Inspiriert von Homers "Ilias"?

Wolfgang Petersens Filmepos "Troja" ist nicht konsequent genug

Von Marion ClausenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marion Clausen

Wenn ein Film "Troja" heißt und seine Handlung "inspiriert von Homers Ilias" (Abspann) ist, dann lockt er natürlich neben vielen anderen auch zahlreiche Zuschauer in die Kinosäle, die Homers Ilias kennen und nun gespannt sind, was der bekannte deutsche Regisseur Wolfgang Petersen wohl aus der Vorlage gemacht hat und wie weit seine "Inspiration" tatsächlich auf Homers Epos basiert. Dass sein Film auch am Original gemessen werden würde, das muss Petersen klar gewesen sein.

Schon im vorhinein war klar, dass es hier nicht um eine originalgetreue Umsetzung der literarischen Vorlage geht, dass Petersen etwa die Götterhandlung ausgespart hat, kein Verlust insofern, als er so nicht Gefahr lief, die Menschen als Marionetten der Götter und ihrer vermeintlichen Willkürentscheidungen darzustellen. Denn wer Homer richtig gelesen hat, der weiß, dass es sich bei der Einflussnahme der Götter stets um die Verstärkung menschlicher Charaktereigenschaften handelt. Dennoch ist das Missverständnis, dass der Mensch willenlos von den Göttern ferngelenkt werde, selbst unter Homerkennern verbreitet, und insofern ist man dankbar, dass Petersen diesen Themenkomplex schlichtweg ausgeklammert hat. Auch dass er nicht wenige Details der Homerischen Troja-Sage abgewandelt hat (die genauen Änderungen im Plot finden sich etwa in Joachim Lataczs Rezension zu diesem Film und sollen hier nicht nochmals aufgelistet werden) muss man nicht als störend empfinden, solange die Handlung in sich stimmig bleibt. Sinnvoll ist sogar, darauf weist Latacz zu Recht hin, dass Petersen den modernen Zuschauer in den Zusammenhang der Homerhandlung einweist, indem er die Vorgeschichte, die Homer bei seinem Publikum als bekannt voraussetzen konnte, in seine Story mit aufnimmt. Gleichwohl enttäuscht seine Umsetzung der Troja-Handlung und besonders seine Darstellung der Charaktere, denn die scheint ganz und gar nicht von Homer inspiriert zu sein.

Die Hoffnung, dass es bei Petersen die ihren individuellen Charakteranlagen gemäßen Handlungsmotivationen der Menschen selbst sind, die er im Film inszenieren will, trog ebenso wie die Erwartung, aus dem Film einen Erkenntnisgewinn ziehen zu können, wie man ihn (ungeachtet aller Götterhandlung) aus Homer zieht, weil seine Ilias zeigt, zu welchen Handlungen Charaktere mit ihren Stärken und Schwächen unter bestimmten Umständen und Einflüssen neigen und zu welchem Glück oder Unglück das führen kann.

Petersens Inszenierung der Troja-Handlung gibt jedoch nur wenig Aufschluss über die Beweggründe der Individuen, und das, was an Handlungsmotivation präsentiert wird, hat rein gar nichts mehr mit der "Inspirationsquelle" zu tun. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Man kann zwar zunächst nachvollziehen, dass Helena mit nach Troja geht, weil sie - ganz dem romantischen Liebesideal entsprechend - den jungen, schönen Prinzen Paris dem ältlichen, dickwanstigen Menelaos vorzieht, aber angesichts der blässlichen Erscheinung von Paris bleibt ihre Entscheidung für den Zuschauer ebenso unverständlich wie für ihren Gatten. Dessen Frage an Helena, kurz bevor Hektor sich seines der Lächerlichkeit preisgegebenen Bruders erbarmt und Menelaos kurzerhand umbringt, - "Und für den hast Du mich verlassen?" - ist eines der wenigen amüsanten Highlights dieses Films, auch wenn es der Homerischen Vorlage so überhaupt nicht entspricht. Und wieso überhaupt Hektor, nachdem Paris ihm offenbart hat, dass sich Helena auf dem Schiff befindet, Abstand nimmt von seinem ersten Impuls, umzukehren, um Helena zurückzubringen, bleibt dem Zuschauer schleierhaft. Mehr als "sonst wäre die Geschichte ja schon zuende", fällt einem als Argument nicht ein, das traurige Resultat einer ziemlich misslungenen Handlungsführung. Insgesamt neigt Petersens Darstellung dazu, die bei Homer sehr differenziert geschilderten Charaktere allzu sehr zu Typen werden zu lassen: das fällt beispielsweise bei Agamemnon auf, der schon bei Homer kein sehr sympathischer Charakter ist, aber im Film einfach nur zum macht- und geldgierigen Tyrannen degradiert wird, für den das bei Homer entscheidende Unrecht der Entführung Helenas durch die Trojaner nur zum willkommenen Anlass wird, seinen Machtbereich bis nach Troja auszudehnen.

Der absolute Tiefpunkt des Filmes ist jedoch Achills Antwort auf Briseis' Frage, was er eigentlich in Troja wolle: "Ich will, was alle Männer wollen,nur noch viel mehr". Eine Aussage, die an Banalität kaum noch zu überbieten sein dürfte und die belegt, dass Petersen bedauerlicherweise der Mut fehlte, die tiefer greifenden Motive menschlichen Handelns und die differenzierten Charaktere der "Ilias" seinem Publikum zuzumuten. Insbesondere Achill verliert dadurch sehr an menschlicher Größe, wirkt er doch bei Petersen über weite Strecken wie eine Kampfmaschine mit Söldnerethos oder ein archaischer Desperado, der "natürlich" die Götter verachtet und selbst seine getreuen Mitstreiter, so etwa Eudoros, mit cholerischer Ungerechtigkeit behandelt. Sein beinahe nihilistischer Individualismus, der mehr von einem trotzigen Teenager hat als von Heldentum, kann kaum beeindrucken, auch wenn die Vermutung bleibt, dass Petersen genau das für eindrucksvoll hält, wird hier doch das so oft bemühte Schema des harten Mannes zelebriert, der sich in freier Willensentscheidung ganz über die Werte seiner Zeit erhebt und den nur ein so zartes und doch tapferes Frauenherz wie das der Briseis zu erweichen vermag.

Höchst deplatziert und störend wirkt auch das Leitmotiv, das sich durch den ganzen Film zieht: Die ebenso triviale wie banale Behauptung nämlich, dass es dem wahren Helden der archaischen Zeit, vor allem natürlich Achill, dem eigentlichen Protagonisten, im Prinzip nur darum geht, Ruhm und Ehre zu erlangen und durch große oder auch furchtbare Taten in der Nachwelt unvergessen zu bleiben. Eine solch abstrakte, vom erlebten Lebensglück entfernte Handlungsmotivation findet man vielleicht bei Cicero - bei Homer spielt sie kaum eine Rolle. Vielmehr bleibt dem Zuschauer von Petersens Film verborgen, dass es Bundestreue ist, die Achill mit Agamemnon und Menelaos nach Troja ziehen lässt, weil Paris mit Helenas Entführung tatsächlich ein Unrecht begangen hat. Dies ist auch für den modernen Betrachter ein ungleich verständlicheres Motiv als das Streben nach einem so abstrakten Gut wie Erinnerung in der Nachwelt. Zugleich hätte man auch besser mit Achill mitfühlen können, angesichts Agamemnons Ungerechtigkeit gegenüber seinem treuen Bundesgenossen. In der Verfilmung findet sich anstelle dieses motivationalen Konfliktes nur der stereotype Kampf zweier männlicher Platzhirsche.

Ob der Troja-Stoff durch Petersens Interpretation gewinnt, erscheint mehr als fragwürdig. Aus einem doch recht (stereo-)typischen Hollywood-Streifen mit pompösen Schlachtszenen, wie man sie etwa aus der "Herr der Ringe"-Trilogie gewohnt ist, und den allein schon wegen des hohen technischen Aufwandes beeindruckenden Bildern, den schönen Darstellern und einem dadurch zugegebenermaßen recht hohen Unterhaltungswert hätte mit etwas mehr Konsequenz eine anspruchsvolle Literaturverfilmung werden können.

Ein positiver Aspekt der "Troja" Verfilmung bleibt jedoch: Petersens Visualisierung des Troja-Stoffes könnte dazu dienen, Homer und die antike Literatur insgesamt wieder mehr ins Bewusstsein der Moderne zu rücken. Und wenn der eine oder andere Zuschauer nach dem Film auch zur Homerischen Inspirationsquelle greift, wäre das in der Tat ein großer Gewinn.

Wolfgang Petersen: Troja (Troy), USA 2004, 162 Minuten