Das Bergwerk von Falun

Ein Text- und Bildband über eine alte Geschichte mit immer neuen Aspekten

Von Wilhelm ScharfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wilhelm Scharf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Grundlage für den ebenso schönen wie solide in Bütten gebundenen Text-Bild-Band "Das Bergwerk von Falun" ist eine charakteristische Begebenheit, die sich um 1700 in den schwedischen Erzbergwerken zu Falun abspielte, wo die Leiche eines jungen Bergarbeiters gefunden wurde. Als der Tote aus dem Bergwerk transportiert wurde, fand sich eine alte Dame ein, die gerührt berichtete, dass sie eben diesen Bergmann vor einem halben Jahrhundert habe heiraten wollen und er am Tag vor der Hochzeit nicht von der Arbeit heimgekommen sei. Das Thema ist nicht nur in der Trivialliteratur und in Sagen verbreitet, sondern von der Romantik bis auf den heutigen Tag von etwa 30 deutschen Schriftstellern literarisch bearbeitet worden. Der vorliegende Band beinhaltet die Darstellungen von Johann Peter Hebel im "Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes", von E. T. A. Hoffmann, G. Trakls Elis-Gedichte sowie Franz Fühmanns Erzählfragment "Die Glöckchen" nebst einem Geleitwort des Schwedischen Botschafters. Zwei äußerst informative und sehr lesenswerte Aufsätze erläutern die geschichtlichen, literarischen und politischen Motive der Autoren wie auch die ikonographischen Bezüge der Zeichnungen von Barbara Gauger. Die Bilder nehmen auf der Grundlage von Franz Fühmanns "Bergwerk"-Projekt sowohl die reale Seite des Faluner Bergwerks auf wie den Grabstein des verschollenen Mats Israelsson aber auch Motive aus der Kunstgeschichte, nebst Fühmanns Gedanken vom "Bitterfelder Weg" bis zur "Dummheit als sexuelle Schranke". Gaugers Akte behandeln neben der mythologischen Seite des "Bergwerks", den der Kupferkönigin verfallenen Bergmännern, über das "schmucke Frauchen" bis zum Thomas-Müntzer-Schacht die Arbeiterwelt der Mansfelder Kupferhäuer. Sie sind von einer Unmittelbarkeit, die die unterschiedlichen Betrachter der dazugehörigen Ausstellungen in den Auslandsgesellschaften Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt, in den Bundesanstalten für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover und Berlin, wo sie bis dato gezeigt wurden, sehr intensiv beschäftigt, aber auch mit ihrer vielschichtigen Ironie durchaus belustigt hat. Anlässlich des zwanzigsten Todesjahres Fühmanns wird die Ausstellung im Jahr 2004 u. a. in der Stiftung Burg Kniphausen bei Wilhelmshaven und im Oberharzer Bergwerksmuseum Clausthal-Zellerfeld zu sehen sein.

Bisherige Falun-Anthologien enthalten nicht die neuere und fast unbekannte Erzählung von Franz Fühmann "Die Glöckchen", die dieser als Fragment im Kontext seines Bergwerksprojekts kurz vor seinem Tod 1984 abschloss. Der hier nahezu unverändert nach der Letztfassung des Typoskripts wiedergegebene Text, der das schwedische Thema des Faluner Bergwerks in der literarischen Form, die ihm E. T. A. Hoffmann gab, ins Mansfeldische verlagert, zeigt auf besonders drastische Weise die Dichte von Fühmanns Anspielungen auf die Kultur und Lebenswelt der DDR. Diese mögen charakteristisch für ostdeutsche Verhältnisse sein, können aber durchaus auch auf den Ruhrpott und schließlich auf außerdeutsche Verhältnisse der individuellen und gesellschaftlichen Unterdrückung und Unfreiheit übertragen werden, ohne dass die Erzählung damit an Brisanz und Aussagekraft verliert.

Ein Ausschnitt aus Fühmanns Werk, das in den vergangenen beiden Jahrzehnten nach seinem Tod nur peripher beachtet wurde, tritt hier authentisch hervor in der Reihe von Schriftstellern, die ihm für seine eigene Arbeit viel bedeuteten, besonders im Zusammenhang mit den von ihm äußerst verehrten Autoren Hoffmann und Trakl, so dass sich der Leser ein umfassendes Bild machen kann. Vielleicht könnte dieser sorgfältig edierte Band, der nun eine gute Dekade nach Eberhard Sauermanns Studie über die Editionen von Fühmanns Trakl-Essay erscheint, eine weitere Anregung sein, Fühmanns gekonnte aber auch im besten Sinne eigene und persönliche Verwendung von Sprache als beherrschendes Erzählmittel zu würdigen. Eine dementsprechend neue Lesart könnte auch dazu beitragen, Fühmanns Literatur und Arbeitswelt verbindendes Bergwerksprojekt in seiner Prägnanz und Vieldeutigkeit erneut zu entdecken und zu schätzen, behandelt es doch eine Frage, die auch heute von enormer umwelt- und gesellschaftspolitischer Bedeutung ist.

Titelbild

Thomas Eicher (Hg.): Das Bergwerk von Falun. Texte von Johann Peter Hebel, E. T. A. Hoffmann, Georg Trakl und Franz Fühmann.
Athena Verlag, Oberhausen 2003.
94 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-10: 3898961508

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