dass Regina Becker-Schmitt und Gudrun-Axeli Knapp bereits im Titel ihres Buches - "Einführung in die feministischen Theorien" (und nicht etwa "Einführung in die Gender Studies") - Position in der Auseinandersetzung um die richtige Etikettierung beziehen. Selbstverständlich verweisen beide Etikette trotz aller Gemeinsamkeiten und Überschneidungen der Inhalte auf Verschiedenes. Ähnlich verhält es sich auch bei den Women's Studies und den aus diesen hervorgegangenen Gender Studies. Umso irritierender ist es, dass die Erziehungswissenschaftlerin Hannelore Faulstich-Wieland gleich im ersten Satz ihres Buches, das im Titel als "Einführung in die Genderstudien" firmiert, von einer "Einführung in Frauenstudien" spricht. Der "Schwerpunkt" des Bandes, so wird erläutert, gelte dem "Verständnis von 'Frauenstudien'". Zugleich solle aber auch der Begriff Genderstudien als "einheitlicher Terminus" benutzt werden. So belässt die Autorin den Unterschied von Frauen- und Geschlechterforschung zunächst weitgehend im Dunkeln. Dabei ist sie sich jedoch sehr wohl darüber im Klaren, das der "Wechsel der Bezeichnung Women Studies [sic!] zu Geschlechterstudien" die "theoretische Diskussion um die Bedeutung von Geschlecht" wiederspiegelt, auf die sie jedoch erst im vorletzten der sechs Kapitel näher eingeht. Hier zeichnet sie die "theoretische Entwicklung" von der Frauen- zur Geschlechterforschung nach, wobei der Subtext ihrer Ausführungen hervortreten lässt, dass sie selbst nach wie vor die Frauenforschung präferiert.

Bevor sich Faulstich-Wieland jedoch den theoretischen Grundlangen der Genderstudien und somit ihrem Unterschied gegenüber den Frauenstudien zuwendet, wirft sie zunächst einen Blick auf die "Women's Studies in den USA - und anderswo in der Welt" (wobei sie ihr Hauptaugenmerk auf vier der ausgewählten Beispiele richtet, deren Auswahl in sofern etwas zufällig ist, als sie mit einem halbjährigen Forschungsaufenthalt der Autorin in einer dieser vier in der San Francisco Bay Area gelegenen Forschungseinrichtungen begründet wird), widmet sich sodann mit besonderem Augenmerk auf die Erziehungswissenschaft den Frauen- und Genderstudien an deutschen Universitäten und erörtert schließlich die Fragen, ob es eine feministische Didaktik gibt und ob Frauen anders lernen und lehren. Den Ausführungen zu den theoretischen Grundlagen der Genderstudien folgt dann nur noch ein eher kurzer Abschnitt über Gender Mainstreaming und "genderrelevante Aspekte erziehungswissenschaftlicher Felder" sowie ein - allerdings umfangreicher - Anhang.

Die späte Behandlung der grundlegenden Theorien verwundert. Doch gilt Faulstich-Wielands zentrales Interesse offenbar nicht ihnen, sondern den Institutionalisierungsformen und Curricula der Frauen- und Geschlechterforschung. Dass Theorien überhaupt thematisiert werden, ist dem Umstand zu verdanken, dass sie "[i]n allen Konzepten zu Genderstudien als Pflichtelemente" enthalten sind. "Es macht also Sinn, sich genauer anzusehen, was darunter zu verstehen ist." (Herv. R. L.) Da die Theorien der Frauen- und Geschlechterforschung nur von abgeleitetem Interesse sind, fällt ihre Darstellung auch ungleich kürzer aus als diejenige der Institutionsformen, Curricula und Studiengänge. So werden die Ansätze des "Doing Gender", der "Reflexive[n] Kritik an der Zweigeschlechtlichkeit" und der "Paradoxien von Gendertheorie und Frauenpolitik" auf jeweils kaum einer Seite abgehandelt. Auch die Darstellungen der "Lesarten von Geschlecht" fallen denkbar knapp, für eine Einführung allzu knapp. Zumal es auch hierbei oft weniger um die Theorien selbst geht als vielmehr darum, welche Theoretikerin für welchen Ansatz steht. Je näher die Autorin jedoch ihrem eigentlichen Fachgebiet, der Pädagogik, kommt, um so ausführlicher geht sie auch auf die Theorien selbst ein.

Ein Anhang, der neben einem ausführlichen Literaturverzeichnis eine Übersicht über deutsche Universitäten und deren Forschungseinrichtungen und Lehrangebote zu Frauen- und Geschlechterstudien (mit Schwerpunktsetzung auf die Erziehungswissenschaft) bietet, beschließt den Band.

Wer sich einen Überblick darüber verschaffen will, "an welchen Universitäten eine Institutionalisierung von Genderstudien in welcher Form existiert", ist mit dem Buch sicherlich gut bedient. Doch können Wieland-Faulstichs Ausführungen zu den Theorien, Methoden und Ansätzen der Frauen- und Geschlechterforschung nicht zufriedenstellen.

Einen anderen Weg als Wieland-Faulstich beschreitet die Politologin Ellen Krause mit ihrer "Einführung in die politikwissenschaftliche Geschlechterforschung". Gleich zu Beginn betont sie den didaktischen Anspruch dieser Einführung "mit den Zügen eines Lehrbuches", die Arbeitsvorschläge in Form von Lesefragen, vorstrukturierten Vergleichen, Übungen und Textaufgaben mit Antwortvorschlägen anbietet. Auf "Lehrsätze" oder "zusammenfassende Generalaussagen" wird jedoch bewusst verzichtet. Ziel des Buches ist es, Studierenden zu ermöglichen, "selbständig in spezialisierte Literatur der feministischen oder geschlechtskategorial arbeitenden Politikwissenschaft einzusteigen". Grundkenntnisse der Politologie werden allerdings vorausgesetzt. Darüber hinaus möchte die Autorin Lehrenden, die eine Veranstaltung zu feministischer Politikwissenschaft oder einer "geschlechtskategorialen" Fragestellung anbieten, eine "Hilfestellung" geben.

Zu Beginn listet Krause einige Gemeinsamkeiten aller Ansätze feministischer Wissenschaft auf, darunter etwa die "Kritik an Unterdrückung, Unterordnung, Diskriminierung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts", "Reflexionen über soziale und politische Folgen der Zweigeschlechtlichkeit" und "Theoretisierung von Geschlecht". Dem wird wohl kaum eine feministische Wissenschaftlerin widersprechen. Hier und da Einspruch erhoben werden dürfte jedoch gegen die "Kritik am Universalisierungsanspruch herkömmlicher Theorie"; etwa von der Philosophin Herta Nagl-Docekal, die der Auffassung ist, "daß eine universalistische Moralkonzeption für die feministische Theoriebildung unentbehrlich ist". Und wenige Seiten nach ihrer Liste feministischer Gemeinsamkeiten weiß auch Krause selbst, dass der "liberale Feminismus" dem "Ideal der universellen Menschlichkeit" folgt.

Im ersten Kapitel erläutert die Autorin in konziser Form einige zentrale Begriffe, Strömungen und Theorien der Frauen- und Geschlechterforschung, wobei sie allerdings die eigentlich nicht der feministischen Wissenschaft zuzurechnenden Men's Studies überraschend unkritisch darstellt. Sodann werden verschiedene Verbindungen zwischen politischer Theorie und Feminismus aufgezeigt. Der dritte Abschnitt stellt die Theorien von vier US-amerikanischen (Carol Pateman, Jean Bethke Elshtain, Nancy Fraser und Judith Butler) und einer deutschen Autorin (Eva Kreisky) als "klassische Texte der feministischen Theoriebildung" ausführlicher vor. Das hier in die "Gedankenwelt[en]" dieser Autorinnen eingeführt werde, ist allerdings etwas zuviel gesagt, da sie ausschließlich aus politikwissenschaftlicher Sicht beleuchtet werden, womit doch einige - teilweise zentrale - Gedanken und Theorien der einen oder anderen Autorin unterbelichtet bleiben. Der vierte Teil befasst sich mit feministischen und geschlechterkategorialen Ansätzen in der politischen Ideengeschichte, in der Demokratie- und Staatsanalyse sowie in der Erforschung internationaler Beziehungen. Im fünften und letzten Kapitel wird auf aktuelle Debatten über Reproduktionstechnologien, Globalisierung und Gender Mainstreaming eingegangen.

Von den fünf im dritten Abschnitt vorgestellten Theoretikerinnen hat zweifellos Judith Butler mit ihrem Buch "Gender Trouble" für die größte Furore, aber auch für den größten Furor gesorgt. Wie Krause konstatiert, hatten Butlers Thesen insbesondere im deutschsprachigen Feminismus ein "Unbehagen" hervorgerufen, "das in krassem Gegensatz stand zu der Gemütlichkeit, mit der man sich in der Unterscheidung zwischen sex und gender eingerichtet hatte". Doch inzwischen haben sich die Wogen geglättet. Heute, so fährt sie fort, wird weder ein "unversöhnlicher Wissenschaftsstreit" diagnostiziert noch "das Ende aller Praxis" vermutet. Dass Butlers Überlegungen zu Beginn der 1990er Jahre unter deutschen Feministinnen insbesondere soziologischer und politologischer Provenienz auf solch heftige Ablehnung stießen, war auch einem grundlegenden Unverständnis gegenüber ihrem philosophisch-dekonstruktiven Ansatz anzulasten. Von einem solchen Unverständnis ist Krause weit entfernt, doch zumindest eine von Thesen Butlers ist in der von ihr vorgestellten - wie sie selbst sagt - "verkürzte[n] Form" auch verzerrt: "Das Subjekt Frau ist das Ergebnis eines Macht-Diskurses". Butler zufolge ist nicht (nur) das Subjekt Frau ein Ergebnis des Machtdiskurses, sondern Subjekte schlechthin, wie sie in ihrem Buch "Psyche der Macht", welches das "Subjekt der Unterwerfung" behandelt, einmal mehr und hier besonders ausführlich dargelegt hat (vgl. literaturkritik.de 4/2002). Dass Krause darauf verzichtet, dieses Buch heranzuziehen, ist umso erstaunlicher als sie die Relevanz der Subjekttheorie für Butlers Ansatz sehr wohl erkannt hat.

Auch gegenüber einigen nichtfeministischen WissenschaftlerInen macht sie sich der ein oder anderen Unschärfe schuldig. Ihre Behauptung etwa, dass "die Kultur" bei Lacan "um das männliche Sexualorgan" kreise, ist auch nicht durch die Bemerkung zu retten, dass Lacan "die biologisch-materielle Ebene" verlasse und stattdessen "die symbolische Bedeutung" betone. Zudem verwechselt die Autorin außerhalb ihres Fachgebietes schon mal die Termini. "[V]on einer unveränderlichen Wesensart von Männern und Frauen auszugehen" ist wohl kaum "ontologisch", sondern essentialistisch, allenfalls ontologisierend. Besonders ärgerlich ist jedoch, dass die Postmoderne, also der dezidierte Angriff auf sämtliche Ismen, bei ihr selbst zu einem Ismus wird, dem "Postmodernismus".

Ein weiterer Manko des Buches besteht darin, dass Texte der Klassiker der politischen Ideengeschichte nach der Sekundärliteratur zitiert (etwa Hobbes, Rousseau und Hegel) oder gar nur in Paraphrasierungen der Sekundärliteratur wiedergegeben werden (etwa Platon und Aristoteles). Das scheint zwar nur ein formaler Kritikpunkt zu sein, erleichtert es allerdings nicht gerade, die zitierten bzw. paraphrasierten Stellen in ihrem jeweiligen Kontext aufzufinden und nachzulesen.

Trotz solcher Mängel - zu denen sich einige sprachliche oder stilistische Schwächen gesellen wie die "traditionelle[n] politische[n] Traditionen" oder, inhaltlich relevanter, der "Schwangerschaftsabbruch", der "liberalisiert werden" sollte und mit dem offenbar das Schwangerschaftsabbruchsrecht gemeint ist - handelt es sich bei Krauses Buch um eine für gender-theoretisch interessierte PolitikwissenschaftlerInnen insgesamt sicherlich nützliche, wenn auch nicht unverzichtbare Anfangslektüre.

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Ellen Krause: Einführung in die politikwissenschaftliche Geschlechterforschung.
VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage, Opladen 2003.
381 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3810035416

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Hannelore Faulstich-Wieland: Einführung in Genderstudien.
UTB für Wissenschaft, Stuttgart 2003.
233 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3825282562

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