In der redlichsten Absicht und fast ohne alle Ironie

Zum Begriff der "Ironie" in der Romantik und bei Friedrich Schlegel

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auf Ironie soll verzichtet werden! Warum eigentlich? Und was ist eigentlich ironisch an der Romantik und bei Friedrich Schlegel? Inwiefern ist der Begriff "Ironie" wichtig? Eine Antwort versucht Matthias Schöning in seiner als Dissertation am Fachbereich Literaturwissenschaft der Geisteswissenschaftlichen Sektion der Universität Konstanz eingereichten Arbeit über den "Ironieverzicht" bei Friedrich Schlegel (1772-1829). Der Zeitrahmen für die Untersuchung wird klar abgesteckt: "Konzepte zwischen Athenäum und Philosophie des Lebens", also zwischen 1798/1800 und 1828/29.

Wenn man den Titel der Buches ernst nimmt und eben nicht ironisch, fällt zuerst die Diskrepanz zu dem gebräuchlichen Terminus der "romantischen Ironie" auf. Als nächstes könnte man vielleicht auf den Begriff "Konzepte" aufmerksam werden, vor allem in Verbindung mit dem Begriff "Ironie" - und spätestens dann möchte man wissen, was es mit dem "Verzicht" auf sich hat.

Schöning eröffnet den in fünf Kapitel gegliederten Band mit einem Exkurs auf eine "Konjunktur der Ironie", um das Thema in der Gegenwart zu verorten und die Aktualität Schlegels deutlich zu machen. Dabei betont er gegen die negativen, die auflösenden oder wie auch immer konstatierten Positionen den normalisierenden Effekt der Ironie: "Die Entscheidung der Ironie ist damit eine Entscheidung für Differenz. Sie versucht, 'wie aus den Augenwinkeln, noch das eingeschlossene Ausgeschlossene zu sehen', erlaubt sich, mit der Möglichkeit passierbarer Grenzen zu rechnen und, ja nach Situation, wechselnde Rollen einzunehmen, um zwischen Fundamentalismus wie Okkasionalismus gleichermaßen die Balance zu halten. Die Realität, 'für die sie sich entscheidet', hat eine ungewisse Zukunft, eine interpretationsbedürftige Vergangenheit und eine unübersichtliche Gegenwart. Nach der Entscheidung für Differenz steht ihr lediglich fest, dass jede weitere Entscheidung revidierbar sein muss, mit einer reinen Sachentscheidung, einem Zwang der Lage, rechnet sie nicht."

Unterschiedliche Positionen werden rekapituliert, Thomas Mann bis Botho Strauß als Zeugen für die Definition von "Ironie", "Ironieverzicht", "normalisierender Ironie", "Verschlagenheit" usw. angerufen und in ein differenziertes Netz der "Ironie" verflochten. Dem Verfasser gelingt es, ein auf den ersten Blick der Romantik und Friedrich Schlegel nahezu immanenten Begriff der "Ironie" auf das genaueste zu definieren, zu differenzieren und die damit verbundenen problematischen Definitionen und Anwendungen in einem gut lesbaren Text darzustellen, Diskrepanzen auszuzeigen und an geeigneter Stelle die rechten Argumente anzuführen, etwa mit den Worten Walter Benjamins in Bezug auf das Verhältnis des Einzelnen zur Ironie: "Das europäische aller Güter, jene mehr oder minder deutliche Ironie, mit der das Leben des einzelnen disparat dem Dasein jeder Gemeinschaft zu verlaufen beansprucht, in die er 'Verschlagen' ist, ist den Deutschen gänzlich abhanden gekommen."

Der vermeintlich spröde Gegenstand wird über die Kapitel "Friedrich Schlegel und die aktuelle Konjunktur der Ironie", "Programmatischer Fragmentarismus. Literatische Reflexionen moderner Kommunikation", "Friedrich Schlegels romantischer Begriff von Ironie", "Ironieverzicht" bis hin zum letzen Abschnitt unter dem Titel "Neuordnung. Schlegels religiös-politische Romantik" auf interessante und manchmal sehr unterhaltsame Weise dem Resümee zugeführt, das den Bogen zwischen den "ironischen Konzepten" eines Friedrich Schlegel und der "Rückkehr der Ironie" schlägt. Schlegel ist zum "guten Ende" hin der sich an der Ironie "Abmühende", der noch auf seinem Sterbebett einen letzten Versuch unternimmt, die bisherigen Versuche einem "guten Ende" zuzuführen und abweichende Positionen seines Frühwerkes vergeblich zu modifizieren. Und ein "gutes Ende" meint in Bezug auf das vorliegende Buch nicht die Aufhebung der Widersprüche in den konträren philosophischen Positionen, die Schlegels Frühwerk zur Zeit des "Athenäums" von seinen theoretisch-philosophischen Konstrukten der Spätzeit unterscheidet, um eine literaturhistorisch kohärente Biographie zu konstruieren, sondern diese Differenzen fruchtbar auszubreiten.

Schöning versucht erfreulicherweise keine geschlossene Biographie der Schlegelschen Ironie zu schreiben, sondern lässt die späten Harmonisierungsversuche der Lebensphilosophie neben den produktiv-differenten Athenäums-Konzepten stehen. Im Spätwerk ist es nur noch eine "rhetorische Ironie" die bleibt und der Autor fasst auf der letzten Seite noch einmal abschließend zusammen, was auf über 300 Seiten en detail gezeigt wurde: "Die vorliegende Arbeit [...] will zunächst zeigen, wie Friedrich Schlegel den Zusammenhang moderner Literatur, dessen kommunikative Verfassung bis heute gilt, reflektiert und darauf aufbauend ein radikal modernistisches Programm entwirft, um dann sein späteres Werk als einen ebenso radikalen, aber gegenläufigen Entwurf zu begreifen, der dieselben Kommunikationsbedingungen zu hintergehen versucht. Ob es ihr dabei gelingt, 'Charakteristik' und 'Kritik' in einem kohärenten Entwurf zu kombinieren, das kann sie, die unter denselben Bedingungen operiert, nicht mehr beobachten."

Titelbild

Matthias Schöning: Ironieverzicht. Friedrich Schlegels theoretische Konzepte zwischen Athenäum und Philosophie des Lebens.
Schöningh Verlag, Paderborn 2002.
362 Seiten, 54,00 EUR.
ISBN-10: 3506779168

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