Fünf auf einen Streich

Felicitas Hoppe fährt mit "Verbrechern und Versagern" um die Welt

Von Stefan NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Neuhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Und das hier ist übrigens Georg Meister, Schiffsgärtner Gottes aus Sonderhausen!" Kann man sich einen besseren Einstieg denken? Schon fährt man mit Georg Meister eine Grube hinab und mit dem Schiff zur Teufelsinsel - welche Chronologie hier waltet, ist ebenso dunkel wie der Schacht und die Zukunft des Helden. Dazu passt "der Leutnant aus Frankfurt", der "elegant seinen Klumpfuß verbirgt" - er ist Meisters Mephisto. Das kann ja nicht gut gehen, denkt man und ist schon wieder im Irrtum.

Wie stets bei Hoppe sind die Helden, also in diesem Fall ihre vier fiktionalisierten historischen Reisenden (zum fünften wird noch etwas zu sagen sein), kleine Don Quijotes. Sie sind auf der Suche und reisen in die Fremde - um was zu finden? Ihre Hoffnungen werden enttäuscht, wenn sie denn überhaupt welche hatten, aber spielt das eine Rolle? So, wie Hoppe es darstellt, ist die Reise der Zweck der Reise und es kommt auf das an, was die Reisenden daraus machen.

Das allerdings ist wenig genug. Georg Meister, der von 1653 bis 1713 lebende "Schiffsgärtner Gottes aus Sonderhausen" - er kommt natürlich nicht zufällig aus Sonderhausen, bei Hoppe ist nichts zufällig, auch wenn es authentisch ist, bekommt es im literarischen Kontext zusätzliche Bedeutungen - Georg Meister also verlässt seine Frau, um das Paradies auf Erden zu suchen. Denn sollte nicht "die Erde ein Garten sein und Gott noch immer ein fröhlicher Gärtner"? Dabei entpuppt sich die üppig wuchernde Vegetation als nicht oder wenig domestizierbar: "Was hat sich Gott nur dabei gedacht? Wozu diese nutzlosen Paradiese?" Meister kommt - ironischerweise - an einen Ort, der das Gegenteil von dem verkörpert, was er sucht: "Denn die Insel Deshima ist kein Garten, sie ist ein Gefängnis." Wer das weiß, der Erzähler also, bleibt ebenso konturlos wie das weitere Schicksal des Erzählobjekts. Der Puppenspieler und Fädenzieher ist offenbar ein Reisender der neueren Zeit, der auf den Spuren des Älteren wandelt. Ein zurückhaltender Erzähler, der von Selbstironie nicht frei ist: "Denn von Totengräber zu Totengräber ist die letzte Frage immer dieselbe: Ich will wissen, was aus ihm geworden ist." Auch Autoren sind Totengräber, wenn sie ihre Figuren bis an ihr Ende begleiten. Unsere Autorin allerdings - wer sie kennt, hat nichts anderes von ihr erwartet - verrät nicht die Antwort auf die genannte Frage, deren Nachdruck damit ins Leere läuft.

Es folgt der Reisende Franz Joseph Ernestus Antonius Emerentius Maria Krapf (1759-1791), der mit Schiller zusammen wohnt und bei aller Verschiedenheit zu einer Art Zwilling des Autors wird. Schiller denkt, Kraft handelt, das scheint der einzige entscheidende Unterschied zu sein. Der Autor Schiller wird dabei kräftig ironisiert - als exemplarischer Autor, für den der Widerspruch von Leben und Schreiben nicht auflösbar ist. Aber muss man denn alles auflösen?

Muss man nicht und man sollte besser einen Blick auf die weiteren Reisenden werfen, Franz Wilhelm Junghuhn (1809-1864), John Hagenbeck (1866-1940) und Leonhard Hagebucher, letzterer eine Momentaufnahme, eine Figur aus Wilhelm Raabes Roman "Abu Telfan oder Die Heimkehr vom Mondgebirge". Hoppe hat unter die 'echten' Reisenden also eine fiktionale Figur geschmuggelt, durch das Lebensdatum darauf hingewiesen und absichtsvoll ihr Buch damit abgeschlossen - als Konsequenz und Steigerung der Fiktionalisierung der vorherigen vier Reisenden. Das "Leben ohne Rettung und Rückkehr" Hagebuchers ist vermutlich so dramatisch wie das Leben vieler 'echter' Reisender, ohne dass sich dies belegen ließe.

Fiktion ist eben nicht nur Fiktion und Fakt muss nicht Fakt sein. Auch die Perspektive auf das Eigene kehrt sich aus der Perspektive des Fremden plötzlich um, das Fremde ist das Eigene und umgekehrt. Das ist keine einsame, sondern eine soziale Erfahrung, sie öffnet den Menschen erst für die weite Welt außerhalb der eigenen Bedürfnisse. "Nicht die Fremde ist uns fremd, sondern wir sind uns fremd, weil uns niemand hört, wenn wir sprechen wollen", heißt es am Ende. Wenn man Ohren hat zu hören und Augen um zu sehen, dann ist die Differenz sehr klein, ob das Fremde nun Afrika oder ein literarischer Text ist, ob man physisch reist oder mit dem Buch in der Hand. Wer letzteres tun möchte, sollte nicht vergessen, sich bei Felicitas Hoppe einzuschiffen.

Mehr als die Differenz von Eigenem und Fremdem zu relativieren kann Literatur nicht leisten. Wen wundert es, dass es Felicitas Hoppe mit ihrem schwerelosen Erzählen geschafft hat, zu einem der Schwergewichte der jüngeren Autorengeneration zu werden. In jedem größeren Feuilleton werden ihre Bücher besprochen, meist hymnisch. Diesmal haben die Kritiker Recht (was ja bekanntlich nicht immer der Fall ist): So vertrackte und zugleich vollendet grazile Erzählgewebe vermag derzeit vielleicht niemand sonst zu spinnen. Jedes Buch hat den unverwechselbaren Hoppe-Sound und jedes Buch ist anders als das vorhergehende. Wer dieses gelesen hat, darf sich schon aufs nächste freuen. Wo es erscheinen wird, scheint nach dem Wechsel Hoppes von Rowohlt zu Mare noch offen zu sein. Dass Rowohlt diese Autorin hat ziehen lassen, sollte und wird der Verlag einmal sehr bereuen.

Titelbild

Felicitas Hoppe: Verbrecher und Versager. Fünf Porträts.
Mare Verlag, Hamburg 2004.
155 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3936384126

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