Widerstand nach Mitternacht

L. Leigh Westerfield untersucht, wie Autorinnen den antifaschistischen Widerstandes von Frauen literarisieren

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als "das Fleisch, das stets bejaht", pflegte James Joyce die Frauen zu charakterisieren. Angesichts einer solch misogynen Aussage muss man ihn nicht so gut wie seine Frau Nora kennen, um mit ihr zu konstatieren, dass er "überhaupt nichts von den Frauen" versteht. Nicht nur wegen der geistverneinenden und sexuell konnotierten Reduzierung der Frauen auf "Fleisch", sondern auch, weil Frauen eben nicht immer bejahen - weder den Sexualakt, worauf sich die Männerphantasie des irischen Autors richtete, noch diverse andere persönliche Ansinnen. Ebenso wenig bejahen zahlreiche Frauen darüber hinaus soziale Unterdrückung und tyrannische Regierungsformen. So fanden und finden sich stets auch Frauen im organisierten und unorganisierten Widerstand gegen diktatorische Regime jedweder Couleur, wie eine ansehnliche Reihe von Untersuchungen belegt.

Der umfangreichen, meist politik- oder geschichtswissenschaftlich ausgerichteten Forschungsliteratur zu Frauen im Widerstand hat L. Leigh Westerfield mit ihrer Untersuchung "'This Anguish, Like a Kind of Intimate Song'. Resistance in Women's Literature of World War II" ein weiteres Werk beigefügt, das sein Augenmerk aus literaturwissenschaftlicher Perspektive auf den Untersuchungsgegenstand richtet, allerdings interdisziplinär um die Disziplinen "women's history" und "feminist litarary criticism" erweitert. Westerfields Interesse gilt der zeitgenössischen Literarisierung von antifaschistischem Widerstand leistenden Frauen während des Zweiten Weltkrieges in der Widerstandsliteratur deutscher und französischer Autorinnen. Im Zentrum ihrer Monographie stehen elf Werke: Ruth Andreas-Friedrichs Tagebuch "Der Schattenmann", Irmgard Keuns Roman "Nach Mitternacht", Elisabeth Langgässers Kurzgeschichten "An der Nähmaschine" und "Untergetaucht", Anna Seghers Roman "Das siebte Kreuz", Simone de Beauvoirs Roman "Le Sang des autres", Marguerite Duras' fiktionale Erinnerungen "La Douleur", Clara Malraux' Erzählung "La Fausse épreuve", Edith Thomas' Kurzgeschichten "FTP" und "L'Arestation", Elsa Triolet Roman "Les Amants d'Avignon". Westerfield möchte diesen Autorinnen eine Stimme geben und ihre Identität als "resistance writers" sichtbar machen. Ein weiteres Ziel ihrer Arbeit besteht darin, "to valide the forms of women's anti-Nazi opposition". Die von Frauen verfasste Widerstandsliteratur ermöglicht es der Autorin in besonderer Weise die "subjects of gender in particular and of war and resistance in general" zu beleuchten. Hierzu kontrastiert sie die von ihr untersuchten Werke von Frauen auch mit von Männern verfasster Widerstandsliteratur (etwa mit Henri Frenay "The Night Will End"), um so "the distinguishing features of women's choices and strategies" klarer hervortreten zu lassen, wobei ihre Untersuchung auf der allgemein akzeptierten Annahme beruht, dass auch weniger sichtbare und alltägliche "dissenting actions" von "average citizens" zum Widerstand zählen.

Westerfields besondere Aufmerksamkeit gilt der Frage, wie die das alltägliche Leben der Frauen bestimmenden "gender standards" deren Widerstandsformen beeinflussten. Die von Westerfield herangezogenen Werke spiegeln nicht nur die Gender-Normen wieder, die Frauen eine traditionelle Rolle vorschrieben, sondern beleuchten auch, wie Frauen "perceived themselves in relation to resistance", wie sie dazu kamen sich für den Widerstand zu entscheiden und wie ihre Teilnahme von Männern gesehen und bewertet wurden. Neben den Werken selbst bildet die Frage nach dem "social enviroment", in dem die Autorinnen als Frauen in einer von Männern dominierten "literal world" lebten und schrieben, zentrales Moment von Westerfields Untersuchung. Um die "gender norms", die das Leben der Autorinnen beeinflussten, in Zusammenhang mit der Konstruktion ihrer Widerstandsfiguren können bringen zu können, stellt Westerfield den Text-Interpretationen biographische Abrisse der jeweiligen Autorin voran, die als traditionelle Frauen und Produkte ihrer konservativen Klassenzugehörigkeit vorgestellt werden.

Sowohl die "official accounts" des Widerstandes als auch die Widerstandserzählungen von AutorInnen beiderlei Geschlechts entsprechen den traditionellen Vorstellungen des männlichem Kämpfers und des weiblichen "caretakers". Allerdings weist sich auch eklatante Unterschiede zwischen den von Männern und Frauen verfassten Werken nach. Vielen Erzählungen von Männern liegt die Annahme zugrunde, dass der Widerstand ein "vibrant moment" in einer vor "elektric energy, fraternal bonding, and life-altering power" pulsierende Zeit gewesen sei; mit anderen Worten dass er die alltägliche Existenz transzendiert habe. Patriotismus, Kriegspiel, ein jungenhafter Kameradschaftsgeist und andere Mythen, welche die "cleaned-up renditions" des Untergrunds männlicher Erzähler prägen, entsprechen Westerfield zufolge weniger den tatsächlichen Erfahrungen, die Männer im Widerstand tatsächlich machten. Vielmehr handele es sich um die Erfahrungen, die sie gerne gemacht hätten. Was Widerstand wirklich hieß und wie dessen Alltag aussah, sei eher aus den Werken weiblicher Autoren zu erfahren. Anders als die Werke ihrer männlichen Kollegen, die sich meist auf militanten Aktionen des organisierten Widerstands konzentrieren, illustrieren die Widerstandserzählungen der Frauen mit einer "suprisingly consistency" verschiedene Formen von Anti-Nazi-Aktivitäten, die in alltägliche Routinetätigkeiten integriert waren, und die "could not be disentangeled from the personal concerns, feelings, and relationships intrinsic to privat life". Indem sie darauf verzichten, das Image des Widerständlers als Kämpfer aufrechtzuerhalten und waren sie imstande, "to impart resistance shades of meaning" und "to suggest that behind the usual portrayals of courage, lofty ideal, and clea-cut choices of good and evil there existed paralysing fear, pain, shame, and greif; uncertainly about one's role as a resister; sometimes horrifying scenarios; worry about well-being of loved ones; and disturbing moral and ethical conflicts."

Gender-theoretisch geschult, ist Westerfield allerdings weit davon entfernt, den Fehler zu begehen, biologistische oder essentialistische Gründe für diese Unterschiede zu suchen. Vielmehr differenziert auch innerhalb der beiden Genusgruppen, wobei sie sich wiederum auf die Literatur von Frauen konzentriert. So stellt sie jeweils zwei oder drei verwandte oder miteinander korrespondierende Texte von Frauen nebeneinander und beleuchtet Gemeinsamkeiten und Unterschiede etwa zwischen Keuns "Nach Mitternacht" und Andreas-Friedrichs "Der Schattenmann", zwei Werke, die nicht nur "delve into the grass-root" des deutschen Widerstandes, sondern auch "the subtle disruption of gender norms under impact of war and resistance" wiederspiegeln. Während Keun die Figur Sanna "in terms of feminine stereotypes" entwirft, "shrouds" Andreas-Friedrich ihren eigenen Widerstand "into silence". Obwohl beide Autorinnen dergestalt "shy away" von ihrer politischen Identität, haben sie eine "bold political stance" gewählt und sich mit ihren "inherently political" Werken dafür entschieden, gegen den Nationalsozialismus anzuschreiben.

Interessanter noch als der Vergleich der Werke Keuns und Andreas-Friedrichs sind Westerfields Ausführungen zu Thomas' Kurzgeschichten "FTP" und Seghers Roman "Das siebte Kreuz", auch wenn es sich bei der Feststellung, die beiden Autorinnen nähmen einen "masculine point of view" ein, zumindest hinsichtlich Seghers nicht unbedingt um eine bahnbrechende Erkenntnis handelt. Auch ist von Westerfields Kritik, Seghers Roman sei wenig realistisch, durchaus nicht neu. Innovativ jedoch ist der Blick, den Westerfield auf die Frauen- und Weiblichkeitsdarstellungen in Seghers Roman wirft. Denn obwohl er "does not stand up well as an accurant record of life inside the Third Reich", trägt er ebenso wie Thomas Erzählungen zum "overall picture of the social attitudes" bei, "that informed women's resistance roles and suggests the outlook with which women authors approached the subject of political resistance". Wie Westerfield ohne große Mühe zeigen kann, porträtieren beide Autorinnen ihre Frauenfiguren nach gängigen Stereotypen. So spielt sich das Leben der Frauenfiguren in Seghers Roman meist zuhause ab, sie schaffen ihre Identität über Beziehungen zu Männern oder anderen Menschen und "they respond emotionally to frightening circumstances". Seghers Frauencharaktere sind ausnahmslos durch 'weibliche' Passivität und Hilflosigkeit gekennzeichnet, so dass ihnen im ausschließlich durch politische "terms" bestimmten Widerstand nur eine "relativly modest role" zukommt, während die Männer das politische Wissen und die Kontakte besitzen, um wirklich 'ernsthafte' Widerstandoperationen durchzuführen. Die Beschränkungen, die Thomas und Seghers ihren Frauenfiguren auferlegen, erscheinen Westerfield im Lichte der tatsächlichen Möglichkeiten von Frauen im kommunistischen Wiederstand Deutschlands und Frankreichs und in Anbetracht der realen Lebensführungen beider Autorinnen besonders ironisch.

Ungeachtet der 'männlichen' Sich- und Schreibweise von Seghers und Thomas kann Westerfield das am Beispiel der anderen Autorinnen eindrücklich belegte Fazit ziehen, dass es Schriftstellerinnen aufgrund ihres Verzichts auf Kriegs- und Widerstandsrhetorik und auch aufgrund ihrer ansozialisierten Gefühle im Allgemeinen eher als ihren männlichen Kollegen möglich war, ein emotionales Bild des Schmerzes, der Angst und der schrecklichen Realität des Widerstandes zu zeichnen, ohne die Wahrheit hinter den Abstraktionen einer "high-flown" Sprache verbergen zu müssen. Die Romane und Erzählungen der untersuchten Autorinnen zeigt, dass Widerstand mehr bedeutete, als den Feind "in the name of a particular cause" zu töten und dass Widerstand "was about people living with wory and grief, confusion and fear, as they worked to save others who were in danger of dying".

Titelbild

Leigh Westerfield: This Anguish, Like a Kind of Intimate Song. Resistance in Womens´Literature of World War II.
Rodopi Verlag, Amsterdam 2004.
236 Seiten, 55,00 EUR.
ISBN-10: 904201148
ISBN-13: 9789042011489

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