Kreisen, um nicht anzukommen

Geoff Dyers romantische Reisestories

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was so leichtfüßig unter der Bezeichnung "Stories" daherkommt, offenbart sich bei näherem Ansehen als ein höchst komplexes Textgebilde, bevor es dem Leser wieder in unbestimmbare Fernen davoneilt. Elf Geschichten, die an ganz unterschiedlichen Orten der Welt spielen, "in Miami, Rom, Kambodscha, Indonesien, Thailand, Paris, Black Rock City, Lybien", bilden einen Reigen, in dem ab und an die selben Personen auftauchen, in dessen Zentrum aber stets ein Erzähler um das eigene Ich sowie um zentrale philosophische Fragen kreist, wie das Problem von Raum und Zeit, von Individualismus und Fremdheit, von Aufbruch und Ankunft. Insofern ist der 1958 geborene Dyer, der in Deutschland mit einem Buch über Jazz bekannt geworden ist, ein Reiseschriftsteller im Gefolge seines Landsmanns Bruce Chatwin. Wie dieser baut er seine "Stories" ohne Handlungshöhepunkte, ihre Spannung liegt vielmehr im witzigen Apercu, etwa wenn er den in Tripolis allgegenwärtigen Gaddhafi als "immer etwas tuntig" aussehend beschreibt. Dyers Respektlosigkeit macht vor nichts Halt. Die Antike, der er auf dem Forum Romanum oder im nordafrikanischen Leptis Magna nachspürt, ist für ihn "nicht das, was man sich erschließen kann, sondern genau das, was geblieben ist". So feiert er die Rückkehr der Prärie in die Ruinenstädte des amerikanischen Mittelwestens als "Triumph des Raums über die Zeit". Weil sein Alter Ego die Reisekosten von Time Out erstattet bekommt, bleibt er gegenüber den Mitreisenden und Freunden, die allesamt eher einer Jeunesse dorée zwischen Hippietum und New Age entstammen, ein beobachtender Außenseiter. Die Frage nach dem Wohin des Reisens bleibt in den meisten Fällen offen oder wird mit "Immer zu sich selbst" beantwortet, was ebenso tiefsinnig wie banal ist. Seine Lässigkeit scheint indes auch die Folge seines starken Rauschmittelkonsums zu sein. In der Verbindung von Trip und Reisen gehen jedoch feste Standpunkte verloren. Alles dreht sich in träumerischer Ironie. Was Dyers romantische Weltsicht trotzdem so sympathisch macht, ist, dass sie offen bleibt für Verwunderung und Neugierde.

Titelbild

Geoff Dyer: Reisen, um nicht anzukommen. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Regina Rawlinson.
Argon Verlag, Berlin 2004.
284 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3870246030

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