Nützliche Fakten

Zum Abschluss des Brecht-Handbuchs

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In gerade einmal vier Jahren wurde das neue Brecht-Handbuch unter der Leitung von Jan Knopf und Joachim Lucchesi erarbeitet; der fünfte und letzte Band liegt seit kurzem vor. Das ist zunächst eine logistische Leitung; immerhin galt es 61 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen für mehr als 250 Artikel zu gewinnen und zur rechtzeitigen Abgabe ihrer Texte zu bewegen. Resultat ist kein völlig neuer Blick auf Brecht, wenn auch die Unterschiede zum alten zweibändigen, vor gut zwanzig Jahre alleine von Knopf geschriebenen Handbuch deutlich sind. Aufgabe eines Handbuchs ist freilich, vorhandenes Wissen zusammenzufassen und so die Arbeit an offenen Fragen - und das muss besonders im Fall Brecht auch heißen: die Arbeit an der Aktualität des Werks - zu befördern.

Dies gelang vorbildlich. In Rezensionen zu den Bänden zwei bis vier, zu den Gedichten, zur Prosa und zu Schriften Brechts, konnte ich das intellektuell Anregende des Handbuchs hervorheben und gleichzeitig die Gefahr, dass die Interpretation über die Vermittlung von Fakten, die man vom Genre Handbuch zuallererst erwartet, die Oberhand gewinnt. Nun haben Handbücher, nicht nur die erfolgreiche Reihe aus dem Metzler Verlag, Konjunktur, parallel zu Büchern, die Sicherheit versprechen, was denn der Kanon sei. Ein solches Verlagsangebot entspricht sicher auch der institutionellen Wandlung im Milieu der Hauptabnehmer aus dem Bereich Universität: insbesondere der "Modularisierung" des zu Lernenden im Bereich der neuen Bachelor-Studiengänge. Insofern mag, was ich als Gefahr benannte, gerade positiv der Sperrigkeit des "Gegenstands" Literatur entsprechen: dass sie sich eben nicht auf jene bloße Faktizität reduzieren lässt, die reformfreudigen Bildungsplanern offensichtlich vorschwebt.

Vorliegender Band scheint freilich am wenigsten geeignet zur Vermittlung von Inhalten. Er verspricht "Register, Chronik, Materialien" und bietet zusätzlich eine knappe, brauchbare Auswahlbibliographie, die übergreifende Titel den Werkbibliographien in den vorangehenden Bänden hinzufügt. Eine umfassende Brecht-Bibliographie bleibt Desiderat, konnte indessen hier auch nicht der Anspruch sein.

Personen- und Werkregister fassen die Verweise zusammen, die in den Bänden eins bis vier bereits vorlagen, sind also für den raschen Zugriff nützlich, doch nicht unentbehrlich. Etwas rätselhaft sind die gut zehn Seiten "Materialien", Faksimiles aus dem Brecht-Archiv, die im einzelnen willkommene Einblicke in Brechts Arbeitsweise erlauben, doch deren Auswahl und Relevanz leider in keiner Weise erläutert ist.

Das Wichtige und Neue des Bandes ist die Chronik. Auf über hundert Seiten wird in vier Spalten anschaulich, in welchem Verhältnis die Biographie Brechts, seine Werke, politische und kulturell-wissenschaftliche Ereignisse stehen. Brecht war ein Autor, der in den Lauf der Weltgeschichte eingreifen wollte, der deshalb auf staatspolitische Wandlungen so intelligent wie auf Verschiebungen des kulturellen Kräftefelds reagierte. Sein Schreiben in solche Zusammenhänge einzuordnen bietet Erklärungen, die eine werkimmanente oder theoriefixierte Interpretation nicht bereitstellt.

Nicht durchgehend kann diese Chronologie zufriedenstellen. Satztechnische Mängel, die zu beseitigen nur manchmal dem erkennbaren Bemühen entgegengestanden hätte, teure Seiten zu sparen, reduzieren diese Anschaulichkeit. Auch hätten genauere Datumsangaben im zeitgeschichtlichen Teil hier und dort den Erkenntniswert erhöht. Das aber bedeutet nicht, dass der abschließende Band des Handbuchs bloße Faktensammlung ist. Zwar wurde er offensichtlich eilig in den Druck gegeben - und ein "Nachwort" erlaubt wertvollen Einblick, unter welchen unrealistischen Zeitvorgaben wissenschaftliche Arbeit mittlerweile gefördert wird -, doch vermag auch die mängelbehaftete Chronologie weiterzuhelfen. Brecht war ein Feind des Kapitalismus, und das immerhin schnellstens komplettierte Handbuch entstand in einer Zeit, in der kapitalistische Prinzipien triumphieren. Noch die Mängel also vermitteln die Aktualität des kommunistischen Autors Brecht, der nach allem, was gegenwärtig zu befürchten ist, der - wie Knopf im Nachwort erhofft - "Goethe des 21. Jahrhunderts" werden dürfte.

Titelbild

Jan Knopf (Hg.): Brecht Handbuch. Band 5. Register, Chronik, Materialien.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2003.
233 Seiten, 39,95 EUR.
ISBN-10: 3476018334

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