Blutschänder, Feueranleger und Mörder zugleich

Ausgewählte Kriminalgeschichten von A. G. Meißner

Von Hanna JanskyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hanna Jansky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigentlich sitze ich in einem Zug. Eigentlich. Denn meine Lektüre hat mich etwa dreihundert Jahre in die Vergangenheit katapultiert, und so rasen die Zeit und die Landschaft an meinem Fenster vorbei. Ich werde hin- und hergerissen zwischen Mitleid, Abscheu und manchmal einer gewissen Schadenfreude, bis meine Zugreise endet und damit auch die Lektüre dieses kurzen, aber auch kurzweiligen Buches.

Wir folgen keinem Detektiv, denn alle Geschichten sind bereits abgeschlossen und die Täter ihrer Strafe zugeführt. Aber trotzdem werden wir gefesselt, denn wir können uns in die Motivik hineinarbeiten und vermögen so "selbst zu Gericht zu sitzen" und "tiefere Blicke in das Menschenherz zu tun".

Wir lesen von Frauen, die angeblich ihr Kind ausgesetzt haben, von den habgierigen Ehemännern, von den dummen Selbstverrätern, von Liebenden und Jungfrauen. Schon die Titel der Erzählungen lassen auf ihren Inhalt schließen: "Mord aus Schwärmerey", "Unkeusche, Mörderin, Mordbrennerin, und doch blos ein unglückliches Mädchen" oder "Blutschänder, Feueranleger und Mörder zugleich, den Gesetzen nach, und doch ein Jüngling von edler Seele".

Aber keine Angst, alle Schuldigen werden verurteilt. Für die Schwere der Taten steht meist die Todesstrafe auf der Liste der Justiz, für die Kleineren nur Auspeitschungen, Kerker oder Zuchthaus.

August Gottlieb Meißner, Jahrgang 1753 und geboren in Bautzen, gilt als Begründer des Genres der "Kriminalgeschichten". Schon damals waren Menschen von dieser Art Geschichten fasziniert, und seine Zusammenstellungen von Fallbeispielen fanden reißenden Absatz. Selbst Friedrich Schiller nahm sich ein Beispiel an ihm und veröffentlichte später die Erzählung "Der Verbrecher aus verlorener Ehre" (1786), die sich ebenfalls zu einem Erfolgstext entwickelten. Zu Meißners 250. Jahrestag soll der vorliegende Band nun seine Verdienste würdigen. Die "Süddeutsche Zeitung" würdigte Meißners Pionierrolle, die "Neue Zürcher Zeitung" nannte Meißners Sammlung einen "Straßenfeger" und lobte Alexander Kosenina für sein "kundiges" Nachwort.

Ich erfahre hier nicht nur etwas über die Menschen im 18. Jahrhundert und ihre Nöte, sondern auch etwas über die Verfahrensweisen der Justiz, die sozialen Strukturen und die verschiedensten Praktiken, Menschen zu Tode zu bringen. Jede Geschichte ist nur wenige Seiten lang und natürlich im Deutsch des 18. Jahrhunderts geschrieben, so kommt zusätzlich Spannung auf. Für eine Zugfahrt auf jeden Fall zu empfehlen, denn die Texte sind unterhaltend dennoch ein Bildungserlebnis.

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August Gottlieb Meißner: Ausgewählte Kriminalgeschichten.
Röhrig Universitätsverlag, St Ingbert 2003.
112 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-10: 386110346X

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