Abgesang auf das Feuilleton der 90er Jahre

Ein Sammelband versucht zu bestimmen, was vom Feuilleton bleibt

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Frage, in welcher Phase das deutsche Feuilleton seine Blütezeit erlebte, lässt sich sowohl subjektiv als auch objektiv beantworten. Die Beiträger des vorliegenden Tagungsbandes situieren sie - ziemlich einhellig und mit guten Gründen - zwischen zwei Eckdaten: dem Historikerstreit um Ernst Nolte Mitte der 80er Jahre und der Krise der New Economy Ende der 90er. Letztere war auch Ausdruck einer Krisenstimmung in der Old Economy, die schließlich zum Zusammenbruch der Anzeigenmärkte führte und den Zeitungen an die finanziellen Ressourcen ging.

Versucht man die Tagungsbeiträge, die sich im vergangenen Jahr mit der Vergangenheit und Zukunft des Feuilletons als einer Plattform der kritischen Öffentlichkeit in Deutschland beschäftigt haben, auf einen Nenner zu bringen, so lässt sich wohl sagen, dass mit der Ablösung des "Rezensionsfeuilletons" (Ulrich Greiner) durch ein modernes Debattenfeuilleton auch eine Ausweitung der traditionellen Gegenstandsbereiche des Feuilletons sowie eine Politisierung desselben einhergingen. Die auffälligsten Beispiele lieferte wiederum die "F. A. Z.", die im Jahr 2000 der Kartierung des menschlichen Genoms mehrere Seiten widmete und diesem auch ästhetisch bemerkenswerten Auftritt eine Fülle begleitender und kommentierender Stimmen aus Politik und Philosophie, Kirche und Kunst, Literatur und Leben folgen ließ. Dergleichen war nur durch "extrem hohen Kapitaleinsatz" (Thomas Steinfeld) und mit "jungen Feuilletonisten" (Wolfram Schütte) möglich, aber mit dem Generationswechsel in den Redaktionsstuben vollzog sich auch ein Wandel des Leser-, Käufer- und Inserentenverhaltens. Schon bald mussten die Qualitätszeitungen wieder kleinere Brötchen backen.

Einer allgemeinen "Akzeptanzkrise kultureller Gegenstände" setzt Jens Jessen, Feuilletonchef der Wochenzeitung "Die Zeit", den "Heroismus" des Intellektuellen entgegen, der Haltung bewahren und für Haltungen werben muss, will er sich behaupten: "Wir sind die Intellektuellen, und die anderen sind die anderen. 'Heroisch' sein heißt also nur, dass es keinen Sinn hat, wenn wir uns den anderen anpassen - sie werden immer weiter rücken, und wir haben nichts gewonnen." Das Gegenbild dieses Behauptungswillens kann mit dem Stichwort "Feuilletonisierung der Politik" (Eckhard Fuhr) umschrieben werden, die mit der "Auflösung intellektueller Milieus" einhergeht, mittlerweile weit fortgeschritten ist und inzwischen die gesamte Mediengesellschaft erfasst hat.

Leselust und Leserfrust liegen nahe beieinander. Für mich begann die Hoch-Zeit des Feuilletons in Etappen: mit Reich-Ranickis Rezension von Wolfgang Koeppens "Jugend" (1976), mit dem Erscheinen des "Frankfurter Allgemeine Magazins" (1980) und mit Karl Heinz Bohrers Feuilletons aus London - den Höhepunkt setzten 1982 seine flammenden Kommentare zum Falkland-Krieg. Der Tod des Feuilletons begann dann wohl eher schleichend: mit Aufmachern, die - zumindest bei mir - nicht mehr verfingen (Beispiel: Frank Schirrmachers Forderung nach dem deutschen Hauptstadtroman), mit der - wie es mir damals erschien - verlogenen Deklassierung der DDR-Literatur oder dem Relaunching altvertrauter Zeitungsseiten. Dem "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" konnte man beim Sterben zuerst zusehen, es ließ, indem es seinen Abonnenten immer neue Gesichter zumutete, Haltung vermissen, ähnlich wie die Evangelische Kirche selbst, die sich mit gesichtsloser Liturgie und Traubensaft statt Wein selber marginalisierte. Natürlich gab es in den 90er Jahren aufregende Zeiten, wichtige Debatten, sensationelle Entscheidungen wie die Rückkehr der "F. A. Z." zur alten Rechtschreibung. Aber es gelingt mir - mit Ausnahmen - nicht, die Blütezeit des Feuilletons mit jenen zu verbinden, die Beiträger des vorliegenden Lesebuchs sind.

Titelbild

Thomas Steinfeld (Hg.): Was vom Tage bleibt. Das Feuilleton und die Zukunft der kritischen Öffentlichkeit in Deutschland.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
190 Seiten, 10,90 EUR.
ISBN-10: 3596163293

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