Patriot, Militarist und Widerstandskämpfer

Hans Georg Klamroth und die Männer des 20. Juli 1944

Von Hanna ChristiansenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hanna Christiansen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Erinnerung der ehemaligen Fernsehjournalistin und freien Schriftstellerin Wibke Bruhns setzt ein am "8. April 1945, Sonntag nach Ostern, vormittags um 11 Uhr 25. Alliierte Bomber, 215 sollen es gewesen sein, legten 82 Prozent der Altstadt in Schutt und Asche. Da war ich sechs. Alles davor ist in meinem Gedächtnis verschüttet unter Trümmern, verbrannt in der tagelangen Feuersbrunst." Ihr Vater Hans Georg Klamroth wurde am 28. August 1944 in Plötzensee hingerichtet. Auch die Erinnerungen an ihn sind verschwunden.

1979 wurde eine Fernsehdokumentation über die Männer des 20. Juli, in der auch Filmaufnahmen Hans Georg Klamroths zu sehen sind, für Wibke Bruhns zum Anlass, sich mit ihrem fremden, unbekannten Vater auseinander zu setzen. Nun, 25 Jahre später, ist ihr Buch "Meines Vaters Land" erschienen.

Ihre Familiensaga beginnt um 1500 im Kursächsischen mit der ersten Erwähnung des Namens Klamroth. In mehr oder weniger großen Sprüngen erzählt Wibke Bruhns die Chronik einer zunehmend erfolgreicher und somit wohlhabender werdenden Kaufmannsfamilie mit Firmensitz in Halberstadt. Dabei stützt sie sich vor allem auf noch vorhandene Briefe, Tagebuchaufzeichnungen und Fotos. Die von ihr ausgewählten persönlichen Zeugnisse und Dokumente lassen ein Bild damaligen Lebens und großbürgerlicher Mentalität entstehen. Im Mittelpunkt steht der Vater Hans Georg, geboren 1898 und in wilhelminischer Tradition erzogen. Kaisertreue, Nationalismus, Militarismus und Pflichtgefühl bekommt der Junge mit der Muttermilch verabreicht. Die Sommerferien auf Juist verbringen er und seine Cousins mit organisierten Kriegsspielen, bis aus den Matrosenanzügen 1914 Uniformen werden. 1916 macht Hans Georg das Notabitur und befreit sich so von seiner Sorge, "daß das Leben und der Krieg an [ihm ]vorbeigehen" könnten. Er wird Fahnenjunker beim Dragoner-Regiment Prinz Albrecht von Preußen in Königsberg, wo er schnell Karriere macht und für seine Verdienste im Gefecht das Eiserne Kreuz II. Klasse bekommt. Die Politiker, die sich ab 1917 um Friedensverhandlungen bemühen, verabscheut er, sei es doch "süß und ehrenvoll" fürs Vaterland zu sterben und eine Schande, sich zu ergeben. Dementsprechend wird der Versailler Vertrag von ihm mit allen gängigen stereotypen Verunglimpfungen bedacht, die in der Folge auch von den deutschen Faschisten genutzt werden, mit deren politischen An- und Absichten sich Hans Georg schnell anfreundet. Im April 1933 wird er NSDAP-Mitglied und beginnt, sich parteipolitisch zu engagieren. Schnell tritt er der SS bei, in der er eine Reiterstaffel aufbauen soll. Als im Frühjahr 1935 die allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt und die Wehrmacht aufgebaut wird, kann er seine nach dem Ersten Weltkrieg unterbrochene militärische Karriere fortsetzen, wird Oberleutnant und dann Hauptmann. Bei einem Familientreffen 1933, zwei Jahre vor Verabschiedung der "Nürnberger Rassegesetze", einigt sich der gesamte Klamroth-Clan auf einen sogenannten "Arierparagraphen". Familienmitglieder, die einen "Nichtarier" heiraten, werden demzufolge aus der Familiengemeinschaft ausgeschlossen, insbesondere wenn sie einen Juden oder eine Jüdin heiraten.

Alles in allem eine gradlinige Biographie, die geradezu zwangsläufig bei den deutschen Faschisten enden muss. Aber dennoch schweigt Hans Georg Klamroth, als er unter anderem durch seinen Schwiegersohn zum Mitwisser des geplanten Attentats auf Hitler am 20. Juli wird. Auch in den sich anschließenden Verhören schweigt er. Bis zu seiner Hinrichtung am 28. August, also 38 Tage lang, schweigt er. Er belastet niemanden, außer sich selbst; erzählt nur von seinen persönlichen, durch Stalingrad ausgelösten Zweifeln an der Politik Hitlers. Auch zuvor, gegenüber seiner Frau, hat er geschwiegen. Und auch die Tochter kann im neuen Jahrtausend und mit Zugang zu historischen Quellen nur mutmaßen, was er wohl gewusst haben könnte und warum er stillschwieg. Was bleibt ist der gewaltsame Tod eines ehemals überzeugten Faschisten - und natürlich bleiben Fragen. Fragen, wann und wieso es zu einem möglichen Sinneswandel gekommen ist; warum er dann nicht schon viel eher gegen das System war; warum ihn nicht das Verschwinden geschätzter jüdischer Geschäftspartner und Angestellter und das mögliche Wissen um den eliminatorischen Antisemitismus der Nazis zum Zweifeln brachten. Die Tochter sucht dafür Erklärungen. Das ganze Buch über bemüht sie sich, ihren Vater zu verstehen. Und genau darin liegt die Stärke ihrer Darstellung. Wibke Bruhns zeigt von Anfang an immer wieder die einstmals vorhandenen kritischen Korrektive auf; sie fokussiert die Gegentöne und Disharmonien und legt den Finger auf das, was der Vater hätte wissen können. Sie lässt die antisemitischen, rassistischen Äußerungen aus den Briefen und Tagebuchaufzeichnungen ihres Vaters nicht kommentarlos stehen, ist verstört über die Gleichgültigkeit des Vaters gegenüber dem Schicksal der Juden und ärgert sich über pauschale vaterländische Opferbereitschaft und patriotische Platitüden. Daran ändert auch der "Heldentod" nichts. Dieser und das Leben ihres Vaters werden der Autorin stattdessen zur Mahnung. So gerät ihr der Vater am Ende zum Beispiel dessen, wovor man sich hüten muss, soll Geschichte sich nicht wiederholen.

Titelbild

Wibke Bruhns: Meines Vaters Land. Geschichte einer deutschen Familie.
Econ Verlag, München 2004.
390 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-10: 343011571X

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