Faschismus oder Felswand im Gelände? Rudolf Borchardt und die Literaturkritik

Eine Rezension Fritz Brügels aus dem Jahr 1937 und das Feuilleton von heute

Von Thomas AnzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Anz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht nur von Autoren wie Botho Strauß und Martin Walser wurde der Lyriker, Erzähler, Essayist und Redner Rudolf Borchardt in den letzten Jahren mit viel Bewunderung und Respekt bedacht. Das Erscheinen seiner „Gesammelten Werke“ in vierzehn Bänden, der Edition der „Gesammelten Briefe“ und unlängst seines autobiographischen Fragments „Anabasis“ fand in den deutschen Feuilletons eine bemerkenswert große Resonanz. Sie ist wohl auch dem Prestige der Verlage geschuldet, die sich dieses Autors angenommen haben: Klett-Cotta, Hanser und auch Suhrkamp. Auffällig war dabei, von einigen blinden Borchardt-Enthusiasten einmal abgesehen, die Ratlosigkeit und Freundlichkeit einem jüdischen Autor gegenüber, dessen Affinitäten zum deutschen und italienischen Faschismus den Rezensenten zum Teil durchaus bekannt ist. Die Würdigungen dieses Mannes und seines literarischen Werkes berührten gelegentlich gar die Grenze des Kitsches. „Wie eine Felswand“ stehe die Lyrik Borchardts „im Gelände, die jeder sehen kann und keiner sich zu erklettern traut.“ (Burkhard Müller in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 26.11.2003) Um einen historischen Kontrast zu diesem heute in den Feuilletons nicht eben seltenen Stil der Literaturkritik zu schaffen, erinnern wir an eine Rezension, die der 1897 in Wien geborene und 1955 in London gestorbene Publizist Fritz Brügel 1937 in der Moskauer Exilzeitschrift „Das Wort“ (S. 97-101) veröffentlichte.

Aristokratischer Faschismus

Rudolf Borchardt

: „Vereinigung durch den Feind hindurch“. Bermann Fischer Verlag, Wien

Ein paar Jahre vor dem Weltkrieg begann der deutsche Schriftsteller Rudolf Borchardt seine literarische Tätigkeit. Er fiel auf, weil er in jedem gewünschten Stil dichten konnte und die Sprache jeder Zeit nachzuahmen verstand, was kritiklosen und unwissenden Philologen, denen die deutsche Sprachgeschichte ein Geheimnis war, mächtig imponierte. Während des Weltkrieges verfaßte der Ästhet Borchardt alldeutsche Propagandabroschüren, die schon deshalb keinen weiteren Schaden anzustiften vermochten, weil sie in einem so komplizierten und fehlerhaften Deutsch geschrieben waren, daß sie über den Kreis der Borchardt-Gemeinde, die es damals bereits gab, nicht hinausdrangen. Nun darf man nicht etwa glauben, Borchardts Kriegshetze und Kriegspropaganda seien lyrisch-ästhetisch gewesen; nein, sie waren sehr real und sehr blutrünstig. Er forderte zum Beispiel wörtlich die Vernichtung der „Civilisation“ und der „European civilisation“ („Der Krieg und die deutsche Selbsteinkehr“, Heidelberg, 1915, Seite 11), er verhöhnte das deutsche Volk, weil es den Hunger des Hinterlandes als allzu groß empfand, kurz, er war für das Leben und Sterben der anderen sehr wenig sentimental. Seine Freigebigkeit mit dem Leben und Leiden der anderen war sehr großzügig.

Nach dem Kriege verhielt er sich zunächst zurückhaltend und schweigsam. Der Mann hatte 1915 prophezeit, der Sieg im Weltkriege werde nach „Verdienste allein“ zugewogen werden, er hatte Ludendorffs Genie gepriesen, aber schließlich war alles anders ausgegangen, als Borchardt und das Stellvertretende Generalkommando des XIV. Armeekorps, mit dessen Genehmigung Borchardt die Bluthetze betrieben hatte, es einst in vorzeitigem Siegesjubel angenommen. Da er also vermuten durfte, daß die Deutschen seinen neuen Prophezeiungen wenig Glauben schenken würden, wandte er sich der Übersetzung der „Göttlichen Komödie“ zu, zumal ja der Denkmalschutz für Werke der Literatur nicht besteht. Längst wenn Borchardts Name in den mit Perlschrift gedruckten Teilen der Literaturgeschichte stehen wird, wird man dieser Übersetzung als eines Musters der Albernheit und Verschrobenheit gedenken; Borchardt nämlich hat den wehrlosen Dante in ein erfundenes Deutsch übersetzt; er hat eine Sprache, die er für mittelhochdeutsch hält, mit einer anderen, von der er glaubt, daß sie baseldeutsch ist, zusammengemixt und aus diesem seltsam abenteuerlich-sinnlosen Wortbrei Verse holprig, ungefüg und melodielos geschaffen, von denen er, mit jenem Hochmut und jener Überheblichkeit, die auch seine Weltkriegsprophezeiungen gekennzeichnet hatten, behauptete, sie allein seien jenes Deutsch, das dem Italienisch Dantes kongenial sei.

Die Zeit verging. Der Prophet Rudolf Borchardt durfte annehmen, man habe seine Prophezeiungen aus der Weltkriegszeit vergessen. Wieder begann er sich mit nichtliterarischen Gegenständen und dem, was er für Politik hält, zu befassen. Er veröffentlichte, neben anderen Pamphleten ein Sudelbroschürchen „Führung“, in dem er nicht nur den italienischen Faschismus pries, den werdenden deutschen forderte, sondern wo er sich auch an Frankreich anzubiedern versuchte, an das gleiche Frankreich, dessen physische Vernichtung und Ausrottung er ein paar Jahre vorher gefordert hatte. Er, der deutsche Kriegsziele propagiert hatte, die weit grausamer, unmenschlicher, tückischer waren als die schlimmsten Sätze des Versailler Vertrages, schmiß sich nun an die reaktionären Kreise Frankreichs an, damit mit ihrer Hilfe das Schwerste vollbracht werden könne: „die Wiederumstürzung des Umsturzes, der negierten und negierenden Negation, der Revolution gegen die Revolution.“

Nicht genug damit. Lange vor der Zeit, ehe der deutsche Faschismus noch die Macht dazu hatte, seine Gegner physisch zu vernichten, forderte der Lyriker und Danteübersetzer Rudolf Borchardt die körperliche Erledigung all jener Menschen, deren Geist ihm nicht paßte. Er schrieb, daß jeder, der Deutschland führen wolle, es erst zu erobern habe. Er schrieb: „Der Weg vom Wildpferd bis zum befehlsgewohnten Reittier, das den Gedanken des Reiters schon vor dem Schenkeldruck übernimmt, ist der Weg der ganzen Menschheit, die es gezähmt hat, und führt durch harte Schulen.“

Man könnte zur Verteidigung dieses seltsamen Humanisten einwenden, er habe seine Bilder, die allerdings weder menschlich noch geschmackvoll sind, nicht so wörtlich gemeint, sie seien gewissermaßen dichterische Freiheit. Aber der Verteidiger Borchardts irrt: dieser Humanist hat die Eroberung Deutschlands und die Ermordung aller Nichtfaschisten wörtlich, ganz wörtlich und ganz unliterarisch gemeint; denn er selbst hält es für notwendig, alle zu warnen, die glauben ein Mitbestimmungsrecht am Staate zu haben: „ein Recht auf das Mitraten und Mittaten am Staate, auf Fibel, Füllfederhalter und Zeitungen als unsere Kroninsignien zu stützen, so scheint es mir an der Zeit, daran zu erinnern, daß Feuer noch stärker ist als Papier und der Rohrstock stärker als der Federhalter, und daß man in normalen Zeiten der Geschichte gedruckte Lumpereien vom Henker hat verbrennen lassen und den Lumpenhunden, die sie geschrieben hatten, zu Stockprügeln verholfen“.

Der erste deutsche Schriftsteller also, der Bücherverbrennungen, Prügel und Martern und all die unaussagbare Rohheit des Faschismus, lange vor dessen Machtantritt im Deutschen Reich, empfohlen hat, war Rudolf Borchardt.

Das war, wie gesagt, vor dem Faschismus. Nun, da die Gedankengänge Borchardts, die Bücherverbrennungen und Stockprügel, die Zähmung des deutschen „Wildpferds“ und die Eroberung des eigenen Landes, alles Gedanken, die Borchardt bereits 1931 verkündet hatte, zum realen Alltag des deutschen Lebens geworden sind, nun kann Rudolf Borchardts Literatur gar nicht in dem Deutschen Reich erscheinen, in das sie gehört. Der erste Schriftsteller, der Bücherverbrennungen empfohlen hat, kann nicht in Deutschland erscheinen! Hier liegt offensichtlich ein Unrecht vor, denn vor solchem Verdienst hätten sich die regierenden Faschisten – ebenso wie vor all den anderen propagandistischen Diensten, die Borchardt geleistet – beugen müssen; es wäre für sie eine Pflicht der Dankbarkeit gewesen, Rudolf Borchardt zum Ehrenarier zu ernennen, damit er weiter mit Benn, neben den er gehört, seines humanistischen Amtes als Prophet walten könne.

Aber die Faschisten sind undankbar, so muß das neueste Werk Borchardts, der in Italien lebt, wo auch rassisch nicht Einwandfreie Stockprügel verabreichen dürfen, in Österreich erscheinen, im Verlag Bermann-Fischer in Wien, der ebenfalls aus rassischen Gründen Deutschland verlassen mußte. Einst erschienen Borchardts dem Faschismus dienende Sudelbroschüren in dem dem Deutschnationalen Handlungsgehilfenverein gehörigen Verlag Georg Müller, und heute muß er in eine Art Halbemigration; aber Borchardt hat sich gerächt, er ist Faschist geblieben. Nur daß er seinen Faschismus ein wenig gewandelt hat, er verkündet in seinem neuen Roman „Vereinigung durch den Feind hindurch“ (!) einen aristokratischen Faschismus, in dem nur die Aristokraten und nicht auch die Geld- und Industrieherren das Recht haben sollen, Stockprügel zu erteilen.

Die Fabel des Romans ist eine alberne Liebesgeschichte zwischen einem (natürlich aristokratischen) ehemaligen Offizier und einer Standesgenossin. Und das große Problem, dessen Unlösbarkeit die beiden daran hindert, ins Ehebett zu steigen, ist, daß sie arbeiten müssen, weil sie zu wenig Geld haben. Arbeiten müssen, das ist so ziemlich, nach Borchardts neuem Buch, das Entwürdigendste, das einem Menschen – pardon! – einem Aristokraten auferlegt werden kann; denn zu den Vorrechten der Aristokratie, die zur Herrschaft berufen ist, gehört ohne jede Arbeit ein ererbtes Bankbuch. Die Heldin Borchardts schreibt ihrem Helden, der, man denke! „auf der Holzbank des münchner Nachtschnellzugs“ reisen muß wie irgend ein Prolet, diesem Märtyrer also schreibt sie: „Ich habe eine Stellung in München als Sekretärin bei einer Art Bankmenschen, vom 15. ab; zwei unmöblierte Zimmer, Kaulbachstraße, mit Berliner Möbeln baldigst; Dein Geld war für die notdürftigste Einrichtung und Reserve, ich muß wieder ein Bankbuch haben. Bist Du mir böse? Nein, nicht wahr? Hattest du lieber gewollt, daß ich schieße? Ich hätte geschossen, auf irgend etwas schließlich.“

„Ich muß wieder ein Bankbuch haben“, aus diesem Satz läßt sich alles verstehen, was Rudolf Borchardt meint, wenn er von politischen Dingen, von Ehre, Heimat und Vaterland spricht. Das Bankbuch - das ist die Ehre, die Arbeit, sein Fehlen – das ist die Entwürdigung. Etwa so: „Gewiß sei es für einen Mann an sich beschämend, seiner Frau Erwerbsarbeit zumuten müssen, aber diese Schande trüge die Zeit, nicht er …“

Da nun die aristokratischen Helden die Arbeit als Schande empfinden, benehmen sie sich in ihren Stellungen so sinnlos frech und dumm, daß sie natürlich jeder Chef glatt auf die Straße setzen würde; aber bei Borchardt, der von der deutschen Wirklichkeit der Massen nie etwas wußte, haben die Chefs zunächst ein Interesse daran, der Aristokratie zu helfen und dann erst, ihre Geschäfte zu machen. Immerhin hat die Borchardtsche Gräfin so viel gelernt, daß sie ihre Stellung in einem regulären Bankgeschäft aufgibt und zu einem Schieber geht, der großzügiger im Bezahlen ist. Und als der Held von Borchardts Heldin vom neuen Chef und seinen seltsamen Geschäften erfährt, reist er seiner Gefährtin nach, um sie aus den vorläufig gut zahlenden Klauen des Schiebers Nienhus zu retten. Er hat eine Unterredung mit ihm: „Nienhus riß die Uhr noch einmal aus der Tasche, steckte sie wieder ein, setzte zum Sprechen an und schien losbrechen zu wollen. Harbricht glaubte den Sturm kommen zu fühlen, und war schon auf der Hut, aber der ungewöhnliche Mensch da drüben gab seinen Stil nicht preis. Seine Erregung sprach nicht lauter als sonst, sondern leiser, und über das Auge schob sich ein undurchdringlich dunkler Schmelz. ,Gräfin Mayenwörth ist zu schade für die Stellen, in denen Sie ihr zugemutet haben, sich unterzuordnen. Daß solche Damen in Abhängigkeit von unsauberen Gewerbetreibenden gebracht werden, ist bereits Bolschewismus. Sie haben geglaubt, das verantworten zu können …‘“

Der Held rettet endlich die Heldin aus dem Unglück des Arbeitenmüssens, der Phantasie des Lesers bleibts überlassen, sich die Frage zu beantworten, ob die beiden aristokratischen Menschen schließlich doch ins Ehebett gelangt sind und ob sie ihr Bankbuch erreicht haben.

So schreibt der deutsche Edelfaschismus, so unsinnig und frech! Etwa von den Baltikumern und Zeitfreiwilligen, den Mördern ungezählter deutscher Arbeiter; sie sind für Borchardt: „Sturmhaufen von Kriegsknechten, die gerade überall der bleckenden Hundswut entgegentraten“.

Das Idol und Symbol Borchardts ist die Reitpeitsche; wenig hat sein Held in die Armseligkeit des Zivil zu retten vermocht, darunter vor allem:“seine Reitpeitschen, eine aus Nilpferdhaut, auf dem goldenen Knopf ein Fragezeichen graviert“.

Genug dieser Beispiele! Es bleibt nur noch zu sagen, daß Borchardts Buch in einer Sprache geschrieben ist, die man kaum mehr als deutsch bezeichnen kann. Zum Beispiel: „In dem nach hinten das Parterre des Anbaues abschließenden Gartenzimmer des Marienbad, in dem Julie sie einquartiert hatte, lag Georgs, des hierher dirigierten Telephonat. Eine halbe Stunde später rangen die Liebenden die gegeneinander wortlos aufgehobenen Händen ineinander, rückwärts und seitwärts mit leidenden Häuptern sich voneinander und gegeneinander wiegend, ehe sie sich umschlossen und mit nassen Augen herzten“ -

wobei nicht vergessen werden darf, daß all diese komplizierten Bewegungen nur ausgeführt werden müssen, weil die Heldin kein Bankbuch hat. Schön ist auch folgendes Bild Borchardts: „…ein sehr bescheidener Wagen, mit einem nur durch die Mütze schwach verherrschaftlichten Fahrer …“. Solche Sätze wären seitenlang zitierbar; sie müssen genügen.

Rudolf Borchardt hat auch heute noch, sogar außerhalb Deutschlands, eine Art von Gemeinde; er ist zum Beispiel einer der führenden Mitarbeiter der vornehmen Zeitschrift „Corona“, die in der Schweiz erscheint, und er gilt bei all den Leuten, die Luxusdrucke sammeln, aber nicht lesen, als ein bedeutender Autor. Deshalb ist es notwendig, auf dieses neue alberne Buch Borchardts hinzuweisen, das ein neuerliches Bekenntnis zum deutschen Faschismus und zum Faschismus überhaupt ist. Weiter muß deshalb von diesem Buch des Verlages wegen gesprochen werden, in dem es erschienen ist; an der seltsamen Tatsache, daß ein Verlag, der von den Bücherverbrennern zum Verlassen Deutschlands gezwungen wurde, nun der Welt einen Mann präsentiert, der zum Bücherverbrennen und zum Martern von Menschen aufgefordert hat, noch dazu bereits zu einer Zeit aufgefordert hat, ehe die heute faschistischen Schriftsteller so verbrecherische Gedanken hegten, der also schon vor der Zeit ein „Zeitfreiwilliger“ war – an einer so seltsamen Tatsache kann man nicht schweigend vorübergehen.

Fritz Brügel

Literaturhinweis:

Alexander Kissler: „Wo bin ich denn behaust?“ Rudolf Borchardt und die Erfindung des Ichs. Wallstein Verlag, Göttingen 2003.Eine Rezension von Thomas Meyer zu dem Buch steht unter der Adresse http://buecher.hagalil.com/sonstiges/kissler.htm

Kein Bild

Rudolf Borchardt: Prosa I.
Herausgegeben von Gerhard Schuster.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2002.
650 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-10: 3608932100
ISBN-13: 9783608930764

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Titelbild

Rudolf Borchardt: Anabasis. Aufzeichnungen, Dokumente, Erinnerungen 1943-1945.
Herausgegeben von Cornelius Borchardt.
Carl Hanser Verlag, München 2003.
424 Seiten, 27,90 EUR.
ISBN-10: 3929583054

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Titelbild

Rudolf Borchardt: Gedichte.
Herausgegeben von Gerhard Schuster und Lars Korten.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2003.
635 Seiten, 30,00 EUR.
ISBN-10: 3608935746

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