Überflieger mit Bodenhaftung

Eine kompromisslose Hommage an Jörg Drews

Von Alexis EideneierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexis Eideneier

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nur Autoren, die ihren Lesern etwas zumuten, nehmen diese wirklich ernst. So lautet eine der Grundüberzeugungen von Jörg Drews, dem jüngst emeritierten Professor für Literaturkritik und Literatur des 20. Jahrhunderts an der Universität Bielefeld. In den letzten Jahrzehnten hat sich Drews ebenso umtriebig wie unprofessoral darum bemüht, seine Studenten und eine breitere deutsche Öffentlichkeit mit diesen Zumutungen vertraut zu machen. Wie die Illustration auf dem Titel eines zu Ehren des Emeritus erschienenen Buchs nahelegt, war Drews in seinem unermüdlichen Engagement für die Literatur oft ein Überflieger. Dennoch war er niemals abgehoben.

Der Band beginnt mit einem von den Herausgebern Sabine Kyora, Axel Dunker und Dirk Sangmeister zusammengestellten biografischen Wörterbuch, das die Gattung der Festschrift auf liebevolle Weise ironisiert. Die drei Schüler tragen Einsichten über und Erlebnisse mit ihrem Lehrer zusammen, ohne dabei die Grenze zur Lobhudelei zu überschreiten. Vielerlei poetische Petitessen schließen sich an. Würdigungen von so bekannten Autoren wie Herbert Achternbusch, Ludwig Harig, Friederike Mayröcker, Gerhard Rühm und Paul Wühr sind ein Zeugnis für Drews' Vorliebe für die Lyrik und seinen lebenslangen Einsatz für dieses bisweilen anspruchsvolle, in aller Regel sträflich übersehene literarische Genre. Nicht minder spannend sind die darauf folgenden persönlichen Erinnerungen, die häufig mit dem Rücken zum Leser geschrieben sind und auf Begebenheiten anspielen, die nur der jeweilige Beiträger und Drews selbst kennen.

Den Hauptteil des Bandes, der vom Aisthesis Verlag in kluger Voraussicht in die langlebige Hardback-Reihe aufgenommen wurde, machen eine Reihe von blendend gescheiten literaturwissenschaftlichen Aufsätzen aus. Schüler, Weggefährten und Kollegen bedanken sich hier mittels neuer Erkenntnisse zu Autoren, deren Erforschung Jörg Drews in den vergangenen Jahrzehnten weitergeführt oder oft selbst in Gang gesetzt hat. Zuallererst wäre hier der große Arno Schmidt zu nennen, zu dessen Exegese Drews vor über 30 Jahren die Zeitschrift "Bargfelder Bote" gegründet hat. Nach über 270 Ausgaben und einer nur noch ausgewiesenen Experten überschaubaren Flut von Arno-Schmidt-Literatur legt Drews heute am Anfang jeder Nummer Wert auf die Feststellung: "In den Beiträgen geäußerte Meinungen und Urteile sind grundsätzlich nicht mit denen des Herausgebers identisch." Ja, wie sollte es auch anders sein.

Drews' Verdienst besteht eindeutig darin, mit seinem ansteckenden Enthusiasmus die Literatur propagiert zu haben, die er für lohnend hielt - sei es als Feuilleton-Redakteur der Süddeutschen Zeitung, sei es als Vielschreiber bei "Kindlers Literatur-Lexikon", als Germanist an der Universität Bielefeld, als Juror bei zahlreichen Literaturpreisen oder als einer der Kardinäle der Literaturkritik im Schatten des einen großen Papstes.

Obwohl der Literaturprofessor Goethe und Joyce bewundert und sich auch in diesem Buch etliche Untersuchungen zu beiden finden, fällt dem unbedarften Leser die kompromisslose Spezialisierung einiger Beiträge auf. Wer nicht alle Drews-Veröffentlichungen der letzten 30 Jahre gelesen hat oder das Glück hatte, seinen Bielefelder Vorlesungen und Seminaren als Student beizuwohnen, den könnte dieses Buch womöglich irritieren. Wer Werner Fritsch oder den Argonauten-Orden in Riddagshausen nicht kennt, wer nie über Wielands Diogenes-Schrift im Kontext der Naturrechts-Diskurse um 1770 oder das Arbeitsverhältnis zwischen Georg Joachim Göschen und Johann Gottfried Seume nachgedacht hat, der sollte trotzdem nicht verzagen. Natürlich sind die entsprechenden Beiträge von einem inner circle verfasst, der zuallererst Jörg Drews als Leser vor Augen hat. Ihm ist dieses Buch zugeeignet. Als gemeiner Leser ist man trotz aller Fachsimpeleien in bester Gesellschaft und wird von dieser Festschrift profitieren, wenn man die vielen literarischen Seitenpfade als Anregungen versteht - als Empfehlungen im Sinne von Jörg Drews, dessen wichtigstes Anliegen die gute Literatur ist und bleibt.

Titelbild

Sabine Kyora / Axel Dunker / Dirk Sangmeister (Hg.): Literatur ohne Kompromisse. Ein Buch für Jörg Drews.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2004.
468 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-10: 3895284467

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