Spurensuche in der Vergangenheit

Christian Hallers Roman "Die verschluckte Musik"

Von Kristina HabermannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kristina Habermann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Geruch türkischen Kaffees, ein idyllisches Gartenanwesen, dahinter ein Schlachthof mit finsteren Gefühlen und eine Musik, die Ruth S. nicht mehr aus dem Kopf gehen will, hinterlassen geheimnisvolle Spuren der Vergangenheit.

58 Jahre später begibt sich der Erzähler, Paläontologe und Sohn der S. nach Bukarest und fügt die unterschiedlichen Erlebnisse seiner Vorfahren wie Puzzleteile zusammen, um seiner an Alzheimer erkrankten Mutter von ihrer Lebensgeschichte zu erzählen.

Zunächst war sie mit ihren Eltern von Köln nach Rumänien übergesiedelt. Ihr Vater hatte dort die Direktion einer Fabrik übernommen. In den zwanziger Jahren verließ die jüdische Familie das rumänische Paradies und kehrte aufgrund der Weltwirtschaftskrise in die Schweiz zurück.

Wie war das Leben der Ruth S. in Bukarest? Gab es wirklich ein rumänisches Paradies mit türkischem Kaffee und einem idyllischen Gartenanwesen? Was hatte es mit dem Schlachthaus auf sich, der einem grausige Schauer über den Rücken laufen ließ? Kinder waren immer wieder verschwunden, der Bäcker machte die besten Fleischpasteten der Stadt und alle hatten davon gegessen. Gab es hier einen Zusammenhang? Der Erzähler berührt mit den Fingern die Blätter und Zweige im Garten seiner Vorfahren, als ob er so die Vergangenheit greifen könnte, erinnert sich an Schimpfausdrücke seiner Mutter, das hauchdünne schneeige Porzellan und an die aufrechte Haltung seines Großvaters.

Doch auch in der Gegenwart trifft der Erzähler auf geheimnisvolle Personen. Das Vergangene bildet eine rätselhafte Komposition mit den Schattenseiten des 20. Jahrhunderts. Der Roman des Aargauer Schriftstellers Christian Haller hätte seinen Leser auf eine mystische Reise in eine verschleierte Welt entführen können - das Konzept ist gut, die Umsetzung jedoch ermüdend. Immer wieder werden Stücke aus der Vergangenheit aneinandergereiht, die einen Blick in eine andere Zeit erlauben - doch diese Aufzählungen wirken eher langweilig und anstrengend. Zudem springt der Erzähler zwischen den Erinnerungs- und Gegenwartsfragmenten beliebig hin und her, dass es dem Leser schwer fällt, die Übergänge zu erkennen. Auch wird nicht immer deutlich, wessen Erinnerungen geschildert werden. Ist es der Ich-Erzähler, der den Kaffeeduft einatmet oder vielleicht die Mutter, die ihm davon erzählt hat? Die Kindheit von Sohn, Mutter und Großvater verschwimmt. Da bleibt dem Leser nicht viel übrig, als seine Phantasie spielen zu lassen und sich an der schönen Sprache Hallers zu ergötzen.

Titelbild

Christian Haller: Die verschluckte Musik. Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2001.
270 Seiten,
ISBN-10: 3630871003

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