Der kleine M. im roten Samt

Eva D. Becker wirft in der Zeitschrift "Exil" einen Blick auf das Verhältnis von Elisabeth Blochmann und Martin Heidegger

Von Axel SchmittRSS-Newsfeed neuer Artikel von Axel Schmitt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der neueste Band (Heft 2/2003) der von Edita Koch und Frithjof Trapp herausgegebenen Zeitschrift "Exil" enthält Artikel zu den Schauspielerinnen Maria Solveg, Katta Sterna und Johanna Hofer (Burcu Dogramaci), zu dem aus Wien stammenden Graphiker Leo Glückselig (1914-2003) und dessen New Yorker Exil (Rainer Hering), zum Leben des deutsch-jüdischen Schriftstellers Helmut Weiß (Wilhelm Mensing), zu dem Kunsthistoriker und Künstler Philipp P. Fehl (Brita Eckert), dem das Deutsche Exilarchiv 1933-1945 Der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main vom 29. November 2001 bis zum 16. Februar 2002 eine Ausstellung widmete, sowie zu dem Publizisten, Dichter, Schriftsteller, Übersetzer, Schauspieler und Rezitator Frederic W. Nielsen (1903-1996), der als Autor und Antifaschist mit Mut und Entschlossenheit im Exil gegen Rassenhass und Krieg ankämpfte.

Von besonderem Interesse ist allerdings die biographische Skizze, die Eva D. Becker über die Pädagogin Elisabeth Blochmann (1892-1972) angefertigt hat. Blochmann wurde 1933 als Professorin an der Pädagogischen Akademie Halle entlassen, weil ihre bereits in den 20er Jahren verstorbene Mutter einer jüdischen Familie entstammte. Trotz ihrer hohen Identifikation mit der 'deutschen Bewegung', die sie mit ihrem väterlichen Lehrer Hermann Nohl und dem Freund Martin Heidegger teilte, sah sie sich im Sommer 1933 durch die NS-Beamtengesetze dazu gezwungen, Deutschland zu verlassen und ein Arbeitsfeld im Ausland zu suchen. Sie wurde zunächst Lecturer, später Fellow und Senior Tutor im College Lady Margaret Hall in Oxford, bis sie 1952 im Alter von 60 Jahren einen Ruf als Professorin der Pädagogik an die Philipps-Universität Marburg annahm, wo sie zur einzigen Remigrantin wurde, die ein Ordinariat an einer bundesrepublikanischen Universität bekam.

Die besondere politische und gesellschaftliche Atmosphäre der Jahre bis 1933 spiegelt sich nicht zuletzt in dem 1989 von Joachim W. Storck herausgegebenen Briefwechsel Elisabeth Blochmanns mit Martin Heidegger. Dort findet sich auch, in einem Brief vom 3. März 1947, ein für Heidegger bemerkenswerter Moment der Selbstkritik, wenn dieser im Hinblick auf die nationalsozialistische Barbarei konstatiert, auch Intellektuelle könnten "nicht trotzdem einfach u. unablässig dem Ausbruch des Unmenschlichen wehren, das wir nicht sogleich in seiner List erkannten u. dem wir zu unbedacht das Spiel der Macht überließen". Das hatte sich in der berühmt-berüchtigten Freiburger Rektoratsrede aus dem Jahre 1933, das Heidegger als enthusiastischen Anhänger Hitlers sah, noch ganz anders angehört, richtete er doch unablässig markige Appelle an die Studentenschaft und erklärte dann im November 1933 in einem Aufruf: "Der Führer selbst und allein ist die [...] deutsche Wirklichkeit und ihr Gesetz". Elisabeth Blochmann hat über die Feierlichkeiten in Freiburg in einem Brief an Nohl vom 29. Mai 1933 ausführlich berichtet: "Ein sonderbares Gemisch war die Aula mit den mittelalterl. Talaren, dem Wichs und den Fahnen der Korporationen und daneben das Grau und Schwarz der SA und SS.-Leute. Der kleine M. im roten Samt war in seiner Blässe fast etwas rührend. Seine Rede war sehr schön, eine philosophische Rede", die sie dann folgendermaßen zusammenfasst: "Schluß: Alles Große steht im Sturm. [...] echt M. H. und so ernsthaft, daß man ihm sehr dankbar war."

Nur einen Monat später äußert sie sich jedoch schon enttäuscht über Heideggers mangelnden Einsatz für ihre Belange beim Berliner Ministerium. In einem Brief an Nohl notiert sie: "Es ist übrigens nicht (oder nicht nur?) eine Schwäche der Freundschaft, sondern auch u. vor allem in seinen Dingen ein Versagen in dem Moment, wo es gilt, sich tapfer einen geraden Weg durch die Außenwelt zu bahnen. [...] Traurig kann man darüber werden", und fährt am 15. Juni fort: "Für die Freundschaft zwischen Ma. und mir wäre eine gründliche Aussprache schon sehr nötig gewesen. Aber er hatte Angst davor, das war mir deutlich. Darüber ist aber nicht zu schreiben. [...] Schlimm ist für den Augenblick auch nicht das Versagen in B. selber, sondern die nicht aufrichtige Art der Mitteilung." Diese doppelte Perspektive auf Heidegger - Enttäuschung über dessen fehlende Zivilcourage und Hilfestellung für (vor allem jüdische) Schüler und Freunde gepaart mit einer schon manische Züge annehmenden Begeisterung für dessen Denken - teilt Elisabeth Blochmann mit vielen anderen jüdischen Intellektuellen (Hannah Arendt, Hans Jonas u. a.), die Heidegger im Stich ließ. Immer wieder wird aber auch Blochmanns Affinität zu Heideggers Visionen eines 'Kommenden' und zu dessen 'Adventismus'-Denken ansichtig, dessen Erscheinen die tiefste Not voraussetzt. In seinem Weihnachtsbrief 1934 bemerkt Heidegger, Hölderlin "hat die neuanfangende Not unseres geschichtlichen Daseins vorausgestiftet, damit sie uns erwarte. Und unsere Not ist die Not der Notlosigkeit, der Unkraft zur ursprünglichen Erfahrung der Fragwürdigkeit des Daseins". Am 7. September 1934 schreibt Blochmann aus Weimar an Hermann Nohl über Heideggers aus ihrer Sicht sonderbare Positionierung im akademischen Leben Deutschlands: "Von M. Heidegger hatte ich einen lieben, schönen Brief. Er liest diesen Winter über - Hölderlin! Überhaupt völliger Rückzug aus dem Heute scheinbar. So leid tut er einem doch mit diesem großen Irrweg. [...] Er schrieb, wenn nicht die Fam. wäre, hätte er mit dem Rektorat auch die Prof. niedergelegt. Sonderbares Leben!"

Nach der Wiederaufnahme des Briefwechsels im Herbst 1946 trafen sich Elisabeth Blochmann und Heidegger nach ihrer Rückkehr nach Deutschland 1952 in Marburg. Die von Blochmann 1954 an Heidegger gerichtete Bitte um konstruktive Vorschläge für die nach der Emeritierung von Julius Ebbinghaus notwendig gewordene Neubesetzung des Philosophie-Lehrstuhls in Marburg nahm dieser zum Anlass für eine wüste polemische Attacke gegen den in die engere Auswahl aufgenommenen Karl Löwith. In Heideggers Brief vom 19. Januar 1954 liest man diesbezüglich: "Vom Denken hat er keine Ahnung; vielleicht haßt er es [...]. Als er sich in M. b. habilitierte, war er der roteste Marxist". Aller wüsten Entgleisungen, allen peinlichen Schweigens und mangelnder Hilfe während der nationalsozialistischen Diktatur zum Trotz sucht auch Elisabeth Blochmann - ähnlich wie Hannah Arendt - den rational nicht nachvollziehbaren Schritt zur Versöhnung mit Heidegger. Anlässlich des 80. Geburtstags Heideggers 1969 versichert sie ihm, sie sei sich "doch immer Deiner nie versagenden freundschaftlichen Treue bewußt" gewesen. Vieles erinnert an Überlegungen von Hans Jonas, der Heidegger bis zuletzt als den Denker würdigte, der in der Philosophie des 20. Jahrhunderts "das wollende, sich mühende, bedürftige und sterbliche Ich zum Vorschein kommen" ließ. Gleichwohl schreckte Jonas nach 1945 aber nicht davor zurück, gerade das, was ihn an Heidegger faszinierte, schonungslos anzusprechen: das Umstürzlerische seines Denkens, die mit einer völlig neuen Sprache einhergehende Infragestellung der humanistischen, rationalen Tradition abendländischen Denkens, die 1933 eben zu jener viel beklagten Affinität des Heideggerschen Denkens zum Nationalsozialismus führte. Von einer solchen schonungslosen Selbstanalyse war Elisabeth Blochmann jedoch weit entfernt.

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Edita Koch / Frithjof Trapp (Hg.): Exil. Forschung - Erkenntnisse - Ergebnisse. 23. Jahrgang (2003) Heft 2.
Verlag Edita Koch, Frankfurt a. M. 2003.
107 Seiten, 11,20 EUR.
ISSN: 07216742

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